Im Landgericht München II schildern Geschwister, wie sie jahrelang Gewalt und nächtlichen Terror durch ihre Mutter erlebten.
Landkreis - Ein seltener Fall von Kindesmisshandlung beschäftigt seit gestern das Landgericht München II. Auf der Anklagebank sitzt ein Ehepaar, das jahrelang seine beiden ältesten Kinder geschlagen, verprügelt und gequält haben soll. Selbst ein erst einjähriges Mädchen kam nicht ungeschoren davon. Irgendwann wurde es der ältesten Tochter zu viel. Sie vertraute sich einer Mitschülerin an, die sagte es der Lehrerin. Weil beim Jugendamt niemand ans Telefon gegangen sei, wurde die Polizei alarmiert. Die Prügel-Mutter (45) kam sofort in die Psychiatrie in Haar.
Meine Mutter hat gesagt, ich darf nichts sagen.
Zu Prozessauftakt legten sie und ihr Ehemann (60) ein allgemeines Geständnis ab. Nachfragen hob sich die Strafkammer um die Vorsitzende Richterin Gunilla Evers für später auf. Zunächst einmal wurden die Video-Vernehmungen der beiden älteren Geschwister vorgespielt. Die mittlerweile 17-jährige Tochter schilderte die Vorfälle genau.
Demnach hatte ihre Mutter sie schon als Achtjährige misshandelt. Mitten in der Nacht weckte sie das Kind auf und verlangte, dass es ihr die grauen Haare mit einer Pinzette vom Kopf entfernt. Als dem schlaftrunkenen Kind die Pinzette aus der Hand fiel, schlug die Mutter mit einem Ledergürtel zu, stach ihrer Tochter die Pinzette in den Oberschenkel und fügte ihr so eine stark blutende Wunde zu. Fünf Jahre später, die Tochter war 13, der Sohn neun Jahre alt, weckte die Mutter beide Kinder für Renovierungs-Arbeiten auf. Sie mussten Beton anrühren und Ziegelsteine schleppen. „Wir waren komplett übermüdet. Immer wenn wir etwas falsch gemacht haben, wurden wir geschlagen“, erinnerte sich die Tochter während der Vernehmung.
Ihre Eltern seien enttäuscht gewesen, weil sie die Übergriffe Dritten offenbart hatte, erinnerte sich die Schülerin. „Meine Mutter hat gesagt, ich darf nichts sagen.“ Folglich war die 45-Jährige womöglich nicht so stark psychisch beeinträchtigt, als dass sie das Unrecht ihres Handelns nicht erkennen konnte. Trotzdem kam sie nach Bekanntwerden des Missbrauchs für eine Woche in die Psychiatrie. Zudem gibt es wohl ein Gutachten, das ihre Unterbringung in einer entsprechenden Klinik empfiehlt. In einem Rechtsgespräch zu Beginn des Verfahrens hatten die Verteidiger offenbar versucht, dieses Gutachten in einem Deal vom Tisch zu bekommen. Dem erteilte die Richterin eine Absage.
Auch Ehemann berichtet von Gewalt gegen sich
Der Ehemann versuchte, sich schützend vor seine Frau zu stellen. Als Kind sei sie schlimm behandelt worden und hätte offenbar versucht, den Erziehungsstil ihrer Kindheit zu sowie den ihr bekannten Führungsstil zu kopieren, sagte er. Ihm war es offenbar in all den Jahren nicht gelungen, seine Kinder vor den Misshandlungen zu schützen: „Ich habe mich damit abgefunden, dass ich nicht der Chef bin“, sagte er. Zum Schutz der Kinder habe er versucht, die Wut seiner Frau auf sich zu kanalisieren. Das endete dann oft so, dass er Schläge und Prügel bezogen habe. „Zum Schluss bin ich mit einem Kabel um den Hals am Boden gelegen und habe gewimmert, hör auf“, berichtete er. Als die Kripo vor der Tür stand, sei das wie eine Befreiung gewesen. „Seitdem hat sie keine körperliche Gewalt mehr ausgeübt“, sagte er.
Die beiden älteren Kinder kamen ins Internat, wo sie sich offenbar wohlfühlen. Alle zwei Wochenenden fahren sie heim zu den Eltern. Ihre beiden kleinen Schwestern wurden an Pflegefamilien vermittelt. Einmal im Monat dürfen die angeklagten Eltern sie unter Aufsicht für anderthalb Stunden sehen. Nur der Sohn der Mutter aus einer früheren Ehe hat sich komplett abgewendet. Ob die Familie jemals wieder komplett zusammenkommt, ist äußerst fraglich. Der Prozess dauert an.