Rebellion in Reichling: „Treten Sie zurück, Herr Bürgermeister!“
Reichling - Die Aktion ist bayernweit einmalig: Nahezu 600 Unterschriften haben die Reichlinger in ihrer Gemeinde gesammelt und damit bekundet, dass sie mit der Arbeit und dem Auftreten von Bürgermeister Johannes Hintersberger massiv unzufrieden sind. Sie fordern den Rathauschef zum Rücktritt auf.
In die Listen haben mehr Erwachsene ihren Namen eingetragen, als Hintersberger bei der Stichwahl Ende März 2020 Stimmen auf sich vereinen konnte. Nach Informationen des KREISBOTEN gingen an einem Samstag mehr als zwei Dutzend Reichlinger von Haus zu Haus und brachten nach vielen Gesprächen an Haustüren mehr als 500 Unterschriften zusammen. Weitere kamen an den folgenden Tagen und Wochen dazu. Stand Mitte Dezember sind knapp 600 Namen auf den Listen vermerkt.
Jene Reichlinger, die Hintersbergers Politikstil und Verhalten heftig kritisieren, fahren schwere Geschütze auf. Sie werfen dem Rathauschef Missachtung, Machtkämpfe, unkollegiales Verhalten, Lügen und außerdem eine unzuverlässige Erreichbarkeit vor. Besonders schwer wiegen nach ihrer Ansicht personelle Auswirkungen. Konkret ist gemeint, dass die langjährige Kindergartenleiterin heuer aufgehört hat. Die Sekretärin im Vorzimmer sei derzeit im Krankenstand. Bezug genommen wird auch darauf, dass seit 2020 vier von zwölf Gemeinderäten aufgehört haben.
„Niederträchtig“
Er finde das Vorgehen relativ „niederträchtig“, greift Johannes Hintersberger zu deftigem Vokabular, als ihn der KREISBOTE um eine Stellungnahme bittet. Es wäre besser gewesen, wenn die Initiatoren der Unterschriftensammlung vorher mit ihm das Gespräch gesucht hätten, ergänzt er. Zugleich betont er, dass ein Bürgermeister in der laufenden Amtsperiode nicht abgewählt werden könne. Hintersberger stellt den Vergleich an, dieses Vorgehen seiner Gegner sei „bayernweit einmalig“. Zu den Vorwürfen meint er, die Machtkämpfe gingen nicht von ihm aus. Er befinde sich eher in der Abwehrhaltung. Hintersberger formuliert es so: „Ich bin derjenige, der Brände löscht und nicht der, der das Feuer legt.“

Auf Nachfrage sagt der Rathauschef, er habe von der Unterschriftensammlung in der Gemeinde Reichling „übers Hörensagen“ erfahren. Ihm seien aber weder Ross noch Reiter bekannt. Der KREISBOTE hat mit den Reichlingern und mit Vertretern der Initiative gesprochen, die Unterschriften gesammelt haben. Ihre Namen sind der Redaktion bekannt; sie wollen ihn aber wegen möglicher privater beziehungsweise beruflicher Nachteile nicht in der Zeitung lesen. Aus diesem Kreis hatten drei Personen Mitte Dezember offensichtlich sehr wohl beim Bürgermeister vorgesprochen, wobei sie ihr Anliegen vorbrachten und die Listen gezeigt haben.
Auf diesem Termin zeigten sich die Vertreter der Initiative, in der sich auch vier Gemeinderatsmitglieder engagieren, verwundert darüber, dass sie im Rathaus anstelle der erkrankten Sekretärin die Frau des Bürgermeisters im Vorzimmer angetroffen hätten. Sie war, was zu den kritisierten Personalia gehört, nach der Kündigung der langjährigen Kindergartenleiterin heuer vorübergehend in der Kita tätig.
Den Rücktritt eines Gemeindeoberhauptes erzwingen? Der KREISBOTE sprach darüber mit einem leitenden Mitarbeiter in einer hiesigen Landkreisbehörde. Seine Bewertung: In Bayern sei es äußerst schwierig, einen Bürgermeister selbst bei einer Fülle an Vorwürfen während der sechsjährigen Amtsperiode aus dem Sessel zu heben – es sei denn, ihm werde ein massives Vergehen nachgewiesen. Das Verhalten gegenüber Mitarbeitern sei dafür keine ausreichende Begründung.
Heuer keine Bürgerversammlung
Vom Reichlinger Bürgermeister wollten wir erfahren, wann er denn die gesetzlich vorgeschriebene Bürgerversammlung einberufen wird. Die letzte war am 19. Dezember 2022; sie dauerte damals bis nach Mitternacht. Heuer hat es noch keine gegeben und wird es auch keine mehr geben. Hintersberger verweist auf seine mehrwöchige Krankheitsphase im September und Oktober. Mit der Kommunalaufsicht am Landsberger Landratsamt habe er abgeklärt, dass die Bürgerversammlung im Januar gehalten werde.
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Auch das schildern Akteure der ganz anders. Nicht der Bürgermeister habe den Kontakt aufgenommen und um Aufschub gebeten, vielmehr sei er von der Kommunalaufsicht am Landratsamt gedrängt worden, die Bürgerversammlung abzuhalten.
Späte Information
Bereits auf einer Versammlung Ende Oktober mit mehr als 400 Besuchern, in der es mit Landrat Thomas Eichinger um die Asylunterkünfte ging, kommentierte Gemeinderat Benjamin Graf die mangelnde Information durch den Rathauschef. Er wollte wissen, wie lange die drängende Schilderung der Flüchtlingssituation mitsamt Suche des Landratsamtes nach Unterkünften auch in Reichling schon bekannt sei. Als Gemeinderat habe er es erst sechs Wochen zuvor erfahren. Falls die Infos dazu schon viel früher ins Reichlinger Rathaus geflossen seien, „haben wir ein ganz anderes Problem“, rief Graf damals ins Mikrofon.