Anlässlich des Reformationstags sprach der Journalist und Autor Dr. Heimo Schwilk in Memmingen über Martin Luther und den Bauernkrieg. Im Mittelpunkt des Vortrags standen Luthers ambivalente Haltung zu Freiheit, Ordnung und gesellschaftlichem Wandel.
Memmingen – Passend zum Reformationstag am 31. Oktober widmete sich der Journalist und Autor Dr. Heimo Schwilk in einem eindrucksvollen Vortrag dem Thema „Luther und der Bauernkrieg“. Eingeladen hatte der Christliche Rathausblock (CRB), der mit der Veranstaltung an die geistigen und gesellschaftlichen Umbrüche erinnerte, die vor gut 500 Jahren Europa erschütterten.
Schwilk, bekannt durch seine vielbeachteten Biografien über Ernst Jünger und Hermann Hesse, zeigte sich auch an diesem Abend als meisterhafter Erzähler historischer Zusammenhänge – und als präziser Analytiker einer Persönlichkeit, die wie kaum eine andere für das Ringen zwischen Glauben, Freiheit und Autorität steht.
Thomas Mayer, Vorsitzender des CRB, stellte nach der Begrüßung der rund 70 Gäste den Referenten vor, der zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze in Fachzeitschriften und Sammelbänden verfasst hat. Bereits zu Beginn seines Vortrags machte Schwilk deutlich, dass Martin Luther „kein Freund der Aufstände, sondern der Ordnung“ gewesen sei. Zwischen seinen Ausführungen zitierte er immer wieder aus seinem Buch „Luther. Der Zorn Gottes“.
„Luthers Reformation war eine Gewissensrevolution, keine gesellschaftliche Umsturzbewegung“, betonte der Referent. Dennoch habe der Reformator ein geistiges Feuer entzündet, das bald außer Kontrolle geriet. „Luther hat das Wort befreit – aber das Wort befreit mehr, als der, der es spricht, ahnt.“
Der Bauernkrieg von 1524/25, die größte Erhebung der Frühen Neuzeit, war für Schwilk „das Echo auf die Reformation“. Viele Bauern beriefen sich direkt auf Luthers Lehre von der Freiheit des Christenmenschen und auf das „Priestertum aller Gläubigen“.
In den berühmten zwölf Artikeln klangen die Worte des Reformators wie eine Verheißung: göttliche Gerechtigkeit, Gleichheit, Befreiung von willkürlicher Herrschaft. „Sie glaubten, Luther habe ihnen den theologischen Boden für ihre Forderungen bereitet“, so Schwilk. „Doch Luther wollte keine Revolution, sondern Erneuerung im Glauben.“
Ganz im Gegensatz zu seinem Widersacher Thomas Müntzer, wie Schwilk darlegte. Thomas Müntzer war zunächst ein Anhänger Luthers, aber die beiden zerstritten sich fundamental wegen ihrer unterschiedlichen Vorstellungen von der Reformation. Beide wollten die Kirche erneuern, doch ihre Wege trennten sich grundlegend.
Luther forderte eine Reformation des Glaubens, die sich auf das Wort Gottes und die Gnade stützte. Er appellierte an die Fürsten, die bestehende Ordnung zu bewahren und Gewalt zu vermeiden.
Thomas Müntzer hingegen sah in der Reformation auch einen sozialen Auftrag. Für ihn sollte das „Reich Gottes“ nicht nur im Herzen, sondern in der Gesellschaft Gestalt annehmen. Er kämpfte für Gerechtigkeit, Gleichheit und gegen die Unterdrückung der Armen. Als geistiger Anführer im Bauernkrieg rief er zum Widerstand gegen die Obrigkeit auf. Luther reagierte empört, warf Müntzer Aufruhr und Gotteslästerung vor und stellte sich klar auf die Seite der Fürsten.
Als der Aufstand eskalierte, reagierte der Wittenberger Theologe mit scharfer Abgrenzung. In seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ forderte er die Fürsten auf, mit Härte durchzugreifen. „Stechen, schlagen, würgen, wer da kann“ – dieser Satz, so Schwilk, „gehört zu den bittersten im Werk Luthers“.
Der Reformator habe erlebt, wie aus seiner Freiheitsbotschaft ein Aufruf zum Aufstand wurde, und das habe ihn erschreckt. „Er wollte das Gewissen befreien, nicht die Gesellschaft umstürzen.“
Schwilk beschrieb Luther als eine ambivalente Figur, zerrissen zwischen prophetischem Mut und obrigkeitstreuer Angst vor Chaos. „Er hatte die Kraft, sich gegen Rom zu stellen, aber nicht den Mut, die soziale Konsequenz seiner eigenen Lehre zu tragen.“ Der Bauernkrieg sei für ihn zur existenziellen Krise geworden – nicht nur politisch, sondern geistlich.
„Luther sah, dass das Wort Gottes eine Dynamik entfaltet, die sich nicht zügeln lässt. Das war seine Tragödie.“ Zugleich mahnte Schwilk zu historischer Fairness: „Wir dürfen Luther nicht mit modernen Maßstäben messen.“ Der Reformator sei ein Kind des Spätmittelalters gewesen, geprägt von Furcht vor Anarchie und göttlichem Gericht. „Nach Jahrhunderten feudaler Unterdrückung erschien ihm Ordnung als göttliche Gabe, nicht als Instrument der Macht.“
Der Bauernkrieg, der über 100.000 Opfer forderte, habe ihn in seinem Misstrauen gegen den menschlichen Aufruhr bestärkt. Trotz seiner Distanz zum Aufstand habe Luther, so Schwilk, unfreiwillig den Grundstein für ein neues Freiheitsdenken gelegt. „Die Reformation verschob das Verhältnis von Mensch und Macht, von Gewissen und Autorität. Auch wenn Luther selbst kein Revolutionär war, bereitete er den Boden für die moderne Idee der Freiheit.“
Der Gedanke, dass der Mensch vor Gott selbst verantwortlich sei, habe die Welt langfristig stärker verändert als jede politische Bewegung seiner Zeit. Besonders eindrucksvoll schilderte Schwilk den inneren Zwiespalt Luthers: „Er war ein Mann des Wortes, und er wusste, dass Worte Taten gebären. Aber er fürchtete die Macht, die aus seinem eigenen Wort wuchs.“ Die Bauern hätten das Evangelium zu wörtlich genommen, ihre Hoffnung auf irdische Gerechtigkeit mit göttlicher Freiheit verwechselt. „Damit begann das Missverständnis, das Luther nie mehr losließ.“
Im letzten Teil seines Vortrags spannte Schwilk den Bogen in die Gegenwart. „Auch heute stehen wir zwischen Gewissen und Ordnung, zwischen Freiheit und Verantwortung“, sagte er. „Die Versuchung, aus Glauben oder Überzeugung den Aufstand gegen alles Bestehende zu proben, ist geblieben – ebenso wie die Angst vor dem Verlust von Stabilität.“
Luthers Ringen mit dieser Spannung mache ihn, so Schwilk, zu einer zeitlosen Figur. „Er zeigt uns, dass Freiheit ohne Maß zerstörerisch wird, und Ordnung ohne Freiheit seelenlos.“
Mit diesem Vortrag hat Heimo Schwilk dem Reformationstag eine eindrucksvolle, nachdenkliche Tiefe gegeben. Luther, der Zerrissene, der Rebell wider Willen, der Glaubende zwischen Mut und Furcht – er bleibt, wie Schwilk es formulierte, „ein Spiegel, in dem wir uns bis heute erkennen können“.
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