Bidirektionales Laden - Jetzt wollen uns die Chinesen bei der nächsten Zukunfts-Technologie davonziehen
Beim bidirektionalen Laden können die Akkus von Elektroautos ihren Strom auch ins Netz abgeben. Die chinesische Regierung sieht diesem enormen Speicherpotenzial einen Baustein für die Energiewende des Landes. Doch es gibt Hindernisse.
Elektroautos als Energiespeicher: So sieht die charmante Vision aus, an der die National Development and Reform Commission (NDRC) bastelt. Zu Spitzenzeiten sollen die Fahrzeuge Strom ins Netz abgeben und bestenfalls bei Überversorgung des Stromnetzes die eigene Batterie aufladen.
Noch aber ist die Realität eine andere. Elektroautos haben große Akkus und stehen die meiste Zeit des Tages ungenutzt auf einem Parkplatz. Durch das bidirektionale Laden kann die Batterie der Fahrzeuge in dieser Zeit genutzt werden, um Überkapazitäten zu speichern und bei Engpässen darauf zurückzugreifen. Die chinesische Regierung sieht darin einen Baustein für die Energiewende des Landes, treibt entsprechende Versuchsprojekte voran und möchte bis zum Jahr 2025 einheitliche Standards schaffen – eine zentrale Herausforderung.
Mehr als 50 Praxistests laufen
Im Januar 2024 verabschiedeten die staatliche Reformkommission NDRC und die nationale Energiebehörde neue Leitlinien. Darin fordern die Behörden, dass bis zum Jahr 2025 die technischen Standards formuliert sein müssen, um bis zum Jahr 2030 ein Gesamtsystem zu etablieren. Dafür benötigt die Industrie natürlich Praxistests – insgesamt 50 laufen bereits. Unter anderem die Provinz Anhui und die Stadt Chongqing sind dem Aufruf gefolgt und haben entsprechende Pilotprojekte gestartet.
Auch in Shenzhen nehmen derzeit rund 1.400 NEV-Fahrzeuge an einem Test teil. Werden die Autos zu Lastspitzen angeschlossen, speisen sie Strom ins Netz. Im Gegenzug erhalten die Fahrer Rabatte für andere Tageszeiten. Schon im Januar wurde im Industriegebiet von Wuxi, unweit von Shanghai, experimentiert. Insgesamt 50 Elektroautos wurden parallel an Ladestationen angeschlossen, um Strom ins Netz zu übertragen. CCTV berichtete, sie hätten innerhalb von 30 Minuten rund zwei Megawatt Strom eingespeist – genug, um den Tagesbedarf von mehr als 100 Haushalten zu decken.
Enormes Speicherpotential von E-Auto-Batterien
In vielen Teilen des Landes ist das chinesische Stromnetz aufgrund der rasanten industriellen Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten an seiner Belastungsgrenze. Vereinzelt kam es zu Rationierungen. Die Rückspeisung der Energie aus den Akkus könnte für wertvolle Entlastung sorgen. So konnten die Wechselstationen von Nio bereits punktuell unterstützten, als es im Sommer 2022 aufgrund von Überlastungen zu großflächigen Stromausfällen kam.
Bei den Planungen spielt Shenzhen aus zwei Gründen eine zentrale Rolle. Erstens hat die Region einen besonders hohen NEV-Anteil. Sechs von zehn Neuwagen haben hier einen Elektromotor und rund eine Million NEV sind bereits zugelassen. Der Stromnetzbetreiber China Southern Power Grid schätzt, dass diese Fahrzeuge ein Speicherpotenzial von etwa 50 Gigawattstunden (GWh) hätten. Ließe sich diese Energie managen, stünden etwa drei Gigawatt zur permanenten Verfügung. Das entspricht dem Output von fünf mittleren Kohlekraftwerken.

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Energiemanagement im virtuellen Kraftwerk
Das Energiemanagement ist der zweite Grund, der Shenzhen so wichtig macht. In der Stadt gibt es ein Energiekoordinierungs- und -managementsystem – ein sogenanntes virtuelles Kraftwerk . Es steuert die Energieversorgung, indem es Stromquellen (zum Beispiel Kraftwerke und Solaranlagen), E-Fahrzeuge, große Stromspeicher, Ladesäulen und Batteriewechselstationen aufeinander abstimmt. Die Tests sollen auch zeigen, ob und wie diese Technologie skalierbar ist.
Denn diese Vehicle-to-Grid-Technologie (V2G) ist aus mehreren Gründen eine enorme Herausforderung . Zum einen technisch. Elektroautos fahren mit Gleichstrom (DC), Haushalte verwenden Wechselstrom (AC). Das bedeutet, dass entweder die Wallbox oder das Bordladegerät im Auto mit einem Gleichrichter ausgestattet sein müssen, wenn man den Akku laden möchte. Soll der Strom aber wieder zurück ins Netz, muss er den umgekehrten Weg gehen, wofür er einen Wechselrichter benötigt.
Nur sehr wenige Autos auf dem Markt sind dazu überhaupt technisch in der Lage. Die Fahrzeuge von Nio beherrschen V2G. Auch BYD wirbt damit, konzentriert sich im Verkauf aber auf die sogenannte Vehicle-to-Load (V2L) Technologie . Dabei dient der NEV-Akku als fahrende Powerbank und der Fahrer kann über entsprechende Ausgänge elektrische Geräte anschließen. Eine Rückspeisung ins Netz ist damit aber nicht möglich.
Technologie für Fahrzeugbesitzer noch nicht lukrativ
Hintergrund der geringen Verbreitung ist, dass diese Technologie weder den Kunden noch den Herstellern direkt nutzt. Weder die Technologie noch gesetzliche Regelungen sind weit genug, um für die Fahrzeugbesitzer lukrativ zu sein . Denn die finanzielle Ersparnis ist zu gering, gleichzeitig fürchten viele um die Lebensdauer der Batterie, die plötzlich wesentlich mehr Ladezyklen leisten müsste. In China muss ein Akku laut Gesetzgeber 1.000 Ladezyklen ohne nennenswerte Abnutzung halten. Nach Schätzungen der China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) würde ein Akku mit V2G-Technologie aber fünfmal häufiger be- und entladen werden. Die Hersteller müssten also bessere und teurere Batterien verbauen oder sie öfter austauschen. Dazu kommen höhere Kosten für Wallboxen und Software.
Auch regulatorisch steht China noch am Anfang. In den unterschiedlichen Regionen gibt es verschiedene Vorgaben für den Strommarkt – einfach Strom ins Netz einzuspeisen ist längst nicht überall erlaubt, oder möglich. Die aktuellen Tests dienen aber dazu, praxistaugliche Standards und Regelungen zu definieren , um sie im nächsten Schritt umzusetzen. Langfristig könnte der Fall eintreten, dass den Herstellern gar nichts anderes übrig bleibt, als die V2G-Technologie zu verbauen.
Neben dem öffentlichen Stromnetz könnte der größte Profiteur Nio sein . Bis Ende 2024 möchte der Hersteller bereits 3.310 Batteriewechsel-Stationen in China betreiben (Anfang des Jahres waren es rund 2.400). Shen Fei, Vizepräsident bei Nio, gab auf Weibo an, dass sein Unternehmen im vergangenen Jahr durch das intelligente Energiemanagement – zu Spitzenzeiten abgeben, bei Überversorgung selbst laden – rund 17 Millionen Dollar an Stromkosten gespart habe.
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Das Original zu diesem Beitrag "Jetzt wollen uns die Chinesen bei der nächsten Zukunfts-Technologie davonziehen" stammt von Table.Media.