Fiepen an Fronleichnam – die beste Band der Welt verzaubert Dachau

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Die Songs heben ab: Wilco zeigen sich auf dem Dachauer Rathausplatz als alte Meister. © Johannes Löhr

Die Rockband Wilco spielt an Fronleichnam auf dem ausverkauften Dachauer Rathausplatz ein fulminantes Konzert – und beweist, dass sie nicht zu toppen ist.

Die Melodie ist so simpel, die kann nun wirklich jeder mitsingen, animiert Jeff Tweedy sein begeistertes Publikum auf dem ausverkauften Dachauer Rathausplatz. Es ist das Gitarrenriff des Songs „Spiders (Kidsmoke)“, den die Band Wilco nach gut zehn Minuten zu einem wahren Krachmonster aufgeschichtet hat und der nun fast physisch der barocken Jakobskirche gegenübersteht. Dieses massive Riff, das es jetzt mitzusingen gilt. Und zwar von allen, auch denen, die Singen zu peinlich finden. „Kann sein, dass Ihr schüchtern seid, aber seht es mal so“, ruft Tweedy. „Wenn Ihr alt seid, ins Krankenhaus kommt und im Sterben liegt, werden Eure letzten Gedanken nicht sein: Gott sei Dank habe ich in meinem Leben nie gesungen!“ So kann man‘s auch sehen, und jetzt machen wirklich alle mit, lange und laut, und man merkt, wie sehr sie ihre Lieblingsband vermisst haben.

Ohrwürmer mit Störgeräuschen

14 Jahre waren die Chicagoer nicht mehr im Lande, damals hatten sie den Ruf, seit Mitte der Neunziger die insgeheim beste Rockband der Welt zu sein. Insgeheim deshalb, weil Tweedys Songs zwar zu den warmherzigsten, euphorischsten, rührendsten seiner Generation zählen, „Via Chicago“, „Impossible Germany“, „Jesus etc.“ oder „I am trying to break your Heart“ aber auch dieses gewisse Lärm-Element in sich trugen – ein Quietschen, Fiepen, Kratzen, als wehten sie auf einer schwachen Radio-Mittelwelle zu einem heran. Zu widerborstig für den Massengeschmack. Heute aber werden sie als Klassiker gefeiert.

Typ verhuschtes Genie: Jeff Tweedy von der Band Wilco
Typ verhuschtes Genie: Jeff Tweedy. © Johannes Löhr

Jeff Tweedy kommt rüber wie ein Erdkundelehrer vor der Pensionierung

Natürlich liegt das mit dem ausgebliebenen Weltruhm auch an Tweedy selbst, der stets eher der Typ verhuschtes Genie war – und auch an diesem Donnerstagabend sieht er in lila Leinen-Jackerl und Chucks eher aus wie ein Erdkundelehrer kurz vor der Pensionierung. Die knabenhaft helle Stimme hat die Jahrzehnte allerdings unbeschadet überstanden (anders als die des Kollegen Axl Rose, der einen Tag später in der Allianz Arena auftrat). Und auch der Humor ist noch da: Offenbar waren Wilco davon ausgegangen, dass es eine Vorband geben würde. Falsch gedacht – also spielt die Band im Grunde in drei Stunden zwei Konzerte mit einer Pause dazwischen. Das erste beendet der Sänger mit der Ansage: „Viel Spaß mit Wilco!“ Das zweite startet mit der Feststellung: „Die Vorband klang ziemlich gut, oder?“ Und den Beethoven-Gag muss er natürlich auch mitnehmen. Songs vom Album „Ode to Joy“ kündigt Tweedy mit dem Hinweis an: „Ich weiß, dass ein Typ aus Eurem Land auch mal was mit dem Titel veröffentlicht hat. Ist schon okay für uns.“

Nels Cline mit Lap-Steel-Gitarre. Im Hintergrund: Keyboarder Mikael Jorgensen von Wilco
Experimentell: Nels Cline mit Lap-Steel-Gitarre. Im Hintergrund: Keyboarder Mikael Jorgensen. © Johannes Löhr

Fürs Fiepen ist auch an diesem lauen Fronleichnamsabend vornehmlich Nels Cline zuständig, einer von drei Gitarristen des ergrauten Sextetts, der sein Instrument wie einen Experimentier-Baukasten handhabt. An anderer Stelle spielen sie eng verzahnten Country-Rock wie The Grateful Dead – fast alle Songs heben während der Improvisationen ab , und bei „California Stars“ trifft ein Text von Folk-Legende Woody Guthrie auf die Harmonien der Beach Boys. Spätestens jetzt ist jeder im Publikum sicher, es immer noch mit der besten Band der Welt zu tun zu haben.

Bevor er die Leute mit „I got you“ in die laue Sommernacht entlässt, freut sich Tweedy noch, dass ein Zuschauer seine Frau auf die Schultern genommen hat. „Das gibt’s fast nie auf unseren Konzerten, das schreibe ich in mein Tagebuch - jetzt komm aber runter, das ist gefährlich.“ Wir sind alle nicht mehr die Jüngsten, aber an manchen magischen Abenden, da fällt es uns leicht, einfach so zu tun.

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