Politik-Experte Joachim Krause - Trump schlägt sich auf Putins Seite: Das ist das Ende der Nato, wie wir sie kennen
Dieser Eklat hat Folgen: US-Präsident Trump legt sich öffentlich mit Ukraine-Chef Wolodymyr Selenskyj an. Der Streit dürfte auch Folgen für die Sicherheit in Europa haben. Die wichtigsten Fragen dazu beantwortet Politik-Experte Prof. Dr. Joachim Krause.
Nach dem Eklat beim Staatsbesuch von Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj in Washington bei US-Präsident sind viele Fragen offen. Es geht um Sicherheiten für die Ukraine, es geht um militärische Unterstützung der USA - und es geht um die sicherheitspolitische Zukunft in Europa. Prof. Dr. Joachim Krause, Experte für internationale Politik, beantwortet die wichtigsten Fragen:
Wie kann eine europäische Sicherheitsarchitektur ohne die USA aussehen? Der Eklat von Washington am 28. Februar hat überdeutlich erkennen lassen, dass die Führungsmacht der westlichen Demokratien von der Fahne gegangen ist. Die Trump-Administration hat sich klar auf die Seite Russlands gestellt. Dieser Prozess dürfte nicht mehr umkehrbar sein. Das bedeutet auch das Ende der Nato, so wie wir sie kennen.
Kann sich die westliche Staatengemeinschaft ohne die USA verteidigen? Im Prinzip ja. Wir Europäer und Großbritannien sind 500 Millionen Menschen mit einer kombinierten Wirtschaftsleistung von 22 Billionen US-Dollar pro Jahr. Wir sollten uns nicht vor einem korrupten und unfähigen Regime wie dem von Wladimir Putin ängstigen, der über 142 Millionen Russen herrscht, die eine Wirtschaftsleistung von gerade mal 2,2 Billionen US-Dollar im Jahr aufweisen. Dieses Russland ist zudem durch den dreijährigen Krieg gegen die Ukraine extrem geschwächt.

Die europäischen Mitgliedstaaten der Nato und Kanada verfügen über eine Vielzahl von militärischen Fähigkeiten, die es zu bündeln und unter ein einheitliches Kommando zu stellen gilt. Das wird kein leichtes Unterfangen sein, aber es ist möglich. Es setzt allerdings voraus, dass die europäischen Staaten sehr viel mehr in ihre Verteidigung investieren. Und es setzt voraus, dass größere Staaten wie Deutschland, Polen, Frankreich, Großbritannien und auch Italien ihre militärischen Fähigkeiten beträchtlich vergrößern und stärker als bisher in eine integrierte Struktur einbringen, an der sich auch die kleineren Staaten (insbesondere im Ostseeraum) mit ihren Fähigkeiten beteiligen.
Über den Experten Joachim Krause

Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor Emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und Chefredakteur von SIRIUS. Er war als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Privatdozent tätig. Neben seiner akademischen Laufbahn hat er an internationalen diplomatischen Missionen teilgenommen. Seine Forschungsarbeit ist in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen dokumentiert.
Ist eine Sicherheitsstruktur in Europa innerhalb der Nato denkbar? Oder im Rahmen einer noch aufzustellenden europäischen Streitmacht? Ich würde dafür plädieren, dieses Vorhaben im Rahmen der Nato anzugehen. Die Nato hat ein hierarchisches System von integrierten Hauptquartieren, sie verfügt über gemeinsame militärische Fähigkeiten und kann auch ohne Amerikaner funktionieren. Die Nato hat auch eine klare Strategie der Verteidigung der Ostgrenze gegen Russland. Das alles sollte man nicht aufgeben.
Nur muss man sicherstellen, dass amerikanische Fähigkeiten von Europäern ersetzt werden. Die Europäische Union hat nichts Vergleichbares an integrierten Strukturen. Etwas Neues aufzubauen, würde enorm aufwendig sein und viel Zeit kosten, die wir nicht haben.
Auch wäre dann nicht gesichert, dass Großbritannien und Kanada dabei sind. Solange man die Nato belässt, ist man auf der sicheren Seite. Dadurch verschließt man auch nicht die Möglichkeit, dass die USA in vier Jahren wieder im Bündnis mitwirken.
Wo wären die größten Lücken in Europa? Es müsste vor allem in die Luftraumverteidigung, die Logistik, die elektronische Kriegführung und in Drohnenkriegsführung investiert werden. Daneben muss gesichert sein, dass man auch einen längeren Krieg gegen Russland durchstehen kann, d.h. es muss die Wehrpflicht wieder eingeführt werden, damit der Reservistenpool größer wird.
Das ganz große Fragezeichen ist dabei die nukleare Abschreckung. Russland richtet auf Europa etwa 1400 Kernwaffen. Frankreich und Großbritannien verfügen zusammen über etwa 500 Kernwaffen. Das ist schon ein gewisses Abschreckungspotential, fällt aber deutlich kleiner aus als das der USA.
Es wäre zu überlegen, ob die nicht-nuklearen europäischen Staaten, vor allem Frankreich, finanzielle Unterstützung für einen quantitativen und qualitativen Ausbau seiner Nuklearstreitkräfte zukommen lassen. Das setzt voraus, dass sowohl Paris wie London eine nukleare Garantierolle übernehmen. Neue nationale Atomwaffenpotenziale schaffen zu wollen, halte ich für nicht zielführend.
Wieviel Zeit haben wir Europäer? Nicht viel, aber aufgrund der derzeitigen militärischen und wirtschaftlichen Schwäche Russlands verfügen wir über ein Zeitfenster von vielleicht vier bis fünf Jahren, innerhalb dessen wir eine Nato-Verteidigung aufbauen können, die ein gewisses Maß an Abschreckung herstellen würde.
Würde der Aufbau einer solchen Struktur in Europa Russland wirklich abschrecken? Ich denke schon, denn wir sollten eines nicht vergessen: Russland hat es in drei Jahren nicht geschafft, die Ukraine niederzuwerfen. Noch weniger wird es in der Lage sein, Europa zu überrollen. Wirkliche Risiken bestehen für kleine Länder an der Peripherie Europas, vor allem die baltischen Staaten, Finnland, Polen und Rumänien.
Hier geht es darum zu verhindern, dass Russland Territorium besetzt und dessen Rückeroberung durch nukleare Drohungen absichert. Und noch wichtiger ist es, die hybride und politische Kriegführung Russlands in den Griff zu bekommen. Das alles muss möglich sein – mit oder ohne Schuldenbremse.
Dieser Content stammt vom FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.