„Sturm Z“ trifft Ukraine: Putin schickt Strafbataillone, die „mit Blut für ihre Verbrechen büßen“
Russland stockt seine Armee mit Häftlingen auf. Diese kämpfen unter schlechten Bedingungen in der Ukraine. Putin verhindert so eine Massenmobilisierung.
Moskau – Russland setzt im Ukraine-Krieg in großem Stil auf den Einsatz von Sträflingen. Die Truppen aus verurteilten Mördern werden für besonders zermürbende, von der Infanterie geführte, Frontalangriffe an den gefährlichsten Stellen des Schlachtfelds eingesetzt.
Seit Beginn der Invasion in der benachbarten Ukraine im Februar 2022 habe Russland Zehntausende von Gefangenen rekrutiert, um die sogenannten „Sturm-Z“-Kommandos zu bilden, wie das US-Portal Newsweek berichtet. Diese Kommandos sollten nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums ursprünglich Eliteeinheiten sein.

Seit dem Frühjahr seien sie „jedoch de facto Strafbataillone“, die ohne große logistische und medizinische Unterstützung wiederholt zum Angriff getrieben würden. Das schreibt die österreichische Tageszeitung Der Kurier. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte ein russischer Soldat, der in einem solchen Kommando gekämpft hat: „Sturm-Z-Kämpfer sind nur Fleisch“.
Kannibalen, Mörder und Vergewaltiger – über 100.000 Häftlinge wurden von Putin freigesprochen
Zwar habe man, so Newsweek, die Bildung von Sturm-Z-Einheiten mit Sträflingen nie zugegeben. Genau sowenig habe der Kreml die Gesamtzahl der von der inzwischen aufgelösten Wagner-Gruppe und dem Verteidigungsministerium rekrutierten Gefangenen jemals bestätigt. Dem Nachrichtenportal würden jedoch Informationen vorliegen, nach denen mehr als 100.000 Häftlinge vom russischen Präsidenten Wladimir Putin für ihren Einsatz in der Ukraine freigesprochen worden seien. Etwa die Hälfte davon sei jetzt in Russland auf freiem Fuß.
Einer Liste einiger Gefangener, die für das russische Militär rekrutiert wurden, habe man entnehmen können, dass sich darunter auch Männer im Rentenalter befänden. Die meisten seien allerdings Sträflinge aus den ethnischen Minderheitenrepubliken des Landes. Unter diesen Rekruten befänden sich Kannibalen, Mörder und Vergewaltiger. Berichten einer russischen Ermittlungsseite namens Agentstvo zufolge seien mindestens 17 Personen, die aufsehenerregende Morde begangen hätten, für ihren Einsatz in der Ukraine begnadigt worden. Der Veröffentlichung gebe an, dass alle 17 Personen am Krieg teilgenommen hätten. Einige hätten nach ihrer Rückkehr nach Russland erneut Verbrechen begangen.
Mit ihrem Blut gebüßt „und sich von ihrer Schuld freigesprochen“ – Wem nützt der Schachzug?
Putins Sprecher Dmitri Peskow erklärte am 10. November gegenüber Reportern, dass die begnadigten Verurteilten nicht der Strafe entgangen seien, sondern „mit ihrem Blut für die Verbrechen auf dem Schlachtfeld, in den Angriffsbrigaden, unter Kugeln und Granaten büßen“. Auch der russische Staatschef selbst räumte bereits ein, dass Verurteilte an der Front eingesetzt worden seien. „Sie haben ihr Leben für das Vaterland gegeben und sich von ihrer Schuld freigesprochen“, so Wladimir Putin im September.

Die Praxis der Rekrutierung in den russischen Strafkolonien habe begonnen, als der Kreml mit einem akuten Arbeitskräftemangel konfrontiert gewesen sei, so Newsweek. Indem man Gefangene mit Begnadigungen durch Putin und Geldanreizen anlockte, habe Moskau sein Personal aufstocken können, ohne die junge, städtische Bevölkerung zu mobilisieren. Ein solcher Schritt sei aus Furcht vor politischen Konsequenzen vermieden worden. Es wird erwartet, dass Putin bald seine Kandidatur für eine weitere Amtszeit bekannt geben wird. Nach den Verfassungsänderungen, die vor dem Krieg in der Ukraine vorgenommen wurden, könnte er bis 2036 an der Macht bleiben.
Eine unpopuläre Massenmobilisierung verhindert – Sträflinge sind für Übergriffe verantwortlich
Er habe auf die Sträflinge zurückgegriffen, um zu vermeiden, dass er im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2024 eine unpopuläre Massenmobilisierung anordnen muss, so Neil Melvin gegenüber Newsweek. Melvin ist Direktor für internationale Sicherheitsstudien beim britischen Think Tank Royal United Services Institute (RUSI), der sich mit Verteidigung und Sicherheit beschäftigt. „Es besteht zwar keine Gefahr, dass Putin nicht mit deutlichem Vorsprung wiedergewählt wird, aber der Kreml ist bestrebt, zu vermeiden, dass die Wahlen zum Brennpunkt von Unzufriedenheit oder gar Protesten gegen den Krieg werden“, so Melvin gegenüber dem Nachrichtenportal.
Russische Sträflinge in der Armee seien im vergangenen Jahr die Hauptquelle für die „menschlichen Übergriffe“ gewesen, so Melvin. Er fügte hinzu, dass diejenigen, die überleben, begnadigt und wieder in die Gesellschaft entlassen würden. Dies führe aber oft zu einer hohen Rückfallquote, „vor allem, wenn sie die Traumata der Front und den damit verbundenen psychologischen Stress durchgemacht haben“.
Gefangene als Ressource – Putins Regime ähnelt „der Brutalität und Unmoral von Stalins Sowjetunion“
„Das russische Militär kämpft ohne Rücksicht auf Verluste, wirft Truppen in die Schlacht und bringt dann neue Einheiten, um die zerstörten zu ersetzen, wobei es sich auf die große Bevölkerung des Landes verlässt und wenig Rücksicht auf Menschenleben nimmt“, so Melvin weiter. „Für diese Art der Kriegsführung werden Gefangene von der russischen Führung als eine Ressource betrachtet, die ohne großes Risiko politischer Konsequenzen eingesetzt werden kann“.
Diese Einschätzung teilt auch Viktor Kovalenko, ein ehemaliger ukrainischer Soldat und Journalist. Gegenüber dem Portal sagte er: „Für Wladimir Putins Regierung macht es keinen Unterschied, wer das Kalaschnikow-Gewehr in der Hand hält und wer in den Schützengräben sitzt.“ Damit ähnele Putins Regime „in vielerlei Hinsicht der Brutalität und Unmoral von Stalins Sowjetunion“. (tpn)