5 Jahre Corona - Die große Corona-Bilanz: Was wir aus der Pandemie gelernt haben – und was nicht
Die Corona-Zeit wirkt nach, auch fünf Jahre nach dem ersten Fall in Deutschland noch. Sie verlangt nach einer Aufarbeitung – in vielen Bereichen. So viele hat die Pandemie betroffen.
Kurz noch einmal zur Erinnerung: Als ausgehend vom Huanan Seafood Markt in Wuhan schon etliche Infizierte in China sterben, hat ein großer Teil der Menschheit noch kaum etwas von der neuen Lungenkrankheit mitbekommen.
- Am 10. Januar 2020 wird das Genom des neuen Virus veröffentlicht, es handelt sich um ein Sars-Virus (Severe Acute Respiratory Syndrome).
- Über die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht der Berliner Virusforscher Christian Drosten am 13. Januar den ersten Test auf das neue Virus.
- Am 27. Januar 2020 wird die bundesweit erste Infektion bestätigt: bei einem Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto in Stockdorf bei München. Drei Tage darauf erklärt die WHO eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“.
- Vielen Menschen brennen sich die Bilder aus der Region um Bergamo in Italien ein, wo dann im März Särge mit Lastwagen in andere Städte gebracht werden, weil die Krematorien nicht mehr nachkommen. Mit Lockdowns und anderen Maßnahmen wird versucht, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
- Bis Ende November 2020 sind allein für Deutschland mehr als eine Million Infektionen erfasst.
- Am 27. Dezember beginnen in der Bundesrepublik offiziell die Impfungen.
- Am 5. Mai 2023 erklärt die WHO den globalen Corona-Gesundheitsnotstand schließlich für beendet.
All das hat das Leben und die Menschen verändert. Was ist gut gelaufen, was schlecht und was haben wir daraus gelernt? Darauf gibt es vielfältige Antworten, aus den unterschiedlichsten Sichtweisen.
Das ist während Corona gut gelaufen
- Vor Corona müssen wir „keine Angst haben“, fasste Christoph Spinner, Leiter des Geschäftsbereichs Klinikbetrieb und Medizinstrategie in der Ärztlichen Direktion des TUM-Klinikums, im Gespräch mit FOCUS online, die aktuelle Lage zusammen. Dabei erinnert der Infektiologe an die Bedeutung der Impfung:
„Erstens schützt die Coronaimpfung zu mehr als 80 Prozent vor einem schweren Verlauf. Das heißt, die Menschen, die das höchste Risiko für schwere Verläufe haben, können damit geschützt werden. Zweitens, auch bei gesunden Menschen wird die Infektionswahrscheinlichkeit um etwa die Hälfte reduziert, deswegen lasse ich mich als Angehöriger des Gesundheitswesens jedes Jahr impfen. Damit schütze ich meine Patientinnen und Patienten zumindest zu 50 Prozent. Und letztlich ist die Impfung gut verträglich.“
Hinweis: Diese Aussagen stammen aus einem Interview, das bereits bei FOCUS online erschien. Sie können es hier nachlesen.
- Camilla Rothe, Ambulanzleiterin am Institut für Infektions- und Tropenmedizin, lobt in einer aktuellen Pressemitteilung „den schnellen Aufbau einer Covid-19 Response Unit“. Sie erklärt: „Damit konnten wir zum Beispiel mit unserer deutschlandweit ersten Covid-19 Testing Unit nach dem ersten Covid-19 Fall, Impfaktionen, Trainings in Seniorenheimen et cetera direkt auf das Infektionsgeschehen reagieren.“
- Krankenschwestern und -pfleger bekamen während der Corona-Zeit Applaus und viel Aufmerksamkeit. Benjamin Priester, Intensivpfleger am LMU Klinikum: „Anerkennung und Respekt für die Arbeit des Pflegepersonals haben zugenommen.“ Er erinnert sich, dass die Pandemie schnelle, oft unkonventionelle Entscheidungen erforderte. Sie hätten unter anderem gelernt, in unsicheren Situationen flexibel zu agieren und klare Prioritäten zu setzen.
- Johannes Hübner, Professor in der pädiatrischen Infektiologie: „Die enge Zusammenarbeit und Abstimmung innerhalb der jeweiligen Fachgebiete (Pädiatrie, Infektiologie) sowie die Kommunikation mit dem öffentlichen Gesundheitswesen und den Medien war sicherlich positiv.“ In der Haunerschen Kinderklinik hätten sie „jetzt sehr viel bessere Möglichkeiten der raschen Erkennung auch für andere Infektionen (Influenza, RSV, aber auch gastro-intestinale Infektionen)“.
- Rund um die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse hat Virologe Christian Drosten von der Charité Berlin auch immer wieder Kritik geübt – wie im aktuellen Interview mit dem „Deutschlandfunk“. Doch räumt der Experte ein: „Ich habe sehr viel, sehr gute Wissenschaftskommunikation gehört von Fachleuten, die bei ihrem Fach geblieben sind, die sich zu ihrem Fach haben interviewen lassen, die sich sehr engagiert haben.“
- Eva Grill, Professorin für Epidemiologie: „Auch wenn es immer gesellschaftlichen Diskussionsbedarf gab, war die öffentliche Akzeptanz wissenschaftlicher Ergebnisse hoch.“ Wir hätten jedoch auch gelernt, dass „die Pandemie kein großer Gleichmacher war, sondern gesellschaftliche Unterschiede und Verwerfungen verstärkt hat, egal ob es um die Nutzung der Corona-Warn-App ging, um die Altenpflege, oder um Impfbereitschaft“.
- Verschiedene Facetten beleuchtet Bernhard Zwißler, Professor für Intensivmedizin, und erinnert sich, sie hätten „unter anderem gelernt, dass auch Grundlagenforschung lebensrettend sein kann (Impfung), Faxgeräte kein zeitgemäßes Kommunikationsmittel mehr sind, die Leistungsfähigkeit des und die Solidarität im System (wenn es darauf ankommt) überraschend hoch ist, aber auch, dass wir im Bereich der Organisation von klinischer Forschung in Deutschland extrem träge (weil überreguliert) sind und sehr viel Luft nach oben haben“.
Und doch blickt Zwißler weiter nach vorne: Daher werde die Gründung des Netzwerkes Universitätsmedizin mit den nun ausgeschriebenen Projekten die klinische Forschungslandschaft in Deutschland positiv verändern.
Das führt direkt weiter zu den Aspekten, die nicht gut gelaufen sind und was wir künftig vermeiden sollten, um daraus zu lernen.
Das ist während Corona schlecht gelaufen
- Timo Ulrichs, Virologe und Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologe, sieht mehrere Fehler, die während der Pandemie gemacht wurden. Zwei davon waren:
„Das Feld wurde zu sehr Coronaleugnern und Impfgegnern überlassen, statt entschieden mit wissenschaftsbasierten Gegenargumenten und Werbung für Maßnahmen und Impfung aufzutreten. Die Kommunikation zwischen Wissenschaft und politischen Entscheidungsträgern war verbesserungswürdig.“
„Wir hatten nicht ausreichend Personal, besonders in der Intensivpflege. Das lag an der Notwendigkeit für Krankenhäuser, marktorientiert zu wirtschaften. Die Krankenhausreform kann hier Abhilfe schaffen, indem das Vorhalten von Personal auch honoriert wird.“
Die ausführlichen Antworten können Sie hier nachlesen: Top-Experten nennen unsere größten Corona-Fehler – was wir daraus lernen können
- Friedemann Weber ist Professor für Virologie und leitet als Direktor das entsprechende Institut an der Justus-Liebig-Universität in Gießen: „Ein wiederkehrendes Muster, wenn es um öffentlichkeitsrelevante Wissenschaft geht, ist das Auftreten von ‚Experten‘ die ihre mindere Passfähigkeit zum Thema mit einer starken Meinung kompensieren. Wenn diese Meinung sich dann besser verkauft als eventuelle Unsicherheiten oder unbequeme Fakten, dann das wird in Talkshows und Presse gerne als Streit von Experten auf Augenhöhe inszeniert, die oft genannte ‚false balance‘. Zur transparenten Einordnung von Gästen beziehungsweise Interviewpartnern wäre es wünschenswert, wenn verantwortliche Redakteure die Passfähigkeit mittels Expertenchecks publik machten.“
- Hajo Zeeb ist Epidemiologe und Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS): „Wir haben die Situation in Pflegeheimen nicht oder spät in den Griff bekommen, und alte Menschen oft nicht gut geschützt. Die Sterblichkeit in Heimen war einfach viel zu hoch, und gleichzeitig war es dann zum Teil völlig unangemessen, wie schwer Erkrankte oder Sterbende nicht von Angehörigen betreut werden konnten. Da braucht es bessere Konzepte.“
- Passend hierzu betrachtet Claudia Bausewein, Professorin in der Palliativmedizin, vor allem eines kritisch: „Sterben in Isolation und ohne die Anwesenheit der Angehörigen sollte auch in einer Pandemiesituation vermieden werden, es hinterlässt bei den Hinterbliebenen große Belastungen und erschwert die Trauer.“
- Bei den Impfstoffen seien manche Aspekte zur Schutzwirkung nicht so richtig im Detail öffentlich diskutiert worden, sagt Christian Drosten; „Zum Teil konnte man das gar nicht, weil man es nicht wusste, zum Teil war es aber auch zu komplex und die Aufmerksamkeitsspanne in den Publikumsmedien reichte dafür einfach nicht aus.“
- Gerd Schulte-Körne, Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie: „Corona hat gezeigt, wie sehr veränderte Lebensbedingungen sich nachteilig auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken. Die Schließungen von Kindergärten und Schulen hätten vermieden werden müssen und Homeschooling deutlich besser begleitet werden. Kinder und Jugendliche mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten benötigen insbesondere in solchen Lebenssituation besondere Hilfen anstatt sich und ihre Familie selbst zu überlassen.“
- Ähnlich sieht es Johannes Hübner: „Als Infektiologe und Kinderarzt ist mir durch die Pandemie nochmals mehr bewusst geworden, wie wichtig das soziale Umfeld für die Entwicklung von Kindern ist.“ Seine klare Forderung ist daher: „In Zukunft müssen wir darauf achten, dass Beeinträchtigungen der schulischen Leistungen durch Schulschließungen, Zunahme psychischer Probleme und Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen, aber auch Veränderungen der Immunantwort („Immunity Dept“) mit Zunahme und z.T. deutlich schwereren Verläufen von Infektionen (wie z.B. Gruppe-A Streptokokken, Parvo-B19 Virus und viele andere) vermieden werden.“
- Gerd Antes war Professor an der Universität Freiburg, Experte für Biometrie und Statistik und kritisiert: „Einer der zentralen Fehler war die nicht erfolgte Etablierung einer vertrauensbildenden Kommunikation mit der Bevölkerung. Ein unerklärliches Phänomen war das Fehlen der systematischen Einbeziehung vorhandener Erfahrungen und Materialien. Besonders hervorzuheben ist der nationale Pandemieplan des RKI , der auf fast 300 Seiten beschreibt, was in einer solchen Situation zu tun ist. Dieser Plan hätte sofort zu Beginn der Pandemie aufgerufen und an die aktuellen Bedingungen angepasst werden müssen. Er sollte fortlaufend aktualisiert werden, basierend auf Erfahrungen wie denen aus der Schweinegrippe, und als Teil einer kontinuierlichen Aufbereitung dienen.“
- Einen vergleichbaren Punkt bemerkte auch Christoph Spinner: „Ich glaube, man hätte in der Kommunikation noch stärker Wert darauflegen müssen, dass die Immunisierung eben eine Möglichkeit ist. Die wirksamste, um die Infektionswahrscheinlichkeit mit schweren Verläufen zu reduzieren. Das ist auch gelungen. Dass man aber gleichzeitig diese starke Verknüpfung, ich würde fast sagen Übereuphorisierung aus den ersten Impfstudien hatte, dass man damit sogar die Infektion verhindern könne, hat sich im Nachhinein definitiv als nichtzutreffend herausgestellt. Das Virus hat sich eben doch angepasst. Das wusste man damals nicht, das ist rückwirkend betrachtet trotzdem ungünstig.“
Gleichzeitig sei es nach all dem, was man aus der Vergangenheit lernen müsse, zentral: „Irgendwann ist es aus meiner Sicht aber wichtiger nach vorne zu blicken statt zurück. Dass in der Pandemie rückblickend Fehler gemacht wurden, ist vollkommen unstrittig. Bleibt für uns alle, medizinisch wie gesellschaftlich sicherzustellen, dass wir es in Zukunft besser machen.“