Finanzexperte zeichnet bittere Prognose für Rente in Deutschland: „Jede unterlassene Reform kostet Milliarden“

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Die Rentenpolitik steckt in einer Sackgasse. Ein Finanzexperte erklärt, warum Reformen immer wieder scheitern – und was jetzt dringend passieren muss.

München – Wie beim eigenen Rentenbescheid kneifen viele Deutsche auch bei der Debatte um die Altersvorsorge die Augen zu – ganz nach dem Motto: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.“ Doch während der Einzelne seinen Bescheid ungelesen in die Schublade legen kann, hat die Politik diesen Luxus nicht. Trotzdem scheint sie genau das zu tun: Wegschauen, vertagen, aussitzen. Ein Verhalten, das Finanzexperte Thomas Soltau als „historisch enttäuschend“ bezeichnet.

„Schon in den 80er-Jahren hat Norbert Blüm plakatiert: ‚Die Rente ist sicher‘. Das macht man nicht, wenn sie es tatsächlich ist“, erklärt Soltau im Interview mit t-online.de. Die Diagnose ist seit Jahrzehnten bekannt, doch die Therapie bleibt aus. Stattdessen wurden Milliarden in Systeme wie die Riester-Rente gepumpt, die laut Soltau gescheitert sind. „Wir geben jedes Jahr rund 3,5 Milliarden Euro an für das Riester-System aus – ohne dass es wirklich nachhaltige Wirkung zeigt.“

Ein Mann zählt 100-Euro-Geldscheine.
Ein Finanzexperte zeigt sich hinsichtlich der nicht umgesetzten Renten-Reformen enttäuscht. Im gleichen Zuge verweist er auf die verursachten Kosten. (Symbolbild) © ingimage/Imago

Nächste Renten-Reform droht zu scheitern – Finanzexperte kritisiert CDU und SPD

Doch warum scheitern Renten-Reformen immer wieder? Soltau sieht mehrere Gründe: „Es gibt viele gute Ideen – aber sobald eine Partei etwas vorschlägt, blockieren die anderen aus Prinzip oder weil sie Rücksicht auf bestimmte Wählergruppen nehmen müssen.“ Demnach habe besonders die CDU „lieber Rentengeschenke verteilt, statt echte Reformen anzustoßen“. Der Experte ergänzt: „Bei der SPD ist das ähnlich. Man will den Status quo sichern, um keine Wähler zu verlieren – besonders eben ältere Menschen.“

Erst Mitte Mai hat die neue Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) vorgeschlagen, künftig auch Beamte, Selbstständige und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen zu lassen. „Wir müssen mehr Leute an der Finanzierung der Rentenversicherung beteiligen“, erklärte sie gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es dauerte nicht lange, bis die Koalitionspartner CDU und CSU ihre Pläne in der Luft zerrissen. Damit bleibt also wieder alles beim Alten.

„Frau Bas sollte nicht versuchen, der Renten-Kommission alte SPD-Ideen als zukünftiges Ergebnis vorzuschreiben“, so CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann im Gespräch mit der Bild am Sonntag. Demnach löse die vorgeschlagene Renten-Reform „weder die Probleme in der Rentenversicherung“, noch sei das im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Ähnlich äußerte sich CDU-Kanzleramtschef Thorsten Frei in der ARD, er könne „keine Belegstelle im Koalitionsvertrag“ finden.

Düstere Aussichten für Rente: Generationenvertrag ist laut Finanzexperte nicht mehr zu retten

Die Sozialverbände SoVD und VdK begrüßen den Reform-Vorschlag dagegen. Allerdings wäre eine Umsetzung mit Hürden verbunden: „Für Beamte könnte die Umstellung auf die gesetzliche Rentenversicherung verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen, da die Beamtenversorgung im Grundgesetz verankert ist und der Bund ja seit 2016 nur für Bundesbeamte zuständig ist, die meisten Beamten aber bei den Ländern arbeiten“, so VdK-Präsidentin Verena Bentele gegenüber IPPEN.MEDIA.

Für Soltau ist das verschenkte Zeit. „Jede unterlassene Reform kostet uns nach hinten hinaus Milliarden. Dabei hätte die Ampel-Regierung die Chance gehabt, zu handeln. Besonders bitter ist, dass ein Reformpaket schon auf der Zielgeraden war“, so der Finanzexperte. Auch der neuen Regierung steht er skeptisch gegenüber. Er erwarte, dass die Rente als Zukunftsinvestition verstanden wird. Dabei sei längst bekannt, dass die gesetzliche Rente vor einem „massiven Problem“ steht.

Was ist der Generationenvertrag?

Der Generationenvertrag regelt die gesetzliche Rente in Deutschland. Dabei finanzieren die Arbeitenden durch ihre Beiträge die Renten der älteren Generation. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung basiert dieses System auf dem Solidaritätsprinzip und dem Vertrauen, dass die nachfolgende Generation später ebenfalls Beiträge leistet. Ziel ist eine finanzielle Absicherung im Alter, ohne dass individuelle Rücklagen entscheidend sind.

Gemeint ist der Generationenvertrag, der Soltau zufolge „in seiner jetzigen Form und ohne grundlegende Reform“ nicht mehr zu retten sei. Schon heute stehen knapp zwei Rentner einem Beitragszahler gegenüber – ein Verhältnis, das sich durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation in den kommenden Jahren noch dramatisch verschärfen wird. „Wir müssten ehrlich sagen: Dieses System ohne Eigenvorsorge und Kapitalmärkte reicht nicht mehr“, erklärt Soltau.

„Gemeinsames, tragfähiges Modell“ – so ist das kaputte Rentensystem zu retten

Vor dem demografischen Wandel warnen Fachleute schon seit Jahren. Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier sagte etwa in der ZDF-Doku „Die Wahrheit über unsere Rente“: „Das derzeitige Rentensystem, das wir in Deutschland haben, könnte uns in den Abgrund führen.“ Reporter Jochen Breyer sprach in diesem Zusammenhang davon, dass die „Renten-Titanic“ seit 50 Jahren Richtung Eisberg fahre. Personen, die heute in den Ruhestand gehen oder bereits Rentner sind, spüren davon noch wenig.

Soltaus Wunsch an die Politik: „Es braucht einen parteiübergreifenden Konsens. Ein gemeinsames, tragfähiges Modell, das über Legislaturperioden hinweg Bestand hat.“ Es reiche nicht, wenn einzelne Ministerien Vorstöße wagen, die dann beim nächsten Koalitionswechsel wieder verschwinden. Ob die Merz-Regierung diesen großen Wurf schaffen wird? Soltau bleibt hoffnungsvoll. Die im Koalitionsvertrag festgelegte Frühstart-Rente halte er schon für einen guten Ansatz. (cln)

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