So erklärt die Ampel das Aussetzen der Schuldenbremse

Die Ampel muss den Bundeshaushalt für 2023 nachträglich reparieren – und dafür die Schuldenbremse erneut umgehen. Dokumente zeigen, wie die Fraktionen den Schritt begründen.

Es soll jetzt alles ganz schnell gehen: Mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen von SPD, Grünen und FDP soll der Bundestag noch vor Weihnachten den verfassungswidrigen Bundeshaushalt 2023 nachträglich reparieren – indem die Abgeordneten kurz vor Ablauf des Jahres die sogenannte Notlage erklären und so mittels eines Nachtragshaushalt erneut die Schuldenbremse umgehen.

Bei einem Nachtragshaushalt handelt es sich um eine nachträgliche Veränderung eines bereits vom Parlament beschlossenen Etats. Damit will die Ampel-Regierung nun Kredite rechtlich absichern, die für die Energiepreisbremsen sowie zur Unterstützung von Flutopfern in diesem Jahr bereits genutzt wurden. Es geht um rund 45 Milliarden Euro.

Am Montag hat das Bundeskabinett dafür bereits einen entsprechenden Beschluss gefasst (mehr dazu lesen Sie hier). Als nächstes muss der Bundestag darüber entscheiden, nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters soll das Parlament final am 13. Dezember abstimmen.

Darum braucht es den Nachtragshaushalt

Nötig gemacht hat all das die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus der vorvergangenen Woche. Dieses hatte nicht nur den Nachtragshaushalt 2021, das Umwidmen der Corona-Hilfsgelder für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) als verfassungswidrig und "nichtig" erklärt, sondern zugleich auch die bislang übliche Praxis vom "Schulden-Parken" ganz grundsätzlich gerügt. Kreditermächtigungen dürfen demnach nicht über das Jahr ihres Beschlusses hinaus genutzt werden.

Die Folge: Auch der Wirtschaftsstabilisierungfonds (WSF), aus dem dieses Jahr allein rund 37 Milliarden Euro für die Energiepreisbremsen geflossen sind, ist nach dieser Rechtsprechung verfassungswidrig und musste geschlossen werden. Unter anderem dieses bereits ausgegebene Geld muss Finanzminister Christian Lindner (FDP) nun nachträglich in den regulären Bundeshaushalt buchen. Ebenso betroffen: der Ahrtalflut-Hilfsfonds.

Weil die Ampel-Regierung allerdings über keine Reserven verfügt, alle Mittel fest verplant oder im Laufe des Jahres ebenfalls schon ausgegeben sind, führt kein Weg daran vorbei: Über den Nachtragshaushalt werden die Milliarden aus dem WSF nachträglich zu regulären Schulden "umgebaut", wofür ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse nötig wird.

Russlands Überfall wichtigster Grund für Extra-Schulden

Dieser Schritt wiederum – der sich so nun im vierten Jahr in Folge wiederholt – erfordert die juristisch wasserdichte Begründung einer "Notlage", über die bis zuletzt viel diskutiert wurde. Denn: Wie lässt sich jetzt, Ende November, noch eine Notlage für das fast abgelaufene Jahr erklären, die zu seinem Beginn noch keiner sah?

Die Herleitung dafür findet sich sowohl im Kabinettsbeschluss, den Lindner am Montag eingebracht hat, als auch im Vorabexemplar eines entsprechenden Gesetzesantrags, den die Ampel-Fraktionen im Plenum einbringen wollen. Beide Dokumente liegen t-online vor. Wörtlich heißt es in der Vorabversion des Antrags:

"Eine außergewöhnliche Notsituation aufgrund der mit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verbundenen tiefgreifenden humanitären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die sich aufgrund dieses exogenen Ereignisses der Kontrolle des Staates entzieht, besteht im Jahr 2023 weiter fort und beeinträchtigt auch im Jahr 2023 einnahme- und ausgabeseitig erheblich die staatliche Finanzlage, wobei insbesondere der Bund betroffen ist."

Teure Energie, hohe Kaufkraftverluste

Im Klartext: Auch jetzt, mehr als 600 Tage nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, rechtfertigt der Krieg im Osten Europas laut den Ampel-Fraktionen noch die Notlage. Ein weiterer Grund sei die Ahrtal-Flutkatastrophe, die für die besagten Ahrtal-Milliarden-Hilfen wichtig. Wörtlich heißt es in dem Antrag:

"Auch in Hinblick auf die Flutkatastrophe im Sommer 2021 insbesondere in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ergibt sich eine außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt." Das dafür aufgelegte Sondervermögen "Aufbauhilfe 2021" lasse sich nach der jüngsten Rechtssprechung aus Karlsruhe nicht länger nutzen – aber: es sei weiter erforderlich, die Schäden im Ahrtal zu beseitigen, weshalb eine die aufgenommenen Schulden 2023 bei der Berechnung der Schuldenbremse berücksichtigt werden müssten.

Ferner führt der Antrag als Begründung der wirtschaftlichen Notlage weitere Auswirkungen der russischen Aggression auf Deutschland an: