Alzheimer kann offenbar übertragbar sein – unter sehr seltenen Umständen

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Ein Forschungsteam aus London will gezeigt haben, dass Alzheimer übertragbar ist. Ein Experte findet diese Einschätzung jedoch „verfrüht“.

London – Alzheimer ist eine tückische Krankheit, die im menschlichen Gehirn Unheil anrichtet, lange bevor der Mensch erste Alzheimer-Symptome bemerkt. Das Protein Amyloid-Beta wird dabei falsch gefaltet und verklumpt sich im Gehirn. Es entstehen kleine Ansammlungen zwischen den Nervenzellen, die zum kognitiven Abbau führen. Geheilt werden kann die neurodegenerative Erkrankung bisher nicht, doch es gibt einige Fortschritte bei Medikamenten und Therapien.

Ein Forschungsteam vom University College in London hat nun etwas herausgefunden, das auf den ersten Blick erschreckend klingt: Offenbar ist Alzheimer übertragbar.

Kann Alzheimer übertragen werden? Neue Studie beschreibt acht Patienten

Das schließt das Forschungsteam um den Neurologen John Collinge zumindest aus seiner Arbeit, die im Fachjournal Nature Medicine veröffentlicht wurde. Darin beschreiben Collinge und sein Team acht Personen, die in ihrer Kindheit ein bestimmtes Wachstumshormon gespritzt bekamen – und die nun im Alter zwischen 38 und 55 Jahren neurologische Symptome entwickelten. Fünf dieser Personen hätten Demenz-Symptome und hätten entweder bereits eine Alzheimer-Diagnose erhalten oder würden den Kriterien dafür entsprechen, heißt es in einer Mitteilung zur Studie.

Bei einer Alzheimer-Erkrankung wird das Protein Amyloid-Beta falsch gefaltet und verklumpt sich im Gehirn. Es entstehen kleine Ansammlungen zwischen den Nervenzellen, die zum kognitiven Abbau führen. (Symbolbild) © IMAGO/ingimage

Eine weitere Person erfüllte demnach die Kriterien für eine leichte kognitive Beeinträchtigung. Weil die Patienten ungewöhnlich jung waren, als sie die Symptome entwickelten, geht das Forschungsteam davon aus, dass es sich nicht um die übliche Alzheimer-Erkrankung handelt, die mit dem Alter in Zusammenhang steht. Bei fünf Patienten, bei denen die Forscher Gentests durchführen konnten, konnte außerdem eine vererbte Alzheimer-Erkrankung ausgeschlossen werden.

Wachstumshormon könnte Alzheimer übertragen haben

Der Fokus des Forschungsteams richtete sich deshalb auf das Wachstumshormon, das die Patienten in ihrer Kindheit erhielten. Es handelte sich um ein aus dem Hirngewebe Verstorbener gewonnenes Wachstumshormon (c-hGH), mit dem in Großbritannien zwischen 1959 und 1985 mindestens 1848 Menschen behandelt wurden. Als jedoch festgestellt wurde, dass einige Chargen des Wachstumshormons die Creutzfeld-Jakob-Krankheit auslösten, wurde das Mittel 1985 durch synthetische Wachstumshormone ersetzt.

Bereits in einer Studie 2018 vermuteten Forscher, dass Personen, denen kontaminiertes c-hGH gespritzt wurde und die keine Creutzfeld-Jakob-Krankheit entwickelten, später eine Alzheimer-Erkrankung bevorstehen dürfte. Genau das will das Forschungsteam um Collinge nun gezeigt haben. Der Studienleiter gibt jedoch gleich Entwarnung: „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Alzheimer-Krankheit bei Aktivitäten des täglichen Lebens oder bei medizinischer Routineversorgung von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.“

Studie zu Übertragung von Alzheimer könnte Einblick in die Mechanismen der Krankheit geben

Co-Autor Jonathan Schott ergänzt: „Es ist wichtig zu betonen, dass die Umstände, unter denen diese Personen auf tragische Weise an Alzheimer erkrankten, höchst ungewöhnlich sind.“ Die Ergebnisse könnten jedoch einen wertvollen Einblick in die Mechanismen von Alzheimer geben, so Schott weiter.

Nun seien Maßnahmen nötig, findet Collinge: „Die Erkenntnis, dass die Amyloid-Beta-Pathologie in diesen seltenen Fällen übertragen wurde, sollte uns dazu veranlassen, Maßnahmen zur Verhinderung einer versehentlichen Übertragung durch andere medizinische oder chirurgische Verfahren zu überprüfen, um solche Fälle in Zukunft zu vermeiden.“

Experte schränkt ein: Alzheimer-Studie basiert nur auf fünf Personen

Michael Beekes vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin war an der Studie nicht beteiligt. Er ist der Ansicht, dass es sich um eine „wichtige Pilotstudie“ handelt, schränkt jedoch auch etwas ein: „Die Schlussfolgerungen der Studie bezüglich einer Übertragbarkeit der Alzheimerkrankheit beruhen allerdings auf lediglich fünf Patienten/Patientinnen, die drei bis vier Jahrzehnte nach der Behandlung mit Wachstumshormonen eine Demenz entwickelt haben.“

Zwei der fünf Personen hätten seit ihrer Kindheit geistige Behinderungen, „die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das frühzeitige Auftreten einer Demenz einhergehen“, so Beekes weiter. Es handele sich außerdem nicht um einen „definitiven neuropathologischen Alzheimer-Nachweis“.

Der Wissenschaftler wünscht sich weitere Studien zum Thema und betont: „Aus meiner Sicht erscheint es verfrüht, das klinische Syndrom der Patienten bereits aufgrund der aktuell berichteten Daten als iatrogene – das heißt durch ärztliche Behandlung verursachte – Alzheimerkrankheit zu bezeichnen und die Alzheimerkrankheit somit als übertragbar anzusehen.“ (tab)

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