Merz‘ Finanzpaket: Die Verfassung als Schmierzettel
Grundgesetz-Änderung mit dem Klimaziel 2045: Das soll jetzt alles sehr schnell gehen. Zu schnell, warnt unser Kommentator Christian Deutschländer. Die demokratische Legitimation hält er für zu dünn.
Um nichts zu vergessen im Supermarkt, ist ein Einkaufszettel – Gurken, Tomaten, Leberwurst – eine tolle Gedankenstütze, ein zerknittertes Schmierblatt reicht dafür. Um nichts zu vergessen beim Regierungsbilden, darf die Gedankenstütze doch etwas ausgefeilter sein. Und man sollte bitte nicht das Grundgesetz leichtfertig dafür hernehmen. In den letzten Wochen haben Bald-Regierung ebenso wie die grüne Bald-Opposition den Ernst im Umgang mit unserer Verfassung vermissen lassen. Das Grundgesetz scheint gerade zum Kritzelblock für Koalitionsverhandlungen zu schrumpfen.
Abgewählter Bundestag ändert Grundgesetz: Klimaneutralität soll als Kompromiss für die Grünen dienen
Im Kern ist es schon richtig, den größten Schuldenblock der jüngeren Geschichte durch eine Formel in der Verfassung abzusichern. Die Kredite dort mit dem Nebelwort „Sondervermögen“ zu beschönigen, haben frühere Regenten erfunden. Doch arg irritierend ist das Verfahren: Im alten, schon abgewählten Bundestag wird die Änderung schnell durchgepeitscht, weil da eine Zweidrittel-Mehrheit leichter hergeht. Und um die Grünen bei Laune zu halten (oder eher: um ihre Stimmen zu erkaufen), quetschen Merz, Klingbeil und Co auch noch „Klimaneutralität bis 2045“ ins Grundgesetz.
Beständige, geachtete Verfassungen sind in Zeiten des Erstarkens Radikaler wichtiger denn je
Was soll dieses Hoppla-Hopp-Verfahren? Das Ziel von Klimaneutralität – also: nicht mehr CO2 ausstoßen als die Natur binden kann – ist richtig, auch wenn (oder gerade weil) der Klimaschutz angesichts Krisen und Kriegen vielen aus dem Blickfeld gerutscht ist. Nachhaltige Politik bleibt unverzichtbar. Aber die Zielkonflikte hinter der Zahl 2045 sind riesig mit Blick auf Industrie, Energie und die oft fehlende Technologie-Offenheit. Über das Ziel, den Weg dahin und die juristischen Folgen (Klagen?) braucht es gründlichere Debatten. Und mehr demokratische Legitimation, als sie ein Nochnichtkanzler und der Nichtmehrbundestag gemeinsam aufbringen.
Genauso fragwürdig ist der Plan, per Bundesrecht die Schuldenbremse in Bayerns Verfassung auszuhebeln, um sich im Freistaat eine Volksabstimmung über höhere Schulden zu sparen. Winkeladvokatisch ist diese Idee genial, politisch gemütlich, aber demokratisch verheerend. Bayerns wunderbare Verfassung ist kein Brotzeitpapier. Für die ganze Republik gilt: Gerade in Zeiten des Erstarkens Radikaler sind sturmfeste, beständige, geachtete Verfassungen wichtiger denn je. (Christian Deutschländer)