Von der Leyen will EU-Kommissionschefin bleiben – und ändert dafür ihre Prioritäten
Knapp vier Monate vor der Europawahl legt sich Ursula von der Leyen fest: Sie will wieder Kommissionschefin werden. Aus der Union bekommt sie volle Unterstützung – im Gegenzug ändert sie ihre Prioritäten.
München – Sie hatte sich doch längst verraten. Am Wochenende saß Ursula von der Leyen auf der Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz, neben ihr der scheidende niederländische Premier Mark Rutte. Es ging um Europas Sicherheit und die EU-Kommissionschefin gab ein Versprechen ab: Wenn sie im Amt bleibe, dann werde sie einen Verteidigungskommissar einsetzen, sagte sie. Wenn, dann.
„Wohlüberlegte Entscheidung“: von der Leyen will Kommissionschefin bleiben
Das war schon mehr als ein Fingerzeig. Seit gestern weiß man es ganz genau: Die CDU-Politikerin will Kommissionschefin bleiben. „Ich möchte mich für eine zweite Amtszeit bewerben“, sagt sie im Konrad-Adenauer-Haus. Anders als 2019, als alles schnell gehen musste, sei es diesmal eine „ganz bewusste und wohlüberlegte Entscheidung“.

Ihre Kandidatur ist damit so gut wie sicher. Final entscheidet zwar erst der Parteitag der EVP am 6./7. März in Bukarest, aber Gegenkandidaten gibt es bisher keine. Die Rückendeckung der Union hat sie bereits. Der CDU-Vorstand habe einstimmig für sie gestimmt, sagt Parteichef Friedrich Merz bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Sein bayerischer Kollege Markus Söder erklärt, die CSU werde von der Leyen „kraftvoll unterstützen“.
So selbstverständlich, wie das jetzt klingt, war die Unterstützung nicht immer. Die Union, auch die EVP, haderten bisweilen sehr mit der Politik ihrer Spitzenfrau. Vor allem die Klimapolitik war vielen zu grün, die Regulierungen für Industrie und Wirtschaft zu straff. EVP-Chef Manfred Weber mobilisierte zeitweise offen gegen von der Leyens Klima-Pläne. Es gab eine Phase, als die Spitzenkandidatur arg wackelte.
Kaum ein Wort über den Green Deal – von der Leyen ändert ihre Ausrichtungen
Aber von der Leyen reagierte. In ihrer Rede zur Lage der EU im September versprach sie mehr Engagement für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Landwirtschaft. Auch gestern verliert sie kaum ein Wort über ihr einstiges Prestigeprojekt, den Green Deal. Die Schwerpunkte sollen jetzt andere sein: Wettbewerbsfähigkeit, der Kampf gegen die „Spaltung von innen und außen“ – und Europas Sicherheit. Der Verteidigungskommissar, auf den sie vor fünf Jahren noch verzichtet hatte, soll primär eine Aufgabe haben: Die Verteidigungsindustrie koordinieren, ihre Produktion steigern, auch: den Austausch zwischen Europas Armeen verbessern.
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Für die 65-Jährige werden die nächsten Monate eine neue Erfahrung. Jetzt muss sie Wahlkampf machen – anders als noch 2019, als sie völlig unverhofft ins Amt schlitterte. EVP-Spitzenkandidat und Wahlsieger war damals der Niederbayer Manfred Weber, der gerne Kommissionschef geworden wäre, aber am massiven Widerstand des französischen Präsidenten scheiterte. Von der Leyen war damals die Kompromisskandidatin. Nicht nur Weber litt darunter, sondern auch die Legitimation der neuen Chefin.
Diesmal soll es anders werden – wer die EVP wählt, soll von der Leyen bekommen. Unter den Staats- und Regierungschefs dürfte sie nach der Wahl eine sichere Mehrheit haben, Macron ist auf ihrer Seite, von Kanzler Olaf Scholz ist kein Widerstand zu erwarten. Schwieriger wird es, eine Mehrheit im Parlament zu finden. Da ist einerseits der erwartete Rechtsruck, andererseits Murren von links. Die Grünen etwa stören sich schon jetzt daran, dass von der Leyen nicht selbst für das Parlament kandidiert, also gar nicht auf dem Wahlzettel steht. Das sei irritierend.
Kühnert wundert sich über Merz – „‚schizophren‘ noch beschönigend“
Auch aus der SPD gibt es Kritik – vor allem wegen des großen Merz-Lobs für die Parteifreundin. „Das ist, glaube ich, mit ‚schizophren‘ noch beschönigend zu umschreiben“, sagt SPD-General Kevin Kühnert. Merz habe von der Leyen in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert, plötzlich sollen sie „ein Herz und eine Seele“ sein. Dass Merz jetzt betont, er sei „sehr dankbar“ für die Arbeit der Kommissionschefin, wirkt tatsächlich etwas kurios.
Von der Leyen stört das nicht weiter. Am Montag verweist sie auf ihre Erfolge, die ja nicht wegzudiskutieren sind. Auch Kritiker würdigen ihre frühe, unzweideutige Unterstützung für die Ukraine, ihren guten Draht zu US-Präsident Joe Biden. Sollte die EVP die Europawahl im Juni gewinnen, sind von der Leyen wohl fünf weitere Jahre sicher. Ein Brüsseler Diplomat sagt es so: Eine zweite Amtszeit „ist nahezu unvermeidlich“. (Marcus Mäckler)