Putin macht Druck auf Nato-Land: Finnland fürchtet neue Welle Geflüchteter aus Russland

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Früher war hier der lebhafteste Grenzverkehr: der seit November geschlossene Grenzübergang Vaalimaa bei Virolahti in Südfinnland im März. © Lauri Heino/Lehtikuva/Imago

Die Spannungen an der Grenze zwischen Finnland und Russland steigen wieder an. Helsinki fürchtet eine neue Welle Geflüchteter und diskutiert ein schärferes Gesetz. Moskau stationiert derweil Iskander-Raketen.

Der Winter ist vorbei, und es taut in der Wildnis entlang der finnisch-russischen Grenze. Die Regierung in Helsinki fürchtet, dass mithilfe Russlands eine neue Welle Geflüchteter dort ankommen könnte – und dass die Menschen ohne den hinderlichen Schnee nun auch über die unbewachten Teile der Grenze gelangen könnten. Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo hat daher die Europäische Union aufgefordert, sein Land dabei zu unterstützen, den Zustrom von Migranten über Russland zu stoppen.

Dafür lud er kürzlich eigens EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einem Besuch an der Grenze nahe der Kleinstadt Lapeenranta ein. Das wärmere Wetter im Frühjahr erhöhe das Risiko, dass Russland Menschen dabei helfe, „außerhalb der Grenzübergänge“ illegal nach Finnland zu gelangen, betonte Orpo dort. Die Grenzübergänge hatte Finnland im November 2023 geschlossen, nachdem laut Helsinki mehr als 1300 Geflüchtete aus Syrien, dem Jemen, Marokko, Irak, Afghanistan und Somalia ohne Visum an der Grenze auftauchten. Orpo sprach damals von einer „hybriden Bedrohung“ durch Moskau.

Russland stationiert Iskander-Raketen entlang der Grenze

Parallel droht Russland seit Finnlands Nato-Beitritt im April 2023 mit der Stationierung von Soldaten und Waffensystemen entlang der Grenze. Am Dienstag berichtete nun die Kreml-nahe Zeitung Iswestija, dass eine Brigade mit den atomwaffenfähigen Hyperschallraketen Iskander-M an der Grenze aufgebaut werde. Diese Raketen sind auch in der Ukraine im Einsatz. „Wenn sich das im Laufe der Zeit bewahrheitet, wird das in Finnland nichts ändern“, schrieb der finnische ehemalige Generalmajor und Sicherheitsberater Harri Ohra-Aho auf X. Solche Raketen hätten früher südlich von St. Petersburg gestanden – also auch nicht wirklich weit entfernt. „So oder so müssen wir uns gegen Iskander-Raketen verteidigen können.“ Die Message ist: Wir bleiben ruhig.

Dennoch zeichnet sich ab, dass die Spannungen entlang der Grenze nach der Ruhe des eisigen Winters nun wieder zunehmen. Finnland verlängerte gerade erst die Schließung der Grenzübergänge zu Russland – und das erstmals auf unbestimmte Zeit. Parallel diskutiert Finnland einen Gesetzentwurf, der schnellere Rückführungen von Migranten direkt an der Grenze erlauben würde, sogenannte „Pushbacks“. Der Entwurf ist durchaus umstritten und widerspricht dem EU-Zurückweisungsverbot, das auf einem grundlegenden Prinzip im internationalen und europäischen Asylrecht basiert.

Migration aus Russland: Finnland plant Verschärfung der Asylregeln

Bislang konnten die wenigen Migranten, die Finnland erreichten, dort auch Asylanträge stellen. Die Zeitung Barents Observer aus der norwegischen Polarstadt Kirkenes nahe der Grenze berichtete, dass im Herbst 2023 mehrere russische Beamte zugegeben hätten, Migranten auf Anweisung des Moskauer Innenministeriums mit Bussen oder Fahrrädern zur Grenze transportiert zu haben. Grenzmitarbeiter des Geheimdienstes FSB seien dabei gesehen worden, wie sie den Migranten beim Grenzübertritt geholfen hätten.

Auch Kirkenes selbst hat Erfahrung mit solchen Operationen: Ab 2015 – also kurz nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und ersten Sanktionen des Westens gegen Moskau – waren Tausende Migranten in dem wilden Landstrich des Dreiländerecks zwischen Russland, Norwegen und Finnland aufgetaucht. Mehr als 5000 von ihnen erreichten Kirkenes.

Erste Geflüchtetenwelle aus Russland kam schon 2015 nach Finnland und Norwegen

Norwegen verschärfte das Grenzregime, und die Menschen drängten ab Anfang 2016 stattdessen nach Finnland. Auch damals fiel der Verdacht schon auf ein gezieltes Manöver Russlands. Irgendwann endete der Zustrom damals so plötzlich wie er begonnen hatte. Im Winter 2021/2022 empörte Belarus die Welt, weil es Migranten gezielt zur Grenze mit den EU-Nachbarländern Polen, Litauen und Lettland geschleust hatte. Tausende Geflüchtete campierten an der Grenze zu Polen. Warschau blieb damals ebenso hart wie Helsinki heute. Als ab Ende November Hunderte von Asylbewerbern bei eisigen Temperaturen von minus 25 Grad wochenlang auf der russischen Seite der Grenze festsaßen, kritisierten allerdings finnische und internationale Menschenrechtsgruppen die harte Haltung der konservativen Regierung.

„Wir alle wissen, wie (der russische Präsident Wladimir) Putin und seine Verbündeten Migranten instrumentalisieren, um unsere Verteidigung zu testen und zu versuchen, uns zu destabilisieren“, sagte Ursula von der Leyen an der finnischen Grenze. „Hier geht es nicht nur um die Sicherheit Finnlands, sondern um die Sicherheit der Europäischen Union.“ Unklar bleibt allerdings, wie Brüssel mit dem umstrittenen Asylgesetz umgehen wird, sollte Finnland es unverändert in Kraft setzen. Von der Leyen betonte gegenüber Orpo, dass alle Maßnahmen ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Grenzen und den internationalen Verpflichtungen herstellen müssten.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen spricht nahe der Grenze zu Russland mit Finnlands Ministerpräsident Petteri Orpo.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen reiste mit Finnlands Ministerpräsident Petteri Orpo an die Grenze zu Russland: Helsinki möchte EU-Unterstützung beim Schutz vor von Moskau orchestrierter Migration © Antti Aimo-Koivisto/Lehtikuva/AFP

Die Migration beschäftigt Brüssel allerdings ohnehin seit Wochen. Gerade erst hat das EU-Parlament den sogenannten Migrationspakt verabschiedet, der unter anderem Asylverfahren beschleunigen und an die Außengrenzen verlagern soll. Er besteht aus acht Verordnungen, von denen eine sich mit der Bewältigung von Krisensituationen befasst. Dazu gehört laut EU-Parlament auch „die Instrumentalisierung von Geflüchteten, die von Drittstaaten oder feindseligen nichtstaatlichen Akteuren gezielt eingesetzt werden, um die EU zu destabilisieren“. Betroffene Staaten können demnach im Krisenfall Unterstützung aus Brüssel oder eine Anpassung der üblichen Prozeduren an der Grenze beantragen. Davon könnte auch Finnland profitieren. Noch muss der EU-Rat das Paket aber formal beschließen.

Russland nutzt europäischen Doppelstandard aus

Moskau nutze gezielt den unterschiedlichen Umgang der EU mit den willkommenen ukrainischen Geflüchteten und den Asylbewerbern aus muslimischen Ländern wie Syrien oder Afghanistan, glaubt Pauline Baudu vom kanadischen Arktis-Thinktank Arctic360. Letztere gelten vielerorts als Bedrohung der inneren Sicherheit, so Baudu in einem Aufsatz zu der aktuellen Krise. Dieser Doppelstandard erhöhe die „Gefährdung und Verwundbarkeit der europäischen Länder für hybride Taktiken, die speziell darauf setzen, gesellschaftliche Spaltungen und Ängste im Zusammenhang mit der Migration auszunutzen“.

Baudu empfiehlt Finnland und Norwegen, in der Gesellschaft eher die Chancen durch Zuwanderung zu thematisieren, um diese Spannungen abzubauen. Beide Länder brauchen aufgrund der Überalterung ausländische Fachkräfte – ebenso wie Deutschland. Grundsätzlich sind Finnland und Norwegen laut Baudu aber gut positioniert, auf das Problem zu reagieren. „Beide haben lange Traditionen im Aufbau von Vorsorge und gesellschaftlicher Resilienz gegenüber russischer Einflussnahme.“

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