Eskalation in Syrien: Jetzt könnte Trump seine Chance im Nahen Osten wittern
In Syrien sehen sunnitische Rebellen ihre Chance. Wie reagieren die USA und der designierte Präsident Donald Trump? Eine neue Ordnung könnte entstehen.
Washington/Aleppo– Aleppo haben die Sunniten bereits erobert. War dies der Startschuss für eine Art neuer Ordnung im Nahen Osten, die unter der Federführung Donald Trumps entstehen könnte? Eine neue Ordnung mit einem empfindlich geschwächten Iran?

Die Aufständischen des „Komitees zur Befreiung der Levante“ (Hajat Tahrir al-Scham, HTS) rücken seit vergangener Woche im Norden Syriens vor und haben bereits Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes, übernommen. Ihr militärischer Erfolg mag damit zusammenhängen, dass die wichtigsten Verbündeten des syrischen Machthabers Baschar al-Assad geschwächt sind: Der Iran und die mit ihm verbündete schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon sind durch die militärischen Auseinandersetzungen mit Israel in Bedrängnis, die Kräfte Russlands sind stark durch den Angriffskrieg in der Ukraine gebunden.
Iran zeigt sich besorgt – Wende in Syrien könnte Schwächung bedeuten
Der Iran zeigt sich durchaus besorgt: Angesichts der Offensive hat der Iran einen berüchtigten General und weitere Militärberater nach Syrien geschickt, um der Regierung in Damaskus zu helfen. Die Delegation unter der Führung von General Dschawad Ghafari, eines Syrien-Kenners, soll nun die Gegenoffensive der Regierungstruppen rund um Hama unterstützen, wie die arabischsprachige Abteilung des iranischen Rundfunks, Al-Alam, meldete.
Die Sunniten nutzen die Gunst der Stunde, und auch für Trump könnte es noch vor Beginn seiner offiziellen Amtszeit eine Gelegenheit sein, sich international zu profilieren. In einer Region, die seit dem Beginn des Gaza-Krieges am 7. Oktober 2023 im Umbruch ist, hat sich die Position der USA in Bezug auf Syrien in den zurückliegenden Jahren nicht groß verändert. Zunächst hatte Washington vergeblich versucht, den 2011 entflammten Bürgerkrieg in dem strategisch wichtigen Land zu beenden. Nachdem Russland 2015 in den Konflikt eingegriffen hatte, wendete sich das Blatt zugunsten Assads, der sich an der Macht halten konnte. Die USA waren nicht in der Lage, an diesem Status zu rütteln.
USA unter Biden ignorierten die Lage in Syrien
Auch wenn der syrische Machthaber aufgrund seiner Brutalität im Westen ein Paria ist, unternehmen die Vereinigten Staaten nichts, um seinen Sturz voranzutreiben, und unterstützen auch nicht die Aufständischen im Land. „Die Biden-Regierung hat Syrien nicht nur auf die lange Bank geschoben. Sie hat sich gar nicht mehr damit befasst“, sagt der Syrien-Experte Andrew Tabler, der während der ersten Amtszeit Trumps als Regierungsberater tätig war, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. „Wenn man sich mit den Dingen nicht beschäftigt, heißt das nicht, dass sie nicht überkochen können.“
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Nun jedoch könnte sich alles ändern. Nach der Einschätzung Tablers könnte Assad durch die jüngsten militärischen Rückschläge am Ende gezwungen sein, einer Verhandlungslösung zuzustimmen, der er sich jahrelang widersetzt hat. „Ich denke, dass eine neue Regierung, die Syrien und ähnlichen Konflikten mehr Aufmerksamkeit schenkt, besser in der Lage sein wird, diese zu gestalten“, sagt er.
Und was wären Trumps Optionen, sollte er im Gegensatz zu seinem Vorgänger in Syrien eingreifen wollen? Er könnte sich politisch oder durch Waffenhilfe auf die Seite der Rebellen stellen oder gar militärische Präsenz zeigen. All das mit dem Ziel, Assad und damit auch den Iran zu schwächen.
Trump wollte als Präsident die letzten US-Soldaten aus Syrien abziehen
Der demokratische Präsident Barack Obama vermied es in seiner Amtszeit, Assad anzugreifen und den Aufständischen unter die Arme zu greifen. Stattdessen ging er ein Bündnis mit den kurdischen Kämpfern ein, um mit deren Hilfe den sich in der Region ausbreitenden Islamischen Staat (IS) zu besiegen. Trump könnte eine aktivere Strategie fahren, auch wenn er in seiner ersten Amtszeit die rund 900 in Syrien stationierten US-Soldaten auf Drängen der Türkei gar abziehen wollte. Nach internationalen Appellen machte er aber einen Rückzieher. Er hätte die verbündeten syrischen Kurden im Stich gelassen.
Der Syrien-Experte von der Universität Oklahoma, Joshua Landis, sagt, das vorrangige US-Interesse habe bisher darin bestanden, „Israel zu unterstützen und dem Iran und Russland zu schaden“. Der Vorstoß der Aufständischen habe nun das Potenzial, „die Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten auf dramatische Weise zu verändern“, sagt Landis. Ein Sieg der HTS-Kämpfer würde nach seiner Einschätzung den sogenannten schiitischen Halbmond durchbrechen, in dem der Iran seinen Einfluss nach Westen bis in den Libanon ausgedehnt hat. „Dies wäre ein großer Segen für Israel und ein Karate-Schlag gegen den Iran.“
HTS-Kämpfer werden wohl nicht zu US-Verbündeten
Verbündete sind in den HTS-Kämpfern wohl kaum zu erwarten für die USA. Landis stellt klar, dass diese sich wohl auch gegen die USA stellen würden. Daher sei es ein „Dilemma für die USA und Israel. Wollen sie eine islamistische Regierung in Syrien oder ziehen sie es vor, dass das Land geteilt und schwach bleibt?“, fragt Landis.
Die Bevölkerung in Syrien sehnt sich nach Stabilität und Frieden. Eine halbe Million Menschen wurden im syrischen Bürgerkrieg getötet und Millionen in die Flucht getrieben. Viele von ihnen suchten Schutz in Europa, was dort 2015 zur Flüchtlingskrise führte. Durch die neuen Kämpfe sind nach UN-Angaben bereits jetzt fast 50.000 Menschen vertrieben worden. Der nahende Winter werde die Not der Zivilbevölkerung verschärfen, sagt Mona Yacoubian vom US Institute of Peace in Washington. „Das wirft eine große Frage auf: Wohin gehen die Leute, die auf der Flucht sind?“
Assads Streitkräfte beginnen Gegenoffensive gegen Rebellenallianz
Dass die Rebellen in Syrien erfolgreich sind, ist indes keineswegs gesichert. Assads Truppen scheinen sich nach dem ersten Schock nun sortiert zu haben. Nach dem raschen Vormarsch der islamistischen Rebellenallianz hat die Armee von Machthaber Baschar al-Assad eine Gegenoffensive begonnen. In der Nacht zu Mittwoch (4. Dezember 2024) drängten die Streitkräfte die Aufständischen von der Stadt Hama rund zehn Kilometer nach Norden zurück, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und Regierungskreise berichteten. Irakische Milizen wollen zudem Assad unterstützen.
Laut der Beobachtungsstelle mit Sitz in London, die mit einem Netz aus Informanten vor Ort das Kriegsgeschehen verfolgt, kamen bei den Gefechten inzwischen mehr als 570 Menschen ums Leben, unter ihnen auch knapp 100 Zivilisten. (cgsc mit AFP und dpa)