Ukraine-Krieg: Viele Soldaten fliehen vor Putins Armee

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Die Streitkräfte von Wladimir Putin richten ihr Augenmerk auf die Donbass-Festung Pokrowsk. Ausgerechnet jetzt scheinen ukrainische Soldaten zu fliehen.

Pokrowsk – Die Verteidiger wehren sich im Ukraine-Krieg weiter standhaft. Mancherorts tun sie es mit einem einzelnen Leopard-2-Panzer gegen mehrere russische Panzer des brutalen Moskau-Regimes von Kreml-Autokrat Wladimir Putin.

Donbass-Front im Ukraine-Krieg: Die russische Armee zielt auf Pokrowsk ab

Währenddessen schickt Putin russische Soldaten schon mal in Lada-Pkws in die blutigen Gefechte, weil die Verluste unter seinen Streitkräften so gewaltig sind. Sie sind aber auch unter den Ukrainern hoch, weswegen die Invasionsarmee aus Russland im Donbass kurz vor Pokrowsk steht, jener Stadt, die laut einer Analyse der britischen Tageszeitung The Independent die „wichtigste des Krieges sein könnte“.

Schließlich würde eine Einnahme der Industrie- und Bergbaustadt den Russen „Angriffsmöglichkeiten in verschiedene Richtungen“ ermöglichen. Gerade in dieser Gemengelage sollen Desertationen in der ukrainischen Armee zunehmen – und zwar schon seit Monaten. Ergibt sich daraus eine regelrechte Chance für Putins Truppen in dem heftigen Blutvergießen?

Russische Artillerie nimmt ukrainische Stellungen bei Pokrowsk unter Beschuss.
Russische Artillerie nimmt ukrainische Stellungen bei Pokrowsk unter Beschuss. © IMAGO / SNA

Im Krieg mit Wladimir Putins Regime: Ukraine hat mit Desertationen zu kämpfen

Laut Arte berichtete die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft im Oktober 2024 nach einer Untersuchung, dass zwischen Januar und August 2024 mehr als 15.554 Soldaten desertierten. Es waren fünfmal so viele wie noch im gesamten Jahr 2022 (3342) und fast doppelt so viele wie 2023 (7883). Unerlaubte Abwesenheit von der Truppe und Befehlsverweigerung an der Front in diese Statistik hinzuaddiert, seien es einzig 2024 rund 50.000 Dienstverweigerer gewesen. Die Verbände an der mehrere Hunderte Kilometer langen Front sollen unbestätigten Berichten zufolge insgesamt etwa 300.000 Soldatinnen und Soldaten umfassen.

Der Arte-Bericht beruft sich unter anderem auf den Journalisten Stanislav Asseyev, der die Zahl der tatsächlichen Deserteure in der ukrainischen Armee und der Territorialverteidigung bis Ende letzten Jahres auf „garantiert über 100.000“ schätzt. Sein eigenes Bataillon sei aufgrund hoher Verluste und wegen Desertation aufgelöst worden. „Die Schützengräben aus Lehm und Erde bestehen im Herbst oder Frühling nur noch aus Schlamm. Wir harren in unterirdischen Verstecken aus. In Löchern, mit kleinen Öfen zum Warmhalten. Wir sind im Donbass und auf der Krim schon seit zehn Jahren im Krieg. Bei weiteren zehn Jahren in dieser Intensität haben wir (die Ukraine, d. Red.) keine Überlebenschance“, erklärte Asseyev, der selbst als Soldat mehrere Monate an der Front war.

Desertationen in der ukrainischen Armee: Rotation an der Front funktioniert nicht

Die in Kiew geplante Rotation funktioniere noch immer nicht. Manche Frontsoldaten würden seit der vollumfänglichen russischen Invasion in der Ukraine seit Februar 2022 auf Ablösung warten. Wegen Reservistenmangel würden manche dieser Soldaten nicht mal Fronturlaub nehmen können. Auch das führe zu Frust unter den Truppen und schließlich zu Desertation. Viele junge Rekruten, die ohne Erfahrung an die Front geschickt würden, würden dagegen der Härte der Kämpfe nicht standhalten.

„Mit einer drei- oder vierwöchigen Kurzausbildung im Dienst an der Waffe ist man für die Realität eines Einsatzes an der Front oder auch nur in Frontnähe nicht gewappnet. Und diese Erfahrung treibt dann eben viele zur Desertation“, sagte Ulrich Bounat, ein Osteuropa-Experte, in demselben Arte-Beitrag. Der Ukraine-Korrespondent der französischen Tageszeitung Libération, Stéphane Siohan, sprach ferner von „postsowjetischen Zuständen“ im Führungsstil vieler ukrainischer Verbände, mit einer „sehr starren Hierarchie und wenig Respekt für den Menschen, für den Einzelnen“. Das stünde im Widerspruch „zur Mentalität der jüngeren Offiziere, der 25- bis 35-Jährigen“, meinte er weiter: „Die sind hochsensibel für den Einzelnen, für den Wert des menschlichen Lebens.“

Verluste im Krieg mit Russland: Viele junge ukrainische Rekruten darunter

Bereits im Herbst hatte die amerikanische Financial Times (FT) berichtet, dass gerade unter den jungen ukrainischen Rekruten die Verluste im Krieg hoch seien. „Einige von ihnen erstarren einfach, weil sie Angst haben, auf den Feind zu schießen. Sie werden in Säcken zurückgeschickt oder schwer verwundet“, erzählte etwa der Kommandeur einer Einheit, die in der Region Donezk kämpft, der FT. Nach Schätzungen der Kommandeure, mit denen die amerikanische Zeitung gesprochen hat, werden 50 bis 70 Prozent der Rekruten in den ersten Tagen nach Erreichen der Front getötet oder verwundet.

„Wenn sie ihre Stellungen erreichen, rennen viele bei der ersten Granatenexplosion davon“, erklärte der stellvertretende Kommandeur einer Einheit der 72. mechanisierten Brigade. Anders formuliert: Sie desertieren. Eine Folge: Die erfahrenen, aber abgekämpften Soldaten müssen weiter in ihren Stellungen bleiben. Einer sagte der britischen Zeitung The Guardian kürzlich: „Jeder ist müde. Die Stimmung hat sich geändert.“ In den vergangenen Monaten sollen sich indes wiederholt ganze Truppenkontingente, zum Beispiel in Kompaniestärke (bis zu 150 Soldaten), an einzelnen Frontabschnitten zurückgezogen haben und den Russen so strategisch wichtige Dörfer überlassen haben, berichteten ukrainische Militärblogger. Holt Putin sich jetzt Pokrowsk? (pm)

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