Der jüdische Staat wird zwar an mehreren Fronten angegriffen, hat aber letztlich nur einen Feind: die Islamische Republik. Sie hat Terrororganisationen wie die Hamas und die Hisbollah ausgerüstet, damit sie als Stellvertreter Teherans gegen den jüdischen Staat kämpfen. Die beiden wichtigsten Verbündeten der sogenannten „Achse des Widerstands“ sind nach massiven israelischen Angriffen allerdings geschwächt. Denn der jüdische Staat hat wichtige Kommandanten von Hamas und Hisbollah getötet, was im Iran als direkte Attacke auf eigene Interessen wahrgenommen wird.
Abschreckung durch Atomwaffen
Die Schwächung der ausländischen Milizen ist für Teheran gefährlich, weil sie Israel mehr Handlungsfreiheit in der Region gibt. Das aber widerspricht dem Kalkül der Mullahs. Schließlich finanzieren sie das Terrornetzwerk, um Teherans Status in der Region zu festigen. Und um sich selbst zu schützen. Dabei geht es dem Regime auch um die Sicherung seines Atomprojekts.
„Wenn die ‚Achse des Widerstands‘ nicht funktioniert, könnte die einzige Abschreckung die nukleare Option sein“, sagt David Albright, Atomwaffenexperte und Präsident des amerikanischen Institute for Science and International Security. US-Außenminister Antony Blinken sagte schon Mitte Juli, Iran werde in Kürze genug waffenfähiges Material für eine Atombombe produziert haben.
Wurde in Teheran bislang stets beteuert, das Atomprogramm diene ausschließlich friedlichen Zwecken, argumentieren viele nun, die wachsende israelische Bedrohung erfordere eine weitaus stärkere Abschreckung.
Eigentlich hatte Massud Peseschkian, Irans neuer Präsident, im Wahlkampf versprochen, sich für Wohlstand einzusetzen. Zudem wollte er sich für die Aufhebung der westlichen Sanktionen engagieren, die Irans Wirtschaft lähmen und die Gesellschaft in die Armut treiben. Das klang zwar verheißungsvoll, aber Irans Bevölkerung weiß, dass sich das kaum realisieren lässt. Im politischen System des Iran mag offiziell der Präsident für das Wohl der Bürger verantwortlich sein. Aber ihm fehlt die Autorität, entsprechend zu handeln.
Denn die Macht im Land geht von der Revolutionsgarde aus. Sie wurde nach dem Sturz des Schahs 1979 gegründet, um die „Reinheit der Islamischen Revolution“ zu überwachen. Heute umfasst sie schätzungsweise 150000 Kämpfer. Inzwischen übt sie auch enormen Einfluss auf die Regierung und die Wirtschaft des Landes aus.
Auf Irans Straßen unterdrücken die Kämpfer der Revolutionsgarde alle Proteste gegen das Regime. Außenpolitisch bemühen sie sich um gute Beziehungen zu Moskau. Der für die Region zuständige Arm der Revolutionsgarde, die Quds-Brigade, ist für den Widerstand gegen Israel verantwortlich. Die jeweiligen iranischen Botschafter in Beirut und in Damaskus sind deshalb nur selten Angehörige des Außenministeriums in Teheran, sondern stammen in der Regel aus den Reihen der Quds-Brigade, sagt Alex Greenberg, Iran-Experte und Reservist in der Forschungsabteilung von Israels militärischem Geheimdienst.
Unterstützung der radikalsten Gruppen
Mit tatkräftiger Unterstützung der Revolutionsgarde verstand es Iran in den vergangenen Jahrzehnten, Perser, sunnitische und schiitische Araber im kollektiven Hass gegen Israel zu einen. Die Durchdringung des Nahen Ostens mit Stellvertretern treibt Teheran systematisch voran. Das Vorgehen ist dabei stets dasselbe: Die Mullahs nutzen den Kollaps von Zentralregierungen in der Region aus, um die radikalsten Gruppen in den jeweiligen Ländern zu unterstützen, an sich zu binden und als Verbündete im Kampf gegen den jüdischen Staat einzusetzen, sagt David Menashri, Iran-Experte an der Universität Tel Aviv.
Das begann schon im Jahr 1982, als die damalige libanesische Regierung kollabierte. Als im Irak zwei Jahrzehnte später das Regime von Saddam Hussein zusammenbrach, war die iranische Revolutionsgarde ebenfalls zur Stelle und finanzierte die schiitischen Milizen. Als in den frühen 2010er Jahren der syrische Bürgerkrieg ein Machtvakuum schuf, sicherte sich die iranische Miliz auch Einfluss in Syrien. Und nach dem Kollaps der Zentralregierung im Jemen band Teheran die Huthis an sich, eine schiitisch-islamistische Bewegung mit einer Terrorarmee. Sie kontrolliert etwa ein Drittel des jemenitischen Territoriums und mehr als zwei Drittel der Bevölkerung des Landes.
Die Revolutionsgarde baute darüber hinaus ein mächtiges Wirtschaftsimperium auf, das sie finanziell unabhängig macht. Zu ihrem Konglomerat gehören Handelsgesellschaften, Industriebetriebe, Ölanlagen, Banken, Transportunternehmen, Bergbaufirmen, medizinische Einrichtungen sowie Waffenhersteller. Mit dem Profit aus diesen Firmen finanzieren sie die regionalen Stellvertreter im Libanon, in Gaza, im Irak, in Syrien und im Jemen – und weitgehend auch das Atomprogramm. Die Stärkung ihrer Verbündeten lässt sich die Garde einiges kosten. Allein die Hisbollah erhält jährlich Hunderte Millionen Dollar aus dem Iran.
Die Revolutionsgarde hat in vielen Fragen eine von der Regierung unabhängige Haltung entwickelt. So ist sie zum Beispiel nicht an einer Aufhebung westlicher Sanktionen interessiert, da sie davon sogar profitiert. Anstatt eine Verhaltensänderung in Teheran herbeizuführen, haben die Sanktionen das Gegenteil bewirkt. Die Revolutionsgarde, die ohnehin schon ein dominanter Akteur war, hat sich noch stärker in die Wirtschaft eingemischt, um das System auf Kosten der einfachen Menschen zu stützen. Die Miliz dominiert den legalen und illegalen Handel. Sie umgeht Sanktionen durch Briefkastenfirmen und knüpfte in den vergangenen Jahren ein Finanznetzwerk im Irak, im Libanon und in Syrien.
Wer folgt auf Ali Chamenei?
Auch wenn die eigene Bevölkerung darbt, kann sich der Iran auf diese Weise seinen aggressiven Kurs gegenüber dem Westen leisten. Und was hält der 85-jährige Religionsführer Ali Chamenei davon, die höchste Autorität des Landes?
Das klerikale Establishment sei eine „schwindende Kraft“, sagt Lior B. Sternfeld, Iran-Experte an der amerikanischen Pennsylvania State University. Ali Chamenei ist seit 35 Jahren im Amt, er gilt als gesundheitlich angeschlagen und hat politisch vor allem ein Ziel: sein Lebenswerk, die Islamische Republik, in die richtigen Hände zu übergeben. Als aussichtsreichster Erbe galt lange sein eigener Sohn Modschtaba. Aber klar ist: Auch die Revolutionsgarde wird bei der Entscheidung mitreden – oder dem Land einfach einen Nachfolger ganz nach ihrem Geschmack aufzwingen.