Jürgen Pföhler - Jetzt droht dem Ahrtal-Landrat doch noch großer Ärger

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dpa Bis heute kein einziges Wort des Bedauerns: Der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler.
Donnerstag, 24.10.2024, 20:25

Der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, hat sich bislang allen Vorwürfen gegen ihn entzogen. Dennoch könnte sein Verhalten in der Flutnacht im Juli 2021 Folgen haben: Das Land Rheinland-Pfalz prüft ein Disziplinarverfahren. Auch eine Anklage steht noch im Raum.

Rückblick: Nach zweieinhalbjähriger Ermittlung wegen fahrlässiger Tötung in 135 Fällen und fahrlässiger Körperverletzung gibt der Leitende Oberstaatsanwalt aus Koblenz, Mario Mannweiler, in einer Pressekonferenz im April 2024 die Einstellung des Verfahrens bekannt. Das Verhalten des ehemaligen Landrats Jürgen Pföhler (CDU) sei strafrechtlich nicht relevant, da die Flut ein „unvorhergesehenes Ereignis“ und eine rechtzeitige Evakuierung nicht mehr möglich gewesen sei, so der Staatsanwalt in seiner zweistündigen Begründung.

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Für den Koblenzer Rechtsanwalt Christian Hecken ist die Einstellung ein „Skandal“, wie er gegenüber FOCUS online Earth sagt. Der Anwalt verteidigt unter anderem Inka und Ralph Orth sowie Werner-Michael Minwegen aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Orths haben ihre damals 22-jährige Tochter Johanna verloren, Werner-Michael Minwegen beide Eltern.

Die seltsame Begründung der Staatsanwaltschaft

Die junge Konditormeisterin Johanna Orth wurde in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 entgegen den Erklärungen des Staatsanwaltes Mannweiler nicht gewarnt. Ein Video, das FOCUS online Earth vorliegt, belegt, dass die Feuerwehr die junge Frau nicht zum Verlassen ihrer 150 Meter von der Ahr entfernt gelegenen Erdgeschosswohnung aufgefordert hatte, die ihr in der Nacht zum Verhängnis wurde. FOCUS online Earth hat in einem vierteiligen Faktencheck mit Hilfe des Strafrechtsprofessors Thomas Weigend von der Universität Köln bereits kurz nach der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft in Koblenz mehrere Ungereimtheiten nachgewiesen.

Die Bonner Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe hat jetzt in einem Gespräch mit FOCUS online Earth die Kritik verschärft und der Staatsanwaltschaft einen entscheidenden „Denkfehler“ vorgeworfen. Gleichzeitig übt sie scharfe Kritik am Verhalten des neuen Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer (SPD).

In ihren Ermittlungen kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass eine rechtzeitige Warnung nichts gebracht hätte. Mannweiler räumte im April zwar ein, „dass in punkto Warnung mehr hätte gemacht werden können und wohl auch müssen.“ Allerdings sei die „zweite Voraussetzung der Strafbarkeit nicht zu führen, nämlich der Kausalitätsnachweis“. Es sei nicht „nachzuweisen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch ein optimales Warnverhalten der Tod von Menschen vermieden worden wäre.“

„So etwas ist bösartig“

Mannweiler vertrat in seiner Begründung mehr oder weniger subtil die These, dass viele Menschen ohnehin nicht auf die Warnungen gehört und sich ihnen vermutlich sogar widersetzt hätten. Auf dem Mitschnitt von FOCUS online Earth sagt er wörtlich: „Erfahrungsgemäß reagieren die meisten Menschen auf Warnungen erst dann, wenn die Gefahr augenfällig wird. Mitunter ist es aber dann zu spät, vor allen Dingen dann, wenn die Flut so schnell kommt wie im Juli 2021.“

Mannweilers Spekulationen zu einem möglichen Verhalten der Menschen im Ahrtal endeten mit dem Fazit: „Hinzu kommt, dass unklar ist, welche Menschen durch weitere Warnungen überhaupt erreicht worden wären. Viele sind durch die erfolgten Warnungen ja schon nicht erreicht worden. Viele wären vermutlich auch durch deutlichere oder andere Warnungen nicht erreicht worden.“

Für Inka Orth und Ralph Orth, die Eltern von Johanna, sind diese Worte nach wie vor ein weiterer Schlag ins Gesicht: „Damit wirft der Staatsanwaltschaft meiner Tochter vor, praktisch an ihrem eigenen Tod schuld zu sein. So etwas ist bösartig“, sagt die Mutter gegenüber FOCUS online Earth.

Expertin spricht von „Denkfehler“

Für die Bonner Strafrechtlerin Ingeborg Puppe ist die Begründung gar an „Zynismus nicht zu überbieten, sie ist unlogisch und sachlich falsch.“ Die 83-jährige Juristin wirkte bereits bei der  juristischen Aufarbeitung der Love-Parade-Katastrophe im Jahr 2010 mit. Sie ist Expertin und juristische Kommentatorin für eben diesen „Kausalitätsnachweis“.

Puppe: „Wenn die Menschen die Warnungen in den Wind geschlagen hätten, wären sie selbst kausal und verantwortlich für ihren Tod gewesen. Fakt ist aber: Sie haben keine Warnungen in den Wind geschlagen, weil sie keine bekommen haben.“

Hier liege der „Denkfehler“ der Staatsanwaltschaft, sagt die Professorin: „Die Ermittler unterstellten allen, dass die Warnungen nicht ernst genommen worden wären. Die Menschen hätten sie leichtfertig ignoriert oder sich ihnen gar widersetzt.“ Tatsache sei jedoch: Johanna Orth oder die Eltern von Werner-Michael Minwegen und viele andere hatten „gar keine Chance sich zu entscheiden. Sie hatten keine Chance, leichtsinnig zu sein“, so Ingeborg Puppe gegenüber FOCUS online Earth.

Die Bonner Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe fordert ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler.
Die Bonner Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe fordert ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler.
 

„Die Warnungen waren irreführend“

Die Staatsanwaltschaft habe einen „Beweis dafür verlangt, dass die Opfer die Warnung vor der Flut nicht in den Wind geschlagen hätten. Diesen Beweis kann es nicht geben.“

Puppe wirft der Staatsanwaltschaft „Staatsversagen“ vor: „Es bestand die Pflicht, eine entschiedene Warnung herauszugeben, die alle gefährdeten Personen hätte erreichen müssen. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Die Warnungen waren sogar irreführend. Die Durchsage der Feuerwehr in Bad Neuenahr lautete, dass die Menschen nicht in die Tiefgaragen gehen sollten. Davon, nicht im Erdgeschoss bleiben zu dürfen, war nicht die Rede.“

Die Begründung der Staatsanwaltschaft für die Einstellung sei daher „falsch“. Dies sei der wichtigste Grund dafür, das Verfahren gegen den ehemaligen Landrat Pföhler wieder aufzunehmen, der die alleinige Verantwortung für den Katastrophenalarm und die Warnungen trage: „Das Gericht muss die Entscheidung über das Verfahren fällen, nicht die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat eine falsche Begründung für die Einstellung gegeben und den Beteiligten eine Entlastungsmöglichkeit bescheinigt, die es von Rechts wegen nicht gibt.“

Das Schweigen des Ministerpräsidenten

Die Professorin greift auch den neuen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer (SPD), scharf an. Er könne sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Auf die Vorwürfe antwortete die Mainzer Staatskanzlei gegenüber FOCUS online Earth: „Wir bitten um Verständnis, dass sich Ministerpräsident Alexander Schweitzer nicht äußert, da eine politische Einflussnahme auf das laufende Verfahren nicht angezeigt ist.“

Diese „Weigerung“, in die Justiz „einzugreifen“, sei „irreführend formuliert“, sagt Ingeborg Puppe: „Die Staatsanwaltschaft ist nicht unabhängig, so wie es ein Gericht ist. Der Ministerpräsident kann sie anweisen, Anklage zu erheben. Damit ist der Ministerpräsident mitverantwortlich.“

Der Koblenzer Rechtsanwalt Christian Hecken hat den Ministerpräsidenten daher aufgefordert, sich bis zum 25. Oktober explizit zu dem Verfahren zu äußern, eine Antwort lag bislang nicht vor.

Unabhängig davon ist das Verfahren gegen Pföhler auch nach der Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft nicht abgeschlossen, was auch die Staatskanzlei bestätigt: „Die Entscheidung wird durch die Generalstaatsanwaltschaft geprüft. Deren Entscheidung wiederum können die Betroffenen von unabhängigen Richterinnen und Richtern gerichtlich überprüfen lassen.“

Der Hintergrund: Rechtsanwalt Christian Hecken hat Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt.

Disziplinarverfahren gegen Pföhler

Auch noch aus anderer Richtung könnte es für den einstigen Landrat ungemütlich werden: Gegen Jürgen Pföhler läuft ein  Disziplinarverfahren. Dabei werde „geprüft, ob ein Dienstvergehen des Herrn Landrat a.D. Dr. Pföhler erwiesen ist“, heißt es aus Mainz.

Ein Dienstvergehen setzt voraus, dass der Beamte schuldhaft die ihm als Beamten obliegenden Pflichten verletzt hat. Hierzu zählen unter anderem Verstöße gegen die Einsatzpflicht, die Dienstpflicht zu achtungswürdigem Verhalten sowie die Dienstpflicht zur Beachtung der Gesetze und zu rechtmäßigem Verhalten. Bei Verletzung von Dienstpflichten im aktiven Dienst sind bei Ruhestandsbeamten als Disziplinarmaßnahmen die Kürzung des Ruhegehalts oder die Aberkennung des Ruhegehalts gesetzlich vorgesehen.

Bei einer Demonstration vor dem Lebenshilfehaus in Sinzig zum Internationalen Tag des Katastrophenschutzes erinnern 135 Puppen an die Toten an der Ahr.
Frank Gerstenberg Bei einer Demonstration vor dem Lebenshilfehaus in Sinzig zum Internationalen Tag des Katastrophenschutzes erinnern 135 Puppen an die Toten an der Ahr.
 

Unabhängig vom Ausgang beider Verfahren kämpfen die Orths und Werner-Michael Minwegen zusammen mit ihrem Rechtsanwalt Christian Hecken weiter. Am Internationalen Katastrophentag am 13. Oktober 2024 riefen Inka und Ralph Orth vor dem Lebenshilfehaus von Sinzig, in dem in der Flutnacht zwölf Menschen starben, zu einer Demonstration auf: „Die Menschen in Sinzig waren besonders schützenswert. Sie hätten auch bei einer Warnung tatsächlich keine Chance gehabt, sich allein in Sicherheit zu bringen. Jeden einzelnen von ihnen hätte man raus holen müssen“, sagt Ralph Orth.