So war es die Ölfirma BP, die den Begriff des CO2-Fußabdrucks in den Jahren ab 2004 in einer großen Marketingkampagne namens „beyond petroleum“ bekannt machte und in unseren Köpfen verankerte. Das Kalkül dahinter: Wenn wir uns mit unserem individuellen Konsum beschäftigen und mit dem Finger auf die autofahrende Nachbarin und den fleischessenden Onkel zeigen, verlieren wir die wirklichen Stellschrauben und Einflussmöglichkeiten aus den Augen. Kurz: Die dauernde und alleinige Betonung des persönlichen CO2-Fußabdrucks sollte die Verantwortung zur Lösung der Klimakrise uns Verbraucher:innen in die Schuhe schieben.
Wechsel zur ermächtigenden Handabdruck-Perspektive
Doch jetzt ist Schluss mit Ohnmacht und Konsum-Kleinklein! Denn die deutsche NGO Germanwatch brachte vom „Center for Environment Education“ in Indien ein weitaus bestärkenderes, motivierenderes und vor allem wirkungsvolleres Konzept in den deutschsprachigen Raum: den Handabdruck.
Anders als mit dem CO2-Fußabdruck, der üblicherweise angibt, wie viel Schaden man anrichtet, beziehungsweise wie viel Schlechtes man in der Welt hinterlässt, ist der Handabdruck eine Messgröße für positives und gestalterisches Handeln – quasi für das Gute, das man in der Welt bewirkt. Während wir uns aus der Fußabdruck-Perspektive fragen „Wie kann ich allein klimafreundlicher leben?“ fragen wir uns aus der Handabdruck-Perspektive „Wie können möglichst viele meiner Mitmenschen klimafreundlicher leben?“. Es geht also darum, klimafreundliche Verhaltensweisen gesellschaftlich zu verbreiten. Das gelingt, indem man dazu beiträgt, Strukturen in seinem Umfeld so zu verändern, dass klimafreundliche Entscheidungen einfacher, günstiger, sozial attraktiver oder rechtlich vorgeschrieben werden.
Ein Beispiel: Eine Studentin isst nicht nur allein zuhause weniger Fleisch, sondern setzt sich mit anderen Studierenden dafür ein, dass die Uni-Mensa mehr vegane Gerichte zu einem günstigen Preis anbietet. Durch diese Angebotsänderung würden viel mehr Menschen häufiger zu einem klimafreundlicheren Gericht greifen. Dank der strukturellen Änderung spart die Studentin zusammen mit ihrer Handabdruck-Gruppe dauerhaft viel mehr Treibhausgase ein, als jeder von ihnen individuell verursacht. Der Handabdruck wächst nämlich exponentiell, wohingegen die Emissionsminderungen beim persönlichen Fußabdruck beschränkt sind – egal wie sehr man sich anstrengt. Denn ein wirklich nachhaltiges Leben ist in den klimaschädlichen Strukturen unserer Gesellschaft (noch) nicht möglich. Zu häufig drängen uns Standard-Optionen, Preise und soziale Normen in die falsche Richtung.
Unsere Handabdruck-Hebel
Um diese klimaschädlichen Standards, Strukturen und sozialen Normen aus dem Weg zu räumen – für uns selbst, aber auch für unsere Mitmenschen –, können wir unsere verfügbaren Handabdruck-Hebel in vier Bereichen unseres Lebens nutzen:
Erstens im Privatleben, indem wir uns beispielsweise häufiger trauen, ein respektvolles, motivierendes und konstruktives Gespräch über die Klimakrise und unsere eigenen Handlungsmöglichkeiten führen. Oder indem wir zu einer sozial-ökologischen Bank und Versicherung wechseln, die mit unserem Geld Klimaschutz betreibt, statt in fossile Energieprojekte zu investieren.
Der zweite Bereich ist unser Beruf. Hier können wir zum Beispiel einen Job wählen, der unmittelbar zur sozial-ökologischen Transformation beiträgt. Oder wir tun uns im Unternehmen mit Gleichgesinnten zusammen, gründen eine „Klima-Gruppe“ oder gehen auf den Betriebsrat oder die Gewerkschaft zu und fordern eine ambitionierte Klima-Strategie von der Geschäftsführung ein. Wer Kräfte im Unternehmen bündelt, kann auch selbst Handabdruck-Vorschläge für strukturelle Änderungen machen. Das kann das Pendeln oder Geschäftsreisen betreffen, die Firmenkantine, den Energieverbrauch, das Geschäftsmodell, die Geldanlage der Pensionskasse und vieles mehr.
Gesellschaftliches Engagement ist der dritte Bereich, in dem jeder von uns den eigenen Handabdruck vergrößern kann. Wer bereits Mitglied in einem Sport-, Freizeit-, Bücher- oder Wohltätigkeitsklub ist oder sich in der Kirchengemeinde engagiert, kann strukturverändernde Klimaschutz-Projekte auch in diesem Rahmen voranbringen. Ideen reichen von einer Solaranlage und Wärmepumpe für das Fußball-Vereinsgebäude über Klima-Sachbuch-Monate bis hin zu Spendenprojekten für Klimaschutz-Demonstrationen. Selbst eine monatliche Spendenmitgliedschaft für Umweltschutz-Organisationen, Klimaschutz-Initiativen oder Aktivismusgruppen abzuschließen, vergrößert den eigenen Handabdruck übrigens auch – und ganz nebenbei.
Die vierte Handabdruck-Dimension ist die politische Sphäre. Angesichts unserer Lage ist es mehr als legitim und angebracht, unseren Regierungen mit allen zur Verfügung stehenden friedlichen und demokratischen Mitteln Druck zu machen, damit sie endlich die Forderungen der klimawissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Klimaräte umsetzen. Das heißt, jede Wahl zu einer Klima-Wahl zu machen, Klimaschutz vor Gerichten einzuklagen und sich mittels Petitionen, Gesprächen, Briefen und Demonstrationen Gehör zu verschaffen. Auch kreativen und strategisch durchdachten Protestformen aus dem Bereich des gewaltfreien zivilen Ungehorsams kann man sich anschließen, um die gesamtgesellschaftliche Klimawende zu beschleunigen.
Der eigene Beitrag im Rückspiegel
Wenn in diesem entscheidenden Jahrzehnt möglichst viele Menschen ihre persönlich wirkungsvollsten Handabdruck-Hebel erkennen und anpacken, werden wir unsere Lebensgrundlagen erhalten und eine bessere, gesündere, friedlichere Welt kreieren. „Das Wichtigste, was ein Einzelner jetzt tun kann, ist, kein Einzelner zu bleiben“, sagt der Arzt und Entertainer Dr. Eckart von Hirschhausen. Wo liegen meine Stärken, Talente, Ressourcen, Kontakte, mein Geld und Herzblut? Mit wem und wo kann ich all das einbringen, um wirklich etwas zu bewegen? Und wichtig: Wie kann ich dauerhaft für Klimaschutz brennen, ohne selbst dabei auszubrennen? Wer auf diese Fragen für sich gute Antworten findet und ins gestalterische, kollektive Handeln kommt, kann irgendwann einmal stolz und zufrieden auf diese Schicksalsjahre zurückblicken – egal, was passieren wird. Das macht Hoffnung!