Putin verliert ein Auge: Gezielte Attacke bremst Russland in der Ukraine aus

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„Das Auge der gesamten Luftfahrt und Aufklärung“ – die Supercam-Drohne verschafft Russland Weitsicht auf dem Gefechtsfeld. Putin schwärmt davon und verstärkt seine Anstrengungen in der Entwicklung von Drohnen. Eine Supercam hat er jetzt wieder verloren. © IMAGO / Stanislav Krasilnikov

Rückschlag für Russlands Fernaufklärung. Eine Supercam-Drohne geht verloren. Ein Grund mehr für Putin, die Produktion von Drohnen „zu verzehnfachen“.

Cherson – „Die Starrflügeldrohne mit geschützten Kommunikationskanälen und hoher Störfestigkeit hat ihre Wirksamkeit in Syrien und der Ukraine bewiesen“, jubilierte die russische Nachrichtenagentur Tass kurz vor Weihnachten. Kurz nach dieser Meldung haben die Verteidiger Wladimir Putins Invasionsarmee das Gegenteil bewiesen. Zumindest behauptet das das Magazin Defense Express: „Ukrainische Streitkräfte haben erneut feindliche Versuche vereitelt, auf dem Schlachtfeld die Oberhand zu gewinnen“. Trotz des propagandistischen Dauerfeuers beider Seiten scheint sicher zu sein, dass die Ukraine eine Aufklärungsdrohne vom Himmel geholt hat. Eine vermeintlich top-moderne.

Kämpfer der 121. Unabhängigen Brigade der Territorialverteidigungskräfte hätten über der Region Cherson erfolgreich ein russisches Drohnenflugzeug vom Typ Supercam abgefangen und zerstört, schreibt Sofia Syngaivska. Die Defense Express-Autorin beruft sich auf ein Video, dass die ukrainischen Kräfte auf X (vormals Twitter) veröffentlicht haben. Verschiedenen Quellen zufolge soll die Supercam S350 seit 2020 einsatzreif sein und der bisher in der Ukraine verwendeten Aufklärungsdrohne Orlan-10 ähneln beziehungsweise genauso tauglich sein für Aufklärungsflüge, Grenzkontrollen oder den Schutz von kritischer Infrastruktur.

Putins Supercam: Die Drohne soll sich auch zum Exportschlager mausern

Die Drohne soll sich auch zum Exportschlager mausern. Inzwischen ist Weißrussland um einige Exemplare reicher, und Russland hat den fliegenden Spion jetzt auch in Südostasien angepriesen – die Tass meldete, dass die Supercam erstmal gezeigt wurde auf der „Vietnam Defense Expo 2024“, die kürzlich in Hanoi stattgefunden hat. Bezüglich ihres Könnens ist sie multinational einsetzbar: „Die Drohne kann in allen Ländern Südostasiens, mit denen Russland im militärischen und wirtschaftlichen Bereich zusammenarbeitet, dieselben Missionen erfüllen“, schrieb die Tass.

„Insgesamt wurden den Streitkräften im Jahr 2023 rund 140.000 unbemannte Luftfahrzeuge verschiedener Typen ausgeliefert. „In diesem Jahr soll die Produktion von Drohnen deutlich gesteigert werden. Genauer gesagt, fast um das Zehnfache.“

Wenn Russland sie in den – vielleicht notwendigen – Mengen überhaupt wird herstellen können. Bereits die Orlan-Drohne hängt am Tropf westlicher Bauteile. Überhaupt ist sie nur flugfähig aufgrund Technologie-Transfers an den Sanktionen des Westens vorbei. Das könnte für die Supercam ebenso gelten und daher die Reichweite der Produktion begrenzt bleiben. Analysten halten die Aufklärungsdrohnen für eine der schärfsten Waffen von Putins Invasionsarmee – je klarer sie sehen kann, desto treffsicherer ihre Artillerie-Einsätze.

„Angesichts der Flexibilität und Effektivität dieses relativ preisgünstigen, in Massenproduktion hergestellten Systems ist die Eindämmung und Bekämpfung von Orlan-10 eine der obersten Prioritäten des ukrainischen Militärs“, schreiben James Byrne, Jack Watling sowie verschiedene Co-Autoren. Der Supercam müsse demnach dasselbe Augenmerk gelten, legen die Analysten des britischen Thinktanks Royal Services Institute (Rust) nahe.

Trotz Sanktionen: Russlands Fernaufklärung „das Herzstück der Kriegsführungskapazitäten des Landes“

Wie die Wissenschaftler Ende 2022 festgestellt haben, sind die heutigen Einsätze von Orlan oder Supercam nur möglich, weil sich die Importe wichtiger Komponenten aus dem Westen seit dem Ukraine-Krieg sogar erhöht hätten. Die Rusi-Autoren sehen in den russischen Aufklärungsdrohnen „das Herzstück der Kriegsführungskapazitäten des Landes“, ohne die der gezielte Beschuss ukrainischer Verbände völlig ausgeschlossen wäre. Das bestätigt ein Bericht des russischen Fachmagazins RuAviation: Das russische Militärministerium weise demnach darauf hin, dass die Besatzungen der Supercam-Drohnen täglich Luftaufklärung durchführten, Artilleriefeuer korrigierten und die Zerstörung identifizierter Ziele kontrollierten.

„Während der Kämpfe sorgte der Einsatz der Supercam-Drohnen für die Zerstörung amerikanischer Humvee-Kampffahrzeuge, M-113-Panzertransporter, M777-Haubitzen, Kommandoposten und anderer Ziele“, so RuAviation. Das Magazin lobt die Supercam nahezu als eine „Wunderwaffe“: Sie könne selbst Windgeschwindigkeiten bis zu 15 Metern pro Sekunde trotzen, Umgebungstemperaturen von 40 Grad Frost bis 45 Grad Hitze aushalten und selbst durch mäßigen Regen und Schneefall hindurchsehen. Die Drohne sei störsicher und mit einem Schutz gegen die radioelektronische Kriegsführung des Feindes ausgestattet. Nach einem Kommunikationsausfall kehre die Drohne zum Startpunkt zurück und führe eine automatische Fallschirmlandung durch, schreibt RuAviation.

Gläsernes Gefechtsfeld Ukraine: Gegen Putins fliegendes Auge scheinbar kein Kraut zum Tarnen gewachsen

Tarnen und Täuschen seien wieder zu den Generaltugenden einer modernen Armee zu zählen, erklärte beispielsweise Oberstleutnant Martin Winkler, Leiter des Sachgebietes „Auswertung“ im Kommando Heer, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Bei den Einsätzen beispielsweise in Afghanistan oder Mali waren Armeen im Gegenteil darum bemüht, wie Winkler sagte, „offen Präsenz zu zeigen und zu stabilisieren“. Das erweise sich schon in den aktuellen militärischen Konflikten beinahe als überholt, das Gefechtsfeld wird gläsern werden. Umso wichtiger sei das Legen falscher Fährten beziehungsweise das Vermeiden eigener Spuren.

Gegen Putins fliegendes Auge scheint aber kein Kraut zum Tarnen gewachsen, wie die Russen sich anhören: „Wir sehen alle Bewegungen des Feindes und senden entsprechend. Wir fliegen sehr hoch. Wir können bis zu 5.000 Meter hoch fliegen, und unser ‚Vogel‘ kann nicht abgeschossen werden“, sagte ein anonymer Befehlshaber einer Drohnen-Einheit gegenüber RuAviation.

Über das Fachmagazin macht auch das russische Verteidigungsministerium Werbung für ihre weitsichtige Drohne – die etwas mehr als zehn Kilo schwere Waffe wird von ihrer Zwei-Mann-Crew mittels einer übergroßen Zwille in die Luft katapultiert. Da kann sie dann gute vier Stunden in ihrem Sektor herumsurren oder über einer Koordinate kreisen. In einem vom Ministerium beschriebenen beispielhaften Fall soll ihr der Blitz eines feuernden Mörsers in die Optiken gestochen haben; dessen Koordinaten habe sie dann übermittelt an ihren Piloten; der wiederum meldete die Koordinaten weiter an das Artilleriekontrollzentrum.

Supercam: Ob der Glorifizierung dieser Waffe hatte Putin ehrgeizige Pläne verkündet

Daraufhin sollen die Artilleristen eines selbstfahrenden Artillerieregiments die Koordinaten überprüft und die enttarnte feindliche Stellung mit Splittergranaten belegt haben; damit nicht genug, hätte das Feuer in der Mörser-Stellung ein nahegelegenes Munitionsdepot zur Explosion gebracht haben, wie das Ministerium via RuAviation berichten lässt. Über die Zeitdauer zwischen der optischen Erfassung durch die Supercam und dem ersten scharfen Schuss der selbstfahrenden Haubitze bleiben Angaben aus. Allerdings nennen die Bediener ihre Waffe „das Auge der gesamten Luftfahrt und Aufklärung“.

Ob der Glorifizierung dieser Waffe hatte Wladimir Putin im September ehrgeizige Pläne verkündet, wie Reuters berichtete: „Insgesamt wurden den Streitkräften im Jahr 2023 rund 140.000 unbemannte Luftfahrzeuge verschiedener Typen ausgeliefert. „In diesem Jahr soll die Produktion von Drohnen deutlich gesteigert werden. Genauer gesagt, fast um das Zehnfache“, sagte Russlands Präsident laut der Nachrichtenagentur auf einer Messe in St. Petersburg.

Lehren aus der Ukraine-Krieg: Zehnjahresplan mit Schwerpunkt auf der Entwicklung autonomer Waffen

Bereits im August hatte das Magazin Defense News berichtet, Russland verfolge einen neuen Zehnjahresplan zur Verteidigung, der seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung autonomer Waffen lege – eine Waffe wie die Supercam soll dann womöglich ohne die Zwischenschritte des Signals an die Piloten sowie deren Meldung an die Feuerleitung auskommen. Die Supercam würde dann womöglich direkt mit einer Haubitze kommunizieren oder sogar die Haubitze steuern beziehungsweise den Feuerkampf einer gesamten Artillerieeinheit führen können.

Defense News zitiert dazu Wassili Elistratow: Dem Verantwortlichen für KI-Technologie im russischen Verteidigungsministerium zufolge ziehe die Zukunft bereits jetzt in die Waffen ein: Elistratow sagte, zur Reparatur aus dem Ukraine-Krieg zurückkehrende Ausrüstung ginge zurück an die Front, runderneuert mit aktueller Technologie – etwa ferngesteuerten Feuermodulen, automatischer Zielverfolgung und Antriebssystemen. Laut Beobachtern solle Russland dabei aufs Tempo drücken und Autonomisierungen vornehmen primär von Waffen, an denen Fehler gefährlich werden könnten, Flugdrohnen beispielsweise – die Supercam wäre demnach eine davon.

Wladimir Putin jedenfalls drängt darauf, den Rückstand Russlands in der Drohnentechnologie gegenüber der Ukraine zu egalisieren, weil er ahnt, dass der laufende und vielmehr ein kommender Krieg durch Drohnen entschieden werden wird, wie er in St. Petersburg sagte: „Wer auf diese Anforderungen auf dem Schlachtfeld schneller reagiert, gewinnt.“

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