ALPENTOURISMUS - Schnee von gestern

Die Dorfgemeinschaft ist gespalten: Verschwendung von Steuergeldern sei das, sagen die einen. Nein, wir wahren damit unsere Winterkompetenz, finden die anderen. Es klingt nach den emotionalen Befindlichkeiten der Bewohner einer kleinen, nicht mehr ganz so heilen Welt. Und nach einem Nebenschauplatz der weltweiten Klimakrise. Doch auf die Fragen, die man sich am Jenner stellt, sucht man in allen tiefer liegenden Ferienorten der Alpen, die ein Skigebiet betreiben, nach Antworten.

Es sind Fragen nach Freiheit, Fragen nach Verantwortung. Fragen nach der Zukunft des Wintersports in Zeiten des Klimawandels. Was darf man den Menschen wegnehmen, welche Verpflichtung haben wir gegenüber der Natur? Und wie viel Zeit bleibt eigentlich noch bis zur letzten Pistengaudi?

„Kennen Sie die Geschichte vom toten Pferd?“

Abgesehen von der Touristenattraktion Königssee ist Schönau im Berchtesgadener Land ein gewöhnliches Alpendorf in Bayern. Im Gasthaus Unterstein gibt es Brezen und Obazda, der örtliche Metzger hat Ochsenbäckchen im Angebot. Wer den Fleischer links liegen lässt, kann die Traumfänger auf der Veranda der Bio-Pension Krennleiten flattern sehen.

Inhaberin Sabine Kruis ist 63, hat rot gefärbtes Haar und betreibt Lokalpolitik für die Grünen. Sie war eine der wenigen, die gegen die Subventionierung des Skigebiets stimmten. Kruis ärgert sich über die Kurzsichtigkeit vieler hier, die nur das Geschäft sähen. „Den Klimawandel gibt es nicht erst seit gestern. Wir leben hier von der Natur, nicht nur vom Jenner“ sagt sie und fragt: „Kennen Sie die Geschichte vom toten Pferd?“ Viele Leute wollten nicht wahrhaben, dass es sich mit dem örtlichen Ski-Angebot so verhält wie mit eben diesem Pferd: Tot ist tot. „Das Produkt funktioniert nicht mehr“, sagt Kruis.

Der „systemrelevante Berg“

Die letzten Wiederbelebungsversuche des Wintersports unternahm man am Jenner 2018 mit der Eröffnung einer neuen Seilbahn. Die damit im Alpinskibetrieb entstandenen Verluste sind mittlerweile siebenstellig.

Siegfried Renoth betreibt an der Talstation ein Sportgeschäft. Anders als für Pensionschefin Kruis, die im Sommer viele Wanderer beherbergt, bedeuten für ihn keine Skifahrer weniger Einkünfte. Seinen Laden eröffnete er vor fünf Jahren zusammen mit der neuen Bergbahn, die Gäste auf den 1800 Meter hohen Gipfel bringt. Für Renoth, den alle nur „Sigi“ nennen, ist eine komplette Einstellung des Skizirkus unvorstellbar. Man lebe hier vom Tourismus, sagt er, Skifahren gehöre da einfach dazu: „Der Jenner ist ein systemrelevanter Berg für die Region.“

Bergbahnchef Mühlthaler sitzt jetzt in seinem Büro über Renoths Sportgeschäft und sagt: „Für die wenigen Gäste, die am Jenner Ski fahren, lohnt sich die Präparierung der Pisten nicht mehr.“ Vor 13 Jahren kam er in die Region, leitete zunächst ein Hotel in Berchtesgaden, bevor er in seinen jetzigen Job wechselte. Seit 1970 hat sich das Klima in den Alpen um circa 1,8 Grad erwärmt, dementsprechend sind die Beschneiungskosten gestiegen. „Alpines Skifahren hat hier keine Zukunft“, sagt Mühlthaler.

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Die Zukunft liegt oben

Diese Zukunft liegt für den Skisport oberhalb der 1800 Meter, die der Jenner erreicht. In den hohen Höhenlagen über 2000 Meter wird man auch künftig noch Schwünge fahren können. Die räumliche Konzentration wird langfristig stärker, die Gebiete insgesamt weniger.

Vor allem in Deutschland, wo diese Höhenlagen fehlen. Denn mit zunehmender Erderwärmung steigt die Schneefallgrenze weiter an. In Skigebieten, die über 2000 Meter liegen, müssen sich Bergbahner und Gastronomen kaum Sorgen machen. Im Gegenteil: Wärmere Temperaturen könnten mehr Niederschlag bringen. Wo es dann immer noch frostig ist, fällt mehr Schnee. Nur unterhalb der 2000er-Grenze muss man sich wohl warm anziehen, wenn die Kälte ausbleibt.

Was aber nicht bedeutet, dass diesen Skigebieten morgen die Existenzgrundlage wegschmilzt. Sollte die Erderwärmung bis 2050 weiter voranschreiten, prognostizieren Klimamodelle, dann wäre auch in gut laufenden großen Resorts wie Kitzbühel oder Saalbach Schluss. Doch vorher wird auch dort Skifahren weiterhin möglich sein. Es muss sich nur lohnen.

Noch teurer, noch elitärer

Denn steigende Temperaturen setzen ausreichend Anlagen voraus, um in immer kürzerer Zeit beschneien zu können. Was wiederum mehr Volumen der Schneiteiche voraussetzt, also vielerorts Eingriffe in die Natur erfordert. Schneesicherheit ist heute vor allem eine Frage passender Beschneiungsbedingungen. Man braucht niedrige Temperaturen und Trockenheit vor dem Beginn der Saison.

In manchen Skigebieten stehen so viele Schneeerzeuger, dass – geeignete Bedingungen vorausgesetzt – in wenigen Nächten der Schnee für die gesamte Saison produziert werden kann. Das hat nur zum Teil mit dem Klimawandel zu tun, vielmehr auch mit der ökonomischen Frage, ob und in welchem Maßstab eine Skidestination ihre Pisten künftig als Wirtschaftsfaktor einplant. Der technische Schnee lässt sich zudem mit weniger Aufwand präparieren als Naturschnee – und er ist robuster.

Für Skifahrer bedeuten die steigenden Temperaturen so oder so: Ihre Leidenschaft wird noch teurer, noch elitärer als sie ohnehin schon ist. Und eine große Frage muss sich jeder beantworten, der sich freut, dass Skifahren in der Ära des Klimawandels technisch noch möglich ist: Wie nachhaltig ist es? Kann ich das guten Gewissens tun?

Maschinerie am Kitzsteinhorn

Wer aus dem Berchtesgadener Land über die österreichische Grenze fährt, gelangt tiefer in ein Gebirge, in dem mehr als ein Drittel aller weltweit existierenden Skigebiete zu Hause sind. Winter für Winter reisen Millionen von Feriensportlern nach Österreich, Frankreich oder in die Schweiz. Allein in Deutschland fährt jeder achte Mensch Ski.

Modernen Wintersport gibt es seit über 100 Jahren. Bevor die Lawine ins Rollen geriet, waren die meisten Alpenregionen strukturschwach und arm. Nach und nach setzte der Massentourismus ein, die Saisonzeiten wurden immer länger. Man fing an, Pisten künstlich zu beschneien. Und viel Geld zu verdienen.

Die Region Zell am See-Kaprun gehört zu den Gegenden, die von dieser Tourismusentwicklung besonders profitierten. In der Wintersaison 2021/22 zählten die gut 900 Beherbergungsbetriebe über 1,1 Millionen Übernachtungen. Das Gletscherskigebiet am Kitzsteinhorn, an höchster Stelle 3203 Meter, ist einer der größten Treiber der Salzburger Tourismusmaschinerie.