Gastbeitrag von Andreas Herrmann: Abstieg vom Olymp: Warum deutschen Autobauern die Stagnation droht
Ganz gleich, ob man auf den aktuellen Streik bei Ford in Köln oder den Beschäftigungsabbau bei VW, Mercedes und anderswo schaut – die einzelnen Nachrichten gehen in ihrer Bedeutung weit über das jeweilige Unternehmen hinaus. Sie lassen ein Muster erkennen. Die Automobilproduktion in Deutschland ist seit 2017 fast um die Hälfte zurückgegangen. Da die Automobilindustrie fünf Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes ausmacht, ist das ein sehr problematischer Trend.
Die erste Frage, die daher dringend gestellt werden sollte, lautet: Ist die deutsche Automobilindustrie womöglich in den Klauen einer säkularen Stagnation gefangen?
Dafür spricht, dass wir uns in einer Phase anhaltend niedrigen Wirtschaftswachstums befinden, die durch den demografischen Wandel und Innovationsmangel verstärkt wird. Zudem eiern unsere Hersteller noch immer zwischen einem klaren Bekenntnis zum E-Auto und dem Festklammern an Verbrennermotoren hin und her.
Die Zukunft der Automacht Deutschland steht auf der Kippe
Die zweite Frage, die sich zunehmend stellt: Droht den deutschen Herstellern sogar, zu einer regionalen Macht, zu Nischenherstellern degradiert zu werden?
Die unter Trump klar auf Importreduktion ausgerichteten Tendenzen in den USA einerseits und die weltweiten Exportambitionen Chinas andererseits legen eine Bejahung dieser Frage nahe.
Dies gilt umso mehr, als die chinesischen Hersteller aufgrund des unaufhaltsamen Trends zu E-Autos den künftigen Absatz in den Schwellenländern auch in immer höherwertigen Preissegmenten dominieren dürften. Dementsprechend haben deutsche Hersteller in Zukunft auch dort eher wenig Wachstum zu erwarten.
Über Andreas Herrmann
Andreas Herrmann ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und Direktor des dort angesiedelten Institute for Mobility. Als Autor hat er mehrere Bücher über Mobilitätsthemen veröffentlicht, unter anderem übers Autonome Fahren.
Der Erfolg deutscher Autos in China bleibt fraglich
Ob das Bemühen der deutschen Hersteller, allen voran VW, eine Trendwende bringt, “in China für China” – also vor allem schneller und spezifischer auf die dortigen Marktbedürfnisse fokussiert – zu produzieren? Das darf bezweifelt werden.
Die deutschen Marken haben in China ja nicht nur ihre langanhaltende technologische Pole-Position verspielt. Vor allem gelten sie aus Sicht der heutigen Kundengeneration als Statussymbole der Kaufwünsche der Elterngeneration. Das ist keine absatzfördernde Perspektive.
Längst orientieren sich VW & Co. an den chinesischen Konkurrenten
Außerdem ist es mittlerweile zu einer pikanten Umkehrung der bisherigen Machtverhältnisse gekommen. Auf einmal sind es sogar die Deutschen, die von der chinesischen Seite im Gegenzug für einen Marktzugang für chinesische E-Autos in Europa die Bereitschaft zum Technologietransfer an die europäischen Partner einfordern. Ob das eine erfolgversprechende Grundlage für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Hersteller ist? Das darf bezweifelt werden.
Durch Partnerschaften mit chinesischen Anbietern können sie Probleme wie etwa mit dem Onboard-Entertainment vielleicht übertünchen, aber nicht wirklich beheben. Zumal es aus Kundensicht für den Absatz von Fahrzeugen im Premium-Bereich wenig verlockend ist, wenn deutsche Hersteller zunehmend zu Lizenznehmern – soll heißen: Nachzüglern im Innovationsbereich – werden.
Das könnte der Abstieg vom Olymp der deutschen Automobilindustrie sein
Angesichts all dieser Entwicklungen wäre es eigentlich angesagt, dass wir uns sehr harte Fragen über die Zukunft unserer (ehemaligen?) Leitindustrie stellen. Stattdessen ist die Diskussion hierzulande eher auf nachrangige Themen fokussiert. Zum Beispiel die Frage, ob es BYD gelingen wird, sich in Deutschland ein Händlernetz aufzubauen und seine Markenidentität zu schärfen. Sinnvolle Annahme: Die Chinesen werden das schon schaffen.
Aktuell ist es für uns Deutsche noch kaum vorstellbar, dass unsere Automobilindustrie einen ähnlichen Abstieg vom Olymp hinlegen wird, wie er in den USA über die vergangenen Jahrzehnte zu beobachten gewesen ist. Ausgeschlossen ist das aber nicht.
Die Chinesen sind eben nicht nur Kopierer, sondern mittlerweile auch – so wie wir Deutschen – sehr fokussierte Optimierer. Bestückt mit sprichwörtlichen Heerscharen von gut ausgebildeten und intensiv arbeitenden Ingenieuren arbeiten sie industriell zunehmend wie Deutschland zu seiner besten Zeit; aber hoch fünf. Hinzukommt, dass sie – so wie es die Amerikaner traditionell getan haben – Skaleneffekte zu ihrem maximalen Nutzen im Markt einsetzen können.