Merz‘ Reform-Vorstoß: Wohnen Bürgergeld-Bezieher zu teuer?

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Das Bürgergeld will Schwarz-Rot reformieren. Friedrich Merz schlägt eine Deckelung der Wohnkosten für Leistungsempfänger vor. Was der Staat an Miete übernimmt.

Berlin – Die Bundesregierung will das Bürgergeld reformieren: Wie eine solche Reform aussehen soll, darüber herrscht offenbar noch Uneinigkeit. Bundeskanzler Friedrich Merz stellte im ARD-Sommerinterview eine Deckelung der Wohnkosten in Aussicht. Die SPD hält dagegen. „Leistungskürzungen wird es mit uns nicht geben“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt. Weiter entgegnete die Sozialdemokratin: „Wohnungen für Normalverdiener werden nicht günstiger, indem man Bürgergeldempfängern die Unterstützung streicht.“

Bürgergeld-Debatte: Merz stellt Deckelung der Mietkosten in Aussicht

Friedrich Merz hatte angekündigt, Spannungen abbauen zu wollen, die dadurch entstünden, dass Bürgergeld-Beziehenden mehr Miete gezahlt werde als sich „eine normale Arbeitnehmerfamilie“ leisten könne. „Sie haben in den Großstädten heute teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter, die Sie vom Sozialamt oder von der Bundesagentur bekommen für Miete, und wenn Sie das mal hochrechnen, das sind bei 100 Quadratmetern schon 2.000 Euro im Monat“, so der Kanzler.

Das Jobcenter übernimmt für Bürgergeldempfänger Kosten für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe. „Die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft unterscheidet sich regional und liegt in kommunaler Verantwortung“, erklärt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit gegenüber unserer Redaktion. Welche Kosten „angemessen“ sind, lässt sich demnach pauschal nicht beantworten.

Mietkosten für Bürgergeld-Bezieher: Staat zahlt im Bundesdurchschnitt 8,19 Euro pro Quadratmeter

Jedoch erklärt der Sprecher der Arbeitsagentur unter Berufung auf statistische Daten: „Die tatsächlich anerkannten Kosten der Unterkunft (Kaltmiete) liegen aktuell bundesweit bei durchschnittlich 8,19 Euro pro Quadratmeter.“ Starke Abweichungen nach oben zeigen sich jedoch bei einigen größeren Städten wie Hamburg und München. In Hamburg liege der Durchschnitt der aktuell anerkannten Kosten der Unterkunft bei 15,15 Euro pro Quadratmeter – in München bei 16,14 Euro.

Bürgergeld: Bundeskanzler Friedrich Merz hält eine Deckelung bei den Mietkosten für denkbar. (Symbolbild) © IMAGO/Malte Ossowski/SVEN SIMON, IMAGO / dts Nachrichtenagentur

„In anderen der fünf größten Städte liegen die Quadratmeterpreise hingegen nicht ganz so deutlich über dem Bundesdurchschnitt, z. B. in Berlin (8,65), Köln (10,03) oder Frankfurt am Main (10,37).“ Hinzu kommen dabei jedoch noch die Heizkosten, die das jeweilige Jobcenter ebenfalls im Falle der „Angemessenheit“ übernimmt.

Wohnkosten für Bürgergeld-Bezieher: Worauf beruft sich Friedrich Merz?

Ob, und wenn ja, auf welche konkreten Zahlen sich der Kanzler bei seiner Aussage über die Höhe der Wohnkosten beruft, geht aus einer Anfrage an die Bundesregierung nicht explizit hervor. Eine Regierungssprecherin erklärt gegenüber unserer Redaktion: „Die Mieten in vielen deutschen Großstädten sind sehr hoch, und darauf hat der Bundeskanzler hingewiesen. Ordnungspolitische Aufgabe der Kommunen ist es, Obdachlosigkeit vorzubeugen.“

Weiter führt die Regierungssprecherin aus: „Mangels alternativem günstigem Wohnraum kann es daher durchaus dazu kommen, dass die Kommunen bereit sind, deutlich erhöhte Mietkosten zu übernehmen, die über der vorher durch die Kommune festgelegte Angemessenheitsgrenze liegen. Darüber hinaus stehen die Worte des Kanzlers für sich.“

Miete und Bürgergeld: Was darf eine Wohnung kosten?

Die Angemessenheit der Kosten orientiert sich an der Wohnungsgröße, der Anzahl der Personen im Haushalt und dem örtlichen Mietspiegel. Die Mietobergrenze ist dabei von Stadt zu Stadt unterschiedlich. So liegt die Grenze in München – der Stadt mit den durchschnittlich höchsten anerkannten Mietkosten – bei einer Person mit einer Wohngröße von bis zu 50 Quadratmeter bei 890 Euro. Für Hamburg etwa liegt laut Website der Stadt der Mietspiegel 2023 zugrunde. Darauf ergibt sich für eine Haushaltsgröße von einer Person eine Angemessenheitsgrenze von 573 Euro – ohne Heizkosten.

München: Mietobergrenzen Richtwerte für Bruttokaltmiete in Euro (Stand: 1. Januar 2025)

  • Eine Person mit einer Wohngröße bis 50 Quadratmeter: 890 Euro
  • Zwei Personen mit einer Wohngröße bis 65 Quadratmeter: 1.092 Euro
  • Drei Personen mit einer Wohngröße bis 75 Quadratmeter: 1.286 Euro
  • Vier Personen mit einer Wohngröße bis 90 Quadratmeter: 1.569 Euro
  • Fünf Personen mit einer Wohngröße bis 105 Quadratmeter: 1.939 Euro
  • Sechs Personen mit einer Wohngröße bis 120 Quadratmeter: 2.188 Euro

Mietkosten im Bürgergeld: SPD kritisiert Merz‘ Vorstoß zu Karenzzeit

Was die Angemessenheit der übernommenen Kosten betrifft, gibt es zudem eine Karenzzeit: Die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft wird im ersten Jahr nicht geprüft – Heizkosten ausgenommen. Die Karenzzeit wurde zusammen mit dem Bürgergeld eingeführt. Sie soll die Sorge von Bürgergeldempfängern mindern, seine aktuelle Wohnung zu verlieren und „den Betroffenen mehr Zeit für die Jobsuche geben“, heißt es in einem Text des Magazins des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Die SPD-Fraktionsvize hatte nach Merz‘ Sommerinterview auch kritisiert, dass Merz die Karenzzeit streichen wolle. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD lediglich festgehalten, dass „dort, wo unverhältnismäßig hohe Kosten für Unterkunft vorliegen“, die Karenzzeit entfallen soll: Ab welcher Höhe das der Fall sein soll, bleibt dabei offen.

Merz‘ Vorstoß zu Bürgergeld: Übernimmt der Staat Mietkosten in Höhe von 20 Euro pro Quadratmeter?

In welcher Höhe der Staat Wohnkosten für Bürgergeldbeziehende übernimmt, lässt sich allgemein also schwer beantworten. Zum einen durch die regionalen Unterschiede. Zum anderen heißt es in einem Text der FAZ: „Auf Klagen von Bür­ger­geld­beziehern hin werden die kommunalen Bestimmungen immer wieder von Sozialgerichten beanstandet und mit, je nach Gericht unterschiedlichen Maßstäben, korrigiert.“ Auch die Karenzzeit erschwert eine allgemeine Antwort.

Die von Friedrich Merz angesprochenen 20 Euro pro Quadratmeter erscheinen vor diesem Hintergrund möglich, dürften mit Blick auf die Zahlen dennoch eher Extremfälle sein. Zahlen dazu, wie viele Bedarfsgemeinschaften in Wohnungen mit einer Miete von mehr als 20 Euro pro Quadratmeter leben, liegen der Agentur für Arbeit laut Angaben des Sprechers „aktuell nicht vor“. (pav mit dpa)

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