Das Verteidigungsministerium will im Rahmen des neuen Wehrdienstes auch Daten von älteren Jahrgängen erfassen – um diese im Verteidigungsfall einziehen zu können.
Berlin – Seit der Einigung von Union und SPD beim neuen Wehrdienst wissen Jugendliche in Deutschland, was in den kommenden Jahren auf sie zukommen wird. Beginnend ab dem Jahrgang 2008 sollen alle jungen Männer im Land künftig wieder zur Musterung. Doch darüber hinaus plant das Verteidigungsministerium offenbar auch Maßnahmen für ältere Jahrgänge.
Wie eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums auf Anfrage des Münchner Merkurs von Ippen.Media mitteilte, wird mit dem Gesetz zur Modernisierung des Wehrdienstes auch die Wehrerfassung und der Meldedatenabruf in Friedenszeiten wieder möglich. „In Verbindung mit einer der beabsichtigten Befragung mittels Online-Fragebogen sollen die notwendigen Daten wieder erhoben werden“, erklärte das Verteidigungsministerium gegenüber unserer Redaktion. „Erst beginnend im nächsten Jahr mit den dann 18-Jährigen. Folgend ist geplant, auch die Erfassung älterer Jahrgänge nachzuholen.“
Für den Ernstfall: Verteidigungsministerium plant Erfassung von jungen Männern über 18
Das Verteidigungsministerium will somit auch die Daten von Männern erfassen, die nach der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 volljährig wurden und somit nicht mehr eingezogen wurden. In der Praxis dürfte das die Jahrgänge 1993 bis 2007 betreffen. „Diese Wiederaufnahme der Wehrerfassung ist für uns essenziell“, erklärt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. „Für den Spannungs- und Verteidigungsfall müssen wir uns vorbereiten, wir müssen wissen, wo die Wehrpflichtigen wohnen und wo sie erreichbar sind.“
Denn auch wenn der neue Wehrdienst im Kern auf Freiwilligkeit setzt, greift in Deutschland eine Wehrpflicht, wenn der Bundestag mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit den Spannungs- oder Verteidigungsfall feststellt. Dann gelten grundsätzliche alle Männer, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, als wehrpflichtig. Um diese Wehrpflichtigen im Ernstfall einziehen zu können, müssen Regierung und Bundeswehr jedoch wissen, wie sie diese erreichen können. Wegen dieser Problematik beharrte Verteidigungsminister Boris Pistorius auch auf einer flächendeckenden Musterung ganzer Jahrgänge im neuen Wehrdienst. So sollen alle 18-Jährigen künftig erfasst werden, auch wenn nur ein kleiner Teil für den freiwilligen Wehrdienst benötigt wird. Die Erfassung dann jedoch auch für ältere Jahrgänge nachgeholt werden.
Folgen des neuen Wehrdienstes: Auch ältere Jahrgänge sollen erfasst werden – das droht im Verteidigungsfall
Seit 2011 waren Wehrerfassung und Datenübermittlung auf den Spannungs- und Verteidigungsfall beschränkt. Die entsprechenden Daten aus dieser Zeit lägen nach Angaben des Verteidigungsministeriums also nur unvollständig vor. Männer der Jahrgänge 1993 bis 2007 befinden sich bislang also nur bedingt auf dem Radar von Verteidigungsministerium und Bundeswehr – das soll sich ändern. Unklar ist jedoch noch, wie die Erfassung der älteren Jahrgänge ablaufen soll. Männer ab dem Jahrgang 2008 sollen im Rahmen des neuen Wehrdienstes künftig verpflichtend einen Fragebogen ausfüllen, in dem neben grundlegenden Daten auch eine mögliche Bereitschaft zum Wehrdienst abgefragt werden soll. Für ältere Jahrgänge ist jedoch auch ein einfacher Abruf der Meldedaten denkbar.
Auf Basis der Daten könnten Männer dann im Spannungs- oder Verteidigungsfall eingezogen werden – auch dann, wenn sie bislang keine militärische Grundausbildung durchlaufen haben. Das Verteidigungsministerium erklärt auf Anfrage des Münchner Merkurs zu einer möglichen Priorisierung: „Auf Reservistinnen und Reservisten wird prioritär zurückgegriffen. Eine parallele Ausbildung ungedienter Wehrpflichtiger ist bei einem Spannungs- oder Verteidigungsfall bedarfsbezogen jedoch sehr wahrscheinlich.“ Maßgeblich sei dafür der militärische Bedarf der Streitkräfte, der sich wiederum aus der Art eines Angriffes auf unsere territoriale Integrität ableiten würde.
200.000 als Ziel: Pistorius will mit neuem Wehrdienst die Reserve stärken
Das Verteidigungsministerium betont jedoch, dass die Einführung des neuen Wehrdienstes vorrangig der Stärkung der Reserve dienen soll – insbesondere durch die zu erwarteten Freiwilligenmeldungen. Die Bundeswehr soll nach den Plänen der Bundesregierung auf 260.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, sowie 200.000 Reservisten anwachsen.
Pläne zur Wehrerfassung kommen derweil auch aus der Opposition – wenn auch unter einem anderen Vorzeichen. Grünen-Chefin Franziska Brantner sprach sich am Mittwoch gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe für ein „Freiwilligen-Register“ aus, in dem ältere Menschen angeben können, welche Fähigkeiten sie im Spannungsfall einbringen könnten. Doch egal, ob freiwillig oder verpflichtend – die Debatte unterstreicht vor allem einen Umstand erneut: Die Zeiten der Friedens-Dividende in Europa dürften erst einmal vorbei sein. (Quellen: Eigene Recherche, Bundesministerium für Verteidigung, Funke Mediengruppe) (fdu)