Kommentar von Josef Seitz - Böhmermann und der Glühwein: „Obszön“ sind nicht die Preise, sondern seine Arroganz

Auch in Zeiten wie diesen gibt es noch Gefahren, denen die Welt mit großer Gelassenheit begegnen kann. „Ich werde“, hat ZDF-Mann Jan Böhmermann gerade angedroht, „dieses Jahr weniger auf die Weihnachtsmärkte gehen!“

Nur einen Moment sind wir da versucht, den Atem anzuhalten. Drei Jahre in Folge hat die deutsche Wirtschaft kein ordentliches Wachstum hinbekommen und sich bestenfalls seitwärts entwickelt. Volkswagen droht, Werke zu schließen und Tausende Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Bei Ford und beim Autozulieferer Bosch sieht es kaum besser aus. Und dann boykottiert auch noch Jan Böhmermann die Weihnachtsmärkte! Wo, bitteschön, soll das alles enden?

Wie stark gefährdet Böhmermann Weihnachten?

Ich gebe zu: Den Angstschweiß habe ich mir schnell abgewischt. Prognosen für das Weihnachtsjahr 2024 gehen davon aus, dass im deutschen Einzelhandel 121,4 Milliarden Euro umgesetzt werden. Allein die beiden Weihnachtsmärkte in Nürnberg, wo das Christkindl bekanntlich den Hauptwohnsitz hat, und in München, wo sich’s so schön vor dem Alten Rathaus süffeln lässt, machen einen Umsatz von 500 Millionen Euro.

Nun weiß ich nicht, wie viel von seinem öffentlich-rechtlich eingespielten Honorar der Moderator des „ZDF Magazin Royale“ üblicherweise pro Saison in Glühwein investiert, um sich sein Fernsehen schön zu saufen. Aber ich bin zuversichtlich: Unsere Alle-Jahre-wieder-Weihnachtswirtschaft wird auch diese Herausforderung bestehen.

Der Aufschrei: „Es ist richtig obszön teuer!“

Was passiert war? Der Nebenerwerbs-Podcaster Böhmermann hatte in der jüngsten Ausgabe seines „Fest & Flauschig“ vom Weihnachtsmarktbummel in Köln berichtet. Und da sind ihm die Preise schneller als der Glühwein über die Leber gelaufen. Siehe da: Weihnachten ist teuer!

Wer das nicht gedacht hätte, weil er vielleicht die vergangenen 20 Jahre in der Arktis verlebt hat, dem liefert der Moderator die knallharten Fakten. Schoko-Weintrauben: 5 Euro! Glühwein: 5,30 Euro!! Lachsbrötchen: 10 Euro!!! Der Aufschrei konnte da nicht lange auf sich warten lassen: „Es ist richtig obszön teuer!“

Arroganz als vorgespielte Kumpelei

Das mit dem FLAX, dem „Flammlachs-Index“ der Preisentwicklung in Deutschland, muss man nicht überbewerten. Bei den beiden Worten „richtig“ und „teuer“ stimme ich zu. „Obszön“ ist etwas ganz Anderes.

Ärgerlich ist nicht, dass sich ein Besserverdiener des öffentlich-rechtlichen Fernsehens unters gemeine Adventsvolk mischt, um dann den Anwalt des kleinen Mannes und der im Regelfall noch kleineren Frau zu geben. Das kann man machen.

Was mich wirklich aufregt, ist die Arroganz, die sich hinter dieser vorgespielten Kumpelei versteckt. Denn Böhmermann, unser Weihnachtsmarktbesucher von nebenan, schimpft nicht nur über die Preise beim Raclette-Baguette. „Für so’ne halbe Scheibe Baguette und so ein bisschen Käse drauf“, wütet Böhmermann und dann setzt er noch drauf: „Aus so `ner Hand, die seit drei Wochen nicht gewaschen wurde!“

Kalte Füße, kalte Nase

Jetzt bin ich persönlich kein passionierter Weihnachtsmarkt-Besucher. Und schon gar nicht verschlägt es mich auf den Kölner Neumarkt. Allerdings weiß ich, dass der als „Markt der Engel“ gefeiert wird, keineswegs als „Markt der Ungewaschenen“. Und ich bin mir sicher, dass das Kölner Engel-Wesen das Baguette mit ziemlich frisch gewaschener Hand gereicht haben dürfte, möglicherweise frischer gewaschen als die der ZDF-Fernsehnase, die sich das Raclette-Baguette dann unter dieselbe geschoben hat.

Kleiner lebenspraktischer Tipp vielleicht für all die Leute, die sich aktuell auf den Weihnachtsmärkten des Landes die Füße abfrieren, um sich ein paar Euro dazuzuverdienen: Sollte ein Jan Böhmermann, 45, bekannt von Fernsehen und Podcast, vor Ihrem Stand auftauchen und Ihnen viel Geld für wenig Ware entgegenstrecken: dann doch lieber mal noch das Tröpfchen von der Nase wischen, bevor Sie ihm sein Brötchen reichen. Dann bleibt zumindest sein Weltbild heil.