Ex-Nato-Kommandeur warnt vor „letzten Tagen“ des Bündnisses
Nachdem sich Trump öffentlich mit Ukraine-Chef Selenskyj angelegt hat, wird die Frage nach den Folgen für die transatlantische Militärallianz immer lauter.
Kiew/Washington D.C. – Nachdem Eklat im Weißen Haus zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem US-Präsidenten Donald Trump fragt sich die ganze Welt, wie es mit der Ukraine weitergeht. Aber was bedeuten eigentlich der Streit für die sicherheitspolitische Zukunft in Europa und der Nato?
Ex-Nato-Kommandeur: „Wir erleben möglicherweise die letzten Tage der Nato“
Der ehemalige Oberbefehlshaber der Alliierten in Europa, Admiral James Stavridis fällt ein klares Urteil: Die Nato könnte aufhören zu existieren. „Ich möchte nicht übertreiben oder dramatisieren, aber wir erleben möglicherweise die letzten Tage der Nato“, sagte er gegenüber CNN.
Stavridis sieht als Knackpunkt die Frage, wen Washington künftig unterstützen wird. Entweder die „angegriffene Demokratie“ in der Ukraine oder den russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Dies wird einen Keil ins Herz des Bündnisses treiben und über die Ukraine hinaus die Frage aufwerfen, ob den Vereinigten Staaten als Partner vertraut werden kann“, erklärte der Admiral.

Zu einem ähnlichen Fazit kommt auch der Politik-Experte Prof. Dr. Joachim Krause im Interview mit Focus. Krause sagt, der Eklat in Washington habe überdeutlich erkennen lassen, dass die Führungsmacht der westlichen Demokratien zu Ende gegangen ist. „Die Trump-Administration hat sich klar auf die Seite Russlands gestellt. Dieser Prozess dürfte nicht mehr umkehrbar sein. Das bedeutet auch das Ende der Nato, so wie wir sie kennen“, so Krause im Focus.
Alternativ-Modell zur Nato: Die europäische Vertragsorganisation könnte neues Bündnis werden
Stavridis glaubt jedoch, dass das Ende der Nato der Beginn eines neuen Militärbündnisses sein könnte: der Europäischen Vertragsorganisation. Er erinnerte daran, dass Trump „klar gemacht hat, dass er der Ukraine in Zukunft nicht helfen will“. Dies sei ein geopolitischer Fehler von epischem Ausmaß. „Doch jetzt, da es grünes Licht für Europa gibt, müssen sie aktiv werden und diese Aufgabe selbst übernehmen“, bemerkte der Admiral.
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„Wenn ich Europäer bin, sage ich an diesem Punkt, was ich brauche: höhere Verteidigungsausgaben, europäische Rüstungsunternehmen, die ihre Waffenproduktion steigern, eine europäische Militär- und Kommandostruktur außerhalb der Nato“, fügte Stavridis hinzu.
Tatsächlich steht die EU wegen der Annäherung zwischen den USA und Russland unter Druck, selbst für die Verteidigung gegen mögliche russische Angriffe zu sorgen und die Ukraine noch mehr zu unterstützen. Deswegen kamen auch keine zwei Tage nach dem beispiellosen Eklat im Weißen Haus viele westliche Staats- und Regierungschefs zum Krisen-Gipfeltreffen nach London. Dort diskutierte man über die Folgen für die Ukraine, Europa und die ganze Welt. Aus Deutschland reist Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, Gastgeber im Lancaster House war der britische Premierminister Keir Starmer.
Trump droht seit Jahren mit Austritt aus der Nato: USA könnte Europa den atomaren Schutz entziehen
Nach dem Zerwürfnis ging es insbesondere auch um den Zusammenhalt der transatlantischen Militärallianz, der Nato. Groß ist die Sorge, dass die USA aus der Nato austreten und damit Europa den atomaren Schutz entziehen könnten. Bereits in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 hatte Trump damit zeitweise gedroht.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte steht deshalb vor der kniffligen Aufgabe, den Zusammenhalt der Nato sicherzustellen und gleichzeitig die Ukraine weiter im Kampf gegen die russische Invasion zu unterstützen. Er muss vermitteln und besänftigen. „Ich denke, Selenskyj sollte einen Weg finden, seine Beziehung zu Präsident Trump wiederherzustellen, das ist wichtig für die Zukunft“, sagte Rutte in einem BBC-Interview. Das Streitgespräch im Oval Office bezeichnete er als „unglücklich“. Seitdem habe er zweimal mit Selenskyj telefoniert.

Hintergrund: Selenskyj und Trump waren am Freitag (28. Februar) im Oval Office vor den Augen der Weltöffentlichkeit heftig aneinandergeraten. Flankiert von seinem Vizepräsidenten JD Vance warf Trump dem ukrainischen Präsidenten dabei unter anderem Respektlosigkeit vor. Zugleich drohte er mit dem Ende der US-Unterstützung, sollte Selenskyj nicht einem Deal mit Russland zustimmen. (bg/dpa)