Sozialforscher Andreas Herteux - Sondervermögen: Liegt Deutschlands Schicksal in den Händen von Hubert Aiwanger?
Hätte Aiwanger seine Worte bedachter gewählt, wenn ihm in diesem Moment bewusst gewesen wäre, dass er, als metaphorische Personifizierung der Freien Wähler versteht sich, das Zünglein an der Waage werden könnte? Dass Deutschlands Schicksal sich tatsächlich damit – unter gewissen Umständen - am Mann aus Niederbayern entscheiden wird? Oder wusste er es schon, denn die Wahrscheinlichkeit, dass es am Ende auf seine Partei ankommt, ist groß.
Sondervermögen benötigt 2/3-Mehrheiten
Warum? Beginnen wir von vorne. Es geht um die Regierungsbildung. Um die Neuverschuldung. Das Sondervermögen, wie es die Verhandlungsführer derzeit planen, bedarf im ersten Schritt einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag.
Das macht die Sache kompliziert, denn die Zeit drängt. Warum? Das liegt an den Ergebnissen der Wahl im Februar. AfD und Linke verfügen künftig über eine Sperrminorität und werden diese wohl als Radikalopposition auch ausspielen. Hinzu kommt, dass es teilweise um Themen wie Russland, die Ukraine und Aufrüstung geht.
Auf Staatsraison kann an dieser Stelle kaum gesetzt werden. Gerade das Projekt 2029 – der Traum der Alternative für Deutschland, in vier Jahren stärkste Kraft zu werden – setzt voraus, dass die neue Regierung nicht erfolgreich sein wird. Eine Ablehnung des Sondervermögens würde diesem Ziel vermutlich näherkommen. Überzeugung und Strategie gehen hier Hand in Hand.
Das Paket kann daher im neuen Bundestag höchstwahrscheinlich nicht verabschiedet werden. Union und SPD brauchen also jetzt, da noch die alte Zusammensetzung entscheiden kann, einen Partner für eine solche Mehrheit. Das könnten die Liberalen oder die Grünen sein. Die FDP scheidet wohl aus, denn gerade die Schuldenbremse war eine der Begründungen für den Koalitionsbruch. Eine Zustimmung wäre vermutlich der letzte Sargnagel. Auch hier gilt: Überzeugung und Überlebensstrategie spielen zusammen.
Bleiben die Grünen, die sich nie grundsätzlich gegen Schuldenlösungen ausgesprochen haben und hier wohl Zugeständnisse machen könnten. Was sie dafür verlangen, ist aber noch offen. Billig wird es nicht werden.
Bundestag und Bundesrat wichtig
Der Bundestag ist jedoch nur der erste Schritt, und der zweite folgt sogleich: der Bundesrat. Auch hier bedarf es einer Zweidrittelmehrheit. Im Bundesrat sind insgesamt 69 Stimmen zu vergeben. Für eine Zweidrittelmehrheit werden 46 Stimmen benötigt. Das Problem ist, dass pro Bundesland eine einheitliche Willensabgabe erfolgen muss, andernfalls werden die jeweiligen Stimmen ungültig.
Wenn sich also Koalitionspartner in einem Bundesland nicht einig sind, gibt es keine Zustimmung – und damit womöglich auch kein Sondervermögen.
Freie Wähler womöglich entscheidend für Zustimmung
Betrachtet man die Zusammensetzung der Landesregierungen näher, so besitzen die Länder, in denen ausschließlich Union, Grüne und SPD regieren, lediglich 41 der notwendigen 46 Stimmen. Zweifellos könnte nun auch ein Bundesland mit FDP, Linken- oder BSW-Beteiligung positiv votieren, aber ist das wahrscheinlich?
Entscheidend wäre vielleicht am Ende nur Bayern, das weitere sechs Stimmen beitragen könnte. Genau diese Konstellation rückt die Freien Wähler und Hubert Aiwanger in den Mittelpunkt. Von ihrer Zustimmung könnte am Ende abhängen, ob das Sondervermögen zustande kommt oder nicht.
Ist Neuverschuldung sinnvoll?
Natürlich lässt sich über jede Form der Neuverschuldung, selbst wenn sie mit dem Begriff „Sondervermögen“ getarnt wird, diskutieren. Ist sie sinnvoll? Rational betrachtet sollte die Antwort lauten: Solange es sich um Investitionen handelt, die langfristig eine Rendite abwerfen, ja.
Diese Rendite muss, entgegen der Argumentation einfacher Gemüter, nicht immer messbarer ökonomischer Natur sein. Auch eine Erhöhung des geopolitischen Einflusses oder die Erneuerung der Infrastruktur können sich langfristig auszahlen. Es geht um Deutschland als Ganzes, nicht um Teilaspekte.
Unzweifelhaft werden manche mutmaßlichen Investitionen jedoch zu großen Scheiterhaufen mit lodernden Flammen und Geld als Brennmaterial. Das gilt es zu verhindern. Die Mittelverwendung muss genau geprüft werden. Sicher ist aber: Ohne Investitionen wird es schwer, international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Das Sondervermögen ist daher nicht nur für die Regierungsbildung zentral, sondern vermutlich auch – falls die aufgenommenen Beträge zielführend eingesetzt werden – eine Frage der Staatsraison. Deutschland muss funktionieren.
Freie Wähler werden aus Staatsraison handeln
Das wissen die Freien Wähler, das weiß Hubert Aiwanger. Es mag im Moment einen Richtungsstreit geben, der auch seine Rolle hinterfragt. Auch manch Söder-Kommentar und manch Giftpfeil seitens der CSU, dem Koalitionspartner in Bayern, mag piksen, aber es erscheint unwahrscheinlich, dass sich die kommunal stark verankerten Freien Wähler, die sehr häufig vor Ort Verantwortung übernehmen, sich dieser auf nationaler Ebene entziehen werden.