"Lagerbildung und Abwertungen": Forscher enthüllt Kern-Problem der Gesellschaft

Ob beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine, Migration, Regenbogenflagge auf dem Reichstag oder Gendern im täglichen Sprachgebrauch: Oft wirkt es so, als sei Deutschland ein tief gespaltenes Land

Einer, der sich mit den Prozessen, die eine Gesellschaft prägen, beschäftigt, ist der Soziologe Swen Hutter. Er arbeitet als Direktor des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung und Professor für Politische Soziologie an der Freien Universität Berlin.

In einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel" erklärte Hutter, die Zivilgesellschaft sei innerem und äußerem Druck ausgesetzt. "Druck von außen ist die gezielte Einflussnahme rechtsextremer oder antidemokratischer Akteure", so der Soziologe.

Hutter: "Wenn man schweigt, prägen radikalere Stimmen das Meinungsklima"

Er kann ihm zufolge aber auch in Form von Spenden oder gemeinsamen Aktionen vor Ort auftreten. Druck von innen bedeutet laut Hutter, "dass Menschen in der Mitte der Gesellschaft Gespräche vermeiden, weil sie das Gefühl haben, die Polarisierung sei zu stark". 

"Unsere Befragungen zeigen, dass etwa ein Viertel der Menschen im vergangenen Monat ein Gespräch aus politischen Gründen vermieden hat." Wenn genau diese Gruppe aber der Kern vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen sei und sich zurückziehe, während extreme Positionen präsenter würden, sei das "problematisch".

Nachvollziehbar ist für den Forscher, dass viele Menschen Gespräche mit überzeugten Rechtsextremen ablehnen. Er betonte aber auch: "Wenn man schweigt und den Raum im Verein oder der lokalen Initiative radikaleren Stimmen überlässt, prägen diese das Meinungsklima."

"Wir sehen sehr schnell Lagerbildungen und Abwertungen"

Nicht immer gehe es außerdem um Demokratiefeindlichkeit. Oft handelt es sich laut Hutter vielmehr um legitime Meinungsverschiedenheiten, "etwa zur Geschwindigkeit der Klimapolitik. Auch da sehen wir sehr schnell Lagerbildungen und Abwertungen".

Tatsächlich zeigte sich im jüngsten Deutschland-Monitor: Bei grundlegenden gesellschaftlichen Werten herrscht Konsens, beispielsweise mit Blick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, soziale Gerechtigkeit oder das Recht zur friedlichen Ausübung der Religion.

Allerdings tauchen in der Erhebung auch die Punkte auf, bei denen Hutter von "Lagerbildung" spricht. Deutlich uneiniger waren sich die Befragten nämlich bei den Fragen, ob eine klimaneutrale Lebensweise und eine Gesellschaft, die Zuwanderung als Chance begreift, wünschenswert sind.

Forscher sagt, wie man auf rechtsextreme Positionen reagieren sollte

Im "Tagesspiegel" sprach Hutter auch über politische Themen. "Wir wissen vergleichsweise viel darüber, wie Parteien auf rechtspopulistische oder rechtsextreme Positionen reagieren sollten", so der Soziologe. Studien hätten gezeigt, dass es wenig bringt, Themen aus dem rechten Spektrum zu übernehmen, um deren Wahlerfolg einzugrenzen. 

Klar ist: Die Politik ringt schon länger um den richtigen Umgang mit Rechtspopulisten. Ignorieren, ausgrenzen, konfrontieren, sich mit den Positionen der Parteien am rechten Rand auseinandersetzen: Über mögliche Strategien gibt es lange Artikel, Talkshow-Debatten und Reden im Bundestag. Der eine "richtige" Weg hat sich bisher nicht herauskristallisiert.

Für Hutter ist vor allem interessant, was auf lokaler Ebene in Vereinen, Initiativen oder Verbänden passiert, wenn sich rechte Haltungen intensivieren. Analysen zur Wirksamkeit von Gegenstrategien würden bisher fehlen, sagte er im "Tagesspiegel".