Milliarden für die Bundeswehr – doch ein Rohstoff aus China bereitet Munitions-Sorge

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Union und SPD schnüren ein Milliardenpaket für die Verteidigung. Doch die Industrie ist kaum bereit, Material zu liefern, heißt es aus Verteidigungskreisen.

Berlin – Union und SPD wollen Milliardenschulden aufnehmen, um die Wirtschaft und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Seit Wochen sorgt das Thema in Berlin für Debatten und Querelen. Die Grünen sind vergrätzt, weil CDU-Chef und Kanzler in spe Friedrich Merz sie in die Gespräche nicht eingebunden hatte. Sie haben den Plänen eine vorläufige Abfuhr erteilt – ohne die Stimmen der Grünen können Union und SPD ihre Entwürfe allerdings begraben.

Inzwischen zeichnet sich ein zarter Kompromiss ab, zumindest die Verteidigungsmilliarden dürften kommen. Abseits der politischen Taktiererei in Berlin stellt sich die Frage: Was braucht Deutschland denn tatsächlich für seine Verteidigung? Und Geldregen hin oder her: Wer soll das produzieren?

Bundeswehr-Kasernen in „desaströsem Zustand“: Mangel an Großgerät und Ersatzteilen

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, schreibt in ihrem frisch veröffentlichten Jahresbericht 2024, Kasernen seien „immer noch teilweise in einem desaströsen Zustand“. Zudem mangele es an funktionstüchtigem Großgerät und Ersatzteilen. Insgesamt hat sich die Ausstattung der Bundeswehr laut dem Bericht aber verbessert – was sicherlich auch dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro geschuldet ist, das die Bundeswehr nach Russlands Überfall auf die Ukraine 2022 erhalten hat. Mit dem Geld waren überwiegend relativ schnell verfügbare Waffen gekauft worden, etwa Hubschrauber und Panzer.

Allerdings heißt es aus Bundeswehrkreisen: Munition, Waffen und Fahrzeuge sind nicht schnell genug verfügbar. Die Auftritte von US-Präsident Donald Trump und seinem Vize JD Vance haben zuletzt deutlich gemacht, dass die USA als NATO-Partner nicht mehr so verlässlich sind wie einst. Europa müsse sich dringend selbst verteidigen können, warnen Sicherheitsexperten schon seit Monaten.

Angriff von Putins Russland auf Deutschland nicht ausgeschlossen – woher Waffen nehmen?

Derweil füllt Russland seine Kriegsreserven schneller auf als angenommen. Verteidigungsexperten halten einen militärischen Angriff auf Polen oder gar Deutschland längst nicht mehr für ausgeschlossen. Europa mangelt es derweil bei der Flugabwehr und beim Thema weitreichende Waffen. Ulf Steindl, Experte des Austrian Institute for European and Security Policy, sagte jüngst im Gespräch mit dieser Redaktion: Mittelfristig müsse die europäische Produktion ausgebaut werden, beispielsweise von SAMP/T oder IRIS-Flugabwehrsystemen. Verteidigungsexperten wünschen sich außerdem eine heimische Produktion von bewaffneten Drohnen.

In Bundeswehrkreisen moniert man allerdings, dass die deutsche Rüstungsindustrie aktuell nicht gut aufgestellt sei, um die hohen Bedarfe kurzfristig zu decken. Das liege auch daran, dass in den Jahrzehnten seit Ende des Kalten Kriegs immer mehr kleine und mittelständische Rüstungsunternehmen und Zulieferer in Deutschland und Europa verschwunden sind. Das führt zu Lieferkettenproblemen.

Artillerie-Munition zur Verteidigung: Hersteller kommen mit Produktion kaum nach

Die Standard-150-Millimeter-Geschosse für Artilleriewaffen etwa liefern praktisch nur zwei große Unternehmen mit deutscher Beteiligung: Rheinmetall und Diehl-Nammo, ein Zusammenschluss des baden-württembergischen Konzerns Diehl und des norwegischen Rüstungsunternehmens Nammo. Dort kommen sie wegen des Ukraine-Kriegs mit der Produktion kaum hinterher, sagte es vor einigen Monaten ein Nammo-Sprecher unserer Redaktion. Seine Rechnung: Pro Minute verschieße eine Artillerieeinheit acht Projektile, über 1000 Artilleriewaffen seien auf ukrainischer Seite im Einsatz.

Allerdings könnte die Ukraine auf Sicht auch ein Teil der Lösung für Europa sein. In dem Land sei Artillierie-Munition wesentlich günstiger herzustellen als etwa in Deutschland, sagte der CDU-Außenpolitiker und Bundeswehr-Oberst a.D. Roderich Kiesewetter am Dienstag bei einer Ukraine-Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Weniger als die Hälfte des deutschen Preises kostet ein Geschoss aus ukrainischer Produktion ihm zufolge. Das könnte Europas Verteidigungsbudgets irgendwann stark entlasten.

Geld für die Bundeswehr: Experten raten auch zu strategischen Rüstungskäufen gegen Putin

Dafür wächst ein anderes Problem in der aktuellen Weltlage: Für die Munitionsproduktion ist die sogenannte Schießbaumwolle unabdingbar. Die Masse wird aus Baumwolle gewonnen – und stammt zu über 70 Prozent aus China, der Rest kommt vorwiegend aus den USA. Die Chinesen wiederum sind eng mit Russlands Präsident Wladimir Putin verbündet, und Trump droht Europa aktuell mit einem Handelskrieg. Sollten Importe aus Fernost oder Amerika ausbleiben, könnte Europa praktisch keine Munition mehr produzieren.

Experten drängen deshalb darauf, mit Nachdruck neue Bündnisse und Importländer für Rohstoffe und Waffensysteme zu finden, um unabhängig von China und den USA zu werden. Kiesewetter sagte im Gespräch mit dieser Redaktion: „Wir sollten zugleich schauen, was in Ländern verfügbar ist, die mit uns kooperieren. Ich meine ganz gezielt Südkorea, Japan, die Philippinen, Indonesien, aber auch Australien.“ Diese Länder gehörten zu den Verteidigern der regelbasierten Ordnung, so Kiesewetter. „Diese Partner sollten wir einbinden.“ Außerdem sollten Europa und Deutschland Bündnisse mit Indien oder Brasilien suchen. „Diese Länder von einer Rüstungskooperation zu überzeugen, hätte den Vorteil, die Innovationskraft mitzunutzen –aber vor allem zu zeigen: Wir wollen keinen geschlossenen Club.“

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