Ein blutiges Verbrechen und seine Spuren: Marterl erinnert an tragische Gewalttat von 1938
Mit einem ganz neuen Marterl erinnern die heutigen Besitzer von Schloss Eichbichl bei Frauenneuharting an die vielleicht schlimmste Bluttat der jüngeren Gemeindegeschichte. Vor fast 90 Jahren starb „durch ruchlose Hand“ ein Handwerker nach einem Wirtshausstreit. Nun ist der Tatort von damals ein dauerhafter Platz des Gedenkens.
Frauenneuharting - Das Blut des Johann Lohmayr, gerade einmal 28 Jahre alt, versickert kurz nach Mitternacht nur einen Steinwurf von Schloss Eichbichl entfernt im Straßenbankett. Ein Stich in die Halsschlagader kostet ihn das Leben, als jener 27. Mai 1938 erst kaum eine halbe Stunde dauert. Über 86 Jahre später steht Rea von Raben an der Stelle des tödlichen Angriffs und sagt: „Wir wollten diesen Ort heilen.“
Verwitterte Gedenkplatte
Neben ihr steht, frisch geweißelt und mit nach alter Art vermörtelten, roten Biberschwanzziegeln eingedeckt, ein übermannshohes Türmchen. Das neue Marterl, das nun an die wohl tragischste Gewalttat der jüngeren Frauenneuhartinger Gemeindegeschichte erinnert. Eingelassen ist eine verwitterte Gedenkplatte, die mit frisch nachgezogenen Lettern von der damaligen Bluttat „durch ruchlose Hand“ zeugt.
Was sich damals an der Kreuzung unweit von Stachet ereignete, ist durch Zeitungsberichte und Gerichtsakten dokumentiert. Gemeindechronist und Historiker Bernhard Schäfer hatte die Dokumente gemeinsam mit seinem Vater Berthold für eine Gemeindechronik zur Jahrtausendwende ausgewertet und zusammengefasst. Bei der Lektüre kam dem Ehepaar von Raben, das heute auf Schloss Eichbichl nah am einstigen Tatort lebt, damals schon die Idee für den Marterl-Bau, erzählen die beiden der EZ. Nun ist es fertig.

Der Aktenlage nach war Johann Lohmayr, ein Zimmermann aus dem nahen Eschenloh, nicht zum ersten Mal im Bräustüberl in Stachet mit jenem „staatenlosen Johann Pitola“ aus Garching in Streit geraten. In der Gaststätte habe der Wirt noch schlichten können. Doch auf dem Heimweg, zur „Polizeistunde“, seien der vorbestrafte und „in der ganzen Umgegend als streitsüchtig bekannte“, vorbestrafte Knecht und der Zimmerer erneut aneinandergeraten. „Er gab an, dass er wegen des Schimpfwortes ,Lausbub!‘ in maßlose Erregung gekommen sei“, heißt es über die Aussage des Täters im Nachbericht der Grafinger Zeitung, Vorläufer der EZ, zum Prozess vor dem Münchner Schwurgericht im Oktober 1938.
Der Täter stach zu - und ging dann zu Bett
Bis ein dritter Wirtshausbesucher dem Angegriffenen zu Hilfe eilen konnte, sei dieser ob des Messerstichs in die Brust bereits zusammengebrochen und verblutet. Über Pitola, den 22-jährigen Täter, heißt es: „Hierauf lief er davon, legte sich zu Hause ins Bett und schlief seelenruhig ein.“
Die Rollen von Gut und Böse sind in den zeitgenössischen Berichten klar verteilt. „Die Anteilnahme war in der ganzen Gemeinde eine überaus große, und so bewegte sich auch ein stattlicher Trauerzug vom Elternhause zum Friedhof“, berichtet die Grafinger Zeitung von der Beerdigung. Lohmayr hatte demnach fünf Geschwister, war „ein fleißiger Arbeiter, dem sein Dienstherr nur das beste Zeugnis ausstellen kann“.
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Von dieser Quellenlage habe sich auch die mit Rea von Raben befreundete Wiener Künstlerin Valerie Habsburg-Lothringen inspirieren lassen, die zwei Bildszenen auf dem Marterl gestaltet hat. Eine zeigt den Streit im Wirtshaus, die andere den sterbenden Zimmermann neben seinem umgekippten Rad am Wegesrand, beide mit dem grobschlächtigen Messer-Mann in anonymer Rückenansicht. Dafür habe von Raben sogar von einem Archäoastronomen die Lichtverhältnisse und die Mondphase jenes Tages recherchieren lassen. An der Südfassade ist der Gedenkstein eingelassen, den dankenswerterweise die benachbarte Familie Bergs bei Aufräumarbeiten zutage gefördert habe, erzählt von Raben.

Das Marterl erinnert nicht nur an eine Schreckenstat von damals, es ist auch ein Bau, der so manchen Helfer aus der Gegend hatte, sei es bei der Materialsuche, bei der Gestaltung oder bei der Recherche, erzählen die von Rabens. Sie seien selbst bei ihrem Herzug Mitte der 1990er von den Nachbarn so freundlich aufgenommen worden. Schlossherr Ulrich von Raben (72) sagt über das Marterl: „Wir wollen den Menschen und der Landschaft etwas zurückgeben.“
Marterl wird noch eingeweiht
Auf der Nordseite prangt unter einem Keltenkreuz der Satz des Dichters Eduard Mörike: „Herr in Deine Hände – sei Anfang und Ende – Sei alles gelegt“. Darunter ist angedacht, einen Jesus am Kreuz in einer Nische unterzubringen. Und dort die Sterbebilder der Toten aus den umliegenden Orten zum Gedenken auszulegen. „Dass alle hier bleiben können und an sie erinnert ist“, sagt Rea von Raben. Zu ihrem anstehenden 70. Geburtstag werde das Marterl mit einem ökumenischen Feldgottesdienst eingeweiht. Über die Kosten, die die Familie selbst getragen habe, zitiert ihr Mann einen Leitspruch des Luxuskleidermachers Aldo Gucci: „Qualität ist das, was bleibt, wenn der Preis längst vergessen ist.“
Bleibt am Ende nur noch die Frage nach dem Verbleib des Täters: Rund zwei Stunden nach dem Angriff holte die Gendarmerie den Betrunkenen aus dem Bett auf dem Hof seines Dienstherrn. Das Münchner Schwurgericht verurteilte ihn wegen Totschlags zu sechs Jahren Zuchthaus und drei Jahren „Ehrverlust“, also Entzug bürgerlicher Rechte. Danach verliert sich in den Wirren des Zweiten Weltkriegs seine Spur.