„Regt euch doch auf“ - Kolumne von Julia Ruhs - Plötzlich ist die Jugend eine Problem-Gruppe – weil sie nicht mehr links ist
Wieder einmal wird die deutsche Geschichte instrumentalisiert
Die Logik dahinter: Einfach noch besser aufklären. Ist die politische Bildung in der Schule gezielt genug, sollte die AfD bei der Jugend zuverlässig bei null Prozent landen. Historische Bildung ist grundsätzlich nie verkehrt, finde ich, nur ist die Logik nicht ganz wasserdicht. Denn selbst mit Lehrplan-Update könnte der ein oder andere Schüler zu dem Schluss kommen, dass die politischen Verhältnisse damals nicht gleichzusetzen sind mit den heutigen. Dass aktuell kein neues 1933 zu befürchten ist. Die AfD zwar in Teilen rechtsextrem, aber auch nicht die NSDAP ist. Dass die AfD eher all den anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa gleicht. Und so mancher Nazi-Vergleich eher die nationalsozialistischen Verbrecher von damals krass verharmlost.
Aber was schreibe ich denn da, die Grünen meinen es ja nur gut. Es geht um unsere Demokratie, und die ist laut Grünen bekanntlich in Gefahr, da wird als politische Waffe eben gern das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte instrumentalisiert.
Der Grünen-Bildungspolitiker Gehring ist nicht der Einzige, der daran glaubt, dass man die AfD mit politisch-historischer Bildung kleinkriegen kann. Auch die Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz Louisa Charlotte Basner wünscht sich, dass der Politikunterricht reformiert wird. Und sie hat noch einen anderen Vorschlag, wie man den „besorgniserregenden Rechtsruck“ der Jugend in den Griff bekommen kann: Schulen sollten mehr Medienkompetenz unterrichten. Damit Schüler lernen, wo und wie sie sich am besten informieren können, erklärt sie. Heißt übersetzt: Wer sich richtig informiert, kommt auch beim Wählen an der richtigen Stelle raus. Ist also die politische Bildung in der Schule schon nicht gezielt genug, dann soll es zumindest gezielter Medienkonsum richten.
Was bloß tun? Erstmal TikTok.
Weil bald wieder Wahlen anstehen, drängt die Zeit, um die Welt politisch wieder in Ordnung zu bringen. Das wissen auch Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Weil das mit dem Lehrplan-Update eine langwierige bis aussichtslose Sache ist – und eine „Demo gegen Rechts“ wohl auch nichts helfen würde – haben sich die beiden etwas anderes überlegt: Sie sind jetzt auf TikTok. Schließlich ist die AfD auf der Plattform bisher unangefochten auf Platz Nummer eins, was die Reichweite angeht. Und hier verbringt die junge Generation sehr viel Zeit. Besser kommunizieren, heißt die Strategie also wieder einmal, wenn’s sein muss auf TikTok.
Mehr Social Media ist ja nicht verkehrt, aber das reicht nicht, um die Jugend zurückzugewinnen. Ob Olaf Scholz auf Tiktok jetzt tanzt oder nicht – wurscht. Die Ampel muss an die Probleme ran. Sie muss die Dinge angehen, die die Jugend zu AfD-Sympathisanten werden ließ.
Welche Ängste die junge Generation hat, darauf gibt die Jugendstudie nämlich Antworten: Sorgen macht sie sich vor allem wegen Inflation, Krieg, teurem und knappem Wohnraum. Auch die Angst vor Wirtschaftskrise, Altersarmut, einem Zusammenbruch des Rentensystems hat bei den 14-29-Jährigen zugenommen. Die Studienautoren sagen: Seit der Coronazeit plage die Jugend ein Ohnmachtsgefühl. Arbeite hart, dann kannst du dir ein gutes Leben leisten: An dieses Versprechen glaubten die Jungen nicht mehr. Die Studie dokumentiere „eine tief sitzende mentale Verunsicherung mit Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen“. Was bewirke, dass die Jugend frustriert ist. Demotiviert. Psychisch angeschlagen.
Sorge vor noch mehr ankommenden Flüchtlingen
Gerade ein Thema hat im Sorgen-Ranking der Studie fast doppelt so hoch wie im Jahr zuvor abgeschnitten: die Sorge vor einer Zunahme von Flüchtlingsströmen. Studienautor Simon Schnetzer sagt, das komme daher, weil es auch ums Geld geht: „Weil es für die Jugend finanziell so schwierig ist. Weil sie das Gefühl haben, sie haben selbst nicht mehr genug. Dass sie verzichten müssen“, so der Forscher.
Eigentlich illustriert die Studie sehr gut den Kern des Problems: Meine Generation hat Angst, dass es bergab geht. Angst, dass der Peak des guten Lebens nun vorbei ist, man als junger Mensch aber nur wenige Augenblicke davon erhaschen konnte. Davor, in eine Zeit hineingeboren worden zu sein, in der Fleiß, Arbeitswille, Aufopferung im Job nur begrenzt hilft, um das zu bekommen, was man sich vom Leben erträumt. Weil die Umstände widrig geworden sind.
Wer Vertrauen verspielt, muss es wieder zurückgewinnen
Meine Altersgenossen sind also nicht zu 22 Prozent Rechtsradikale. Auch keine Fremdenfeinde. Aber sie haben Zukunftsängste und finden – zurecht – sie kommen zu kurz. Die Regierung sollte jungen Menschen Vertrauen zurückgeben, in eine sichere Rente, auf bezahlbaren Wohnraum und eine florierende Wirtschaft. Darauf, sich im Leben etwas aufbauen zu können.
Gelingt das, dann hat auf die AfD keiner mehr Lust. Gerade junge Leute haben meist keine feste Parteibindung, sie wählen mal so, mal so. Wer weiß, vielleicht wird in ein paar Jahren die SPD wieder cool. Die junge Generation ist also längst nicht verloren. Aber was sie aktuell vor allem ist: ein gutes Barometer für die politische Stimmung im Land.