Ein gewaltiges Militärmanöver in Osteuropa, ein geleaktes Bundeswehr-Geheimpapier und eine versteckte Trump-Drohung. Wie groß ist die Gefahr eines Krieges mit Russland wirklich?
Brüssel – Admiral Rob Bauer, der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, ist ein Mann der klaren Worte. Am Mittwoch (17. Januar) warnte er auf einer Pressekonferenz: „Die tektonischen Platten der Macht verschieben sich. Und als Folge dessen leben wir in der gefährlichsten Welt seit Jahrzehnten.“ Und: „Um wirklich effektiv zu sein, müssen wir die NATO in eine Kriegstruppe umwandeln.“ Keine 24 Stunden später kündigte die Nato ihr größtes Militärmanöver seit dem Ende des Kalten Krieges an.
Viele Bürger fragen sich daher aktuell, wie gut oder schlecht es um die Sicherheit Europas tatsächlich steht. Eindeutig beantworten lässt sich diese Frage zwar nicht, man kann sich der realen Bedrohungslage aber mithilfe von Indizien annähern. Die zeichnen ein trübes, aber keineswegs auswegloses Zukunftsszenario.
Bundeswehr-Geheimpapier warnt vor Russland-Angriff
Anfang der Woche zitierte die Bild-Zeitung aus einem Bundeswehr Geheimpapier, dass eine mögliche russische Timeline für einen bewaffneten Konflikt mit der Nato aufzeigt. Darin geht es zunächst um hybride Kriegsführung mit russischen Cyber-Attacken auf kritische Infrastruktur des Westens und gesellschaftliche Destabilisierung der osteuropäischen Staaten durch Falschinformationen und Aufwiegelung im Internet. Im Schatten eines Militärmanövers würde Russland demnach anschließend seine Enklave Kaliningrad aufrüsten. Schließlich würde ein durch Russland herbeigeführter „Grenzkonflikt“ zu Kampfhandlungen mit Litauen und Polen führen.
Das Szenario endet an dieser Stelle, da ein solcher Verlauf wohl die Auslösung des Nato-Bündnisfalles zur Folge hätte und damit von einem lokalen Grenzkonflikt zu einer globalen Kriegsgefahr würde. Auch wenn dieses Szenario rein hypothetisch ist, zeigt es, wie ernst die Bundeswehr die veränderte Bedrohungslage nimmt. Seit Russland völkerrechtswidrig die Ukraine angegriffen und teilweise annektiert hat, gelten bislang angenommene Sicherheiten nicht mehr.
Stellt Trump die Ukraine-Hilfen ein?
Ähnlich wie im Kalten Krieg herrscht seitdem wieder ein Ost-West-Konflikt, bei dem die Nato Gegner des Ostens militärisch unterstützt. Dank beispielloser westlicher Hilfen konnte die Ukraine die eigentlich als übermächtig geltenden russischen Streitkräfte an der schnellen Eroberung des europäischen Landes hindern. Doch seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 herrscht nun ein brutaler Krieg in der Ukraine, bei dem keine Seite nennenswerte Fortschritte machen kann. Die im Sommer gestartete ukrainische Gegenoffensive blieb weitgehend ohne Landgewinn, die menschlichen Verluste auf beiden Seiten sind dramatisch.
Ausgerechnet in dieser festgefahrenen Situation könnte die westliche Unterstützung für die Ukraine einen schweren Rückschlag erfahren. Im November 2024 wird in den USA der nächste amerikanische Präsident gewählt und derzeit deuten viele Vorzeichen darauf hin, dass Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen könnte. Trump und zahlreiche seiner Unterstützer hatten sich in der Vergangenheit immer wieder unzufrieden mit den gewaltigen Kosten der amerikanischen Ukraine-Unterstützung geäußert. Der Ex-Präsident kündigte sogar an, den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden nach seiner Wiederwahl „zu beenden“. Wie er das beabsichtigt, erklärte Trump bislang nicht. Im Westen und in der Ukraine sind daher die Sorgen groß, dass eine Einstellung aller amerikanischen Hilfen der bevorzugte Weg des Republikaners sein könnte.
„Binnen 24 Stunden beende ich den Krieg in der Ukraine“
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Sollte es tatsächlich soweit kommen, gäbe es wohl nur zwei mögliche Folgen: Entweder müsste Europa die gesamte amerikanische Unterstützung kompensieren, was zu schweren wirtschaftlichen Problemen bei den größten Ukraine-Unterstützern wie Deutschland, England, Polen und Frankreich führen könnte. Oder Russland gewinnt den Krieg, weil der Ukraine westliche Waffen und Munition ausgehen. Beide Fälle hätten eine massive politische und militärische Destabilisierung Europas und der Nato zur Folge.
Diese Sorge treibt auch den deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) um: „Wir Europäer müssen unser Engagement hochfahren, um die Sicherheit auf unserem Kontinent zu gewährleisten“, erklärte Pistorius kurz vor Weihnachten. Grund dafür sei die bisherige Rolle der USA, die unter Trump wegfallen könnte. Deutschland habe nur „ungefähr fünf bis acht Jahre“, um sich auf einen bewaffneten Konflikt mit Russland vorzubereiten.
Nato-Manöver mit 90.000 Soldaten an der Ostflanke
Unter dem aktuellen Präsidenten Joe Biden stehen die USA derzeit allerdings noch fest an der Seite der Ukraine und nehmen im Mai an dem Nato-Manöver Steadfast Defender („Standhafter Verteidiger“) teil. In der größten Übung, die das Verteidigungsbündnis seit dem Ende des kalten Krieges abgehalten hat, wird ein russischer Angriff auf alliiertes Territorium simuliert, der zum Ausrufen des sogenannten Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nato-Vertrags führt. Artikel 5 besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird.
An dem Manöver sollen mehr als 50 Schiffe von Zerstörern bis hin zu Flugzeugträgern teilnehmen, mehr als 80 Kampfjets, Helikopter und Drohnen sowie mehr als 1.100 Kampffahrzeuge, darunter 133 Panzer, so die Nato. Insgesamt werden mehr als 90.000 Soldaten den Ernstfall trainieren, darunter auch zahlreiche Truppenteile der Bundeswehr.
Die rund vier Monate dauernde Übung werde die größte des Verteidigungsbündnisses seit Jahrzehnten, erklärte der Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte in Europa, Christopher Cavoli. Vorbereitungen für die Manöver sollen nach Angaben des US-Generals bereits in der kommenden Woche beginnen. Der eigentliche Start ist dann für Februar vorgesehen.
Nato-Admiral empfiehlt: Legen Sie Notvorräte an
Auch wenn es derzeit keine konkreten Anzeichen für einen tatsächlichen, heißen Konflikt Russlands mit Europa und der Nato gibt, zeigen die Überlegungen, Warnungen und Vorbereitungen der letzten Wochen sehr deutlich, dass die militärischen und politischen Anführer des Westens die Gefahr ernst nehmen. Dabei ist das erklärte Ziel all dieser Maßnahmen, insbesondere des Nato-Manövers, etwaige Pläne des russischen Machthabers Wladimir Putin im Keim zu ersticken. Der Westen demonstriert jetzt Stärke, damit der russische Präsident nicht nach einem wie auch immer ausfallenden Ende des Ukraine-Kriegs weitere Länder ins Visier nimmt.
Vor Beginn des Ukraine-Kriegs hat der Westen Putins Expansionsdrang unterschätzt. Der russische Präsident wiederum hat die Widerstandskraft der Ukraine und deren Unterstützung durch den Westen unterschätzt. Damit beides nicht noch einmal passiert, wollen die Nato-Partner Putin nun im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen aufzeigen. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.
„Offizielle und Privatpersonen müssen ihr Mindset von einer Ära, in der alles planbar, vorhersehbar, kontrollierbar, auf Effizienz fokussiert war, ändern… zu einer Ära, in der alles jederzeit passieren kann. Einer Ära, in der wir das Unerwartete erwarten müssen“, so Nato-Admiral Bauer.
Die Nato werde alles dafür tun, um der neuen Bedrohungslage militärisch gerüstet zu sein, sagte Bauer. Aber auch die Bevölkerung solle sich den veränderten Gegebenheiten anpassen und für den Katastrophenfall vorsorgen: „Sie brauchen Wasser, Sie brauchen ein batteriebetriebenes Radio und Sie brauchen eine batteriebetriebene Taschenlampe, damit Sie sicherstellen können, dass sie die ersten 36 Stunden überleben. Solche Sachen. Das sind einfache Dinge. Aber damit beginnt das Verständnis, dass nicht alles planbar ist. In den nächsten 20 Jahren wird es nicht einfach ‘so lala’ weitergehen. Ich sage nicht, dass es morgen schon schief geht, aber wir müssen realisieren, dass es nicht garantiert ist, dass wir in Frieden leben. Und darum haben wir unsere Pläne. Darum bereiten wir uns auf einen Konflikt mit Russland und Terrorgruppen vor. Für den Fall, dass es dazu kommt, dass sie uns angreifen. Wir suchen keinen Konflikt. Aber falls sie uns angreifen, müssen wir vorbereitet sein.“