NDR-Aus für Julia Ruhs polarisiert: Ministerpräsident geißelt „Bärendienst“ – andere schweigen auffallend

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Der NDR schasst „Klar“-Moderatorin Julia Ruhs. Das besorgt sogar besonnene Politiker-Charaktere: Von einem „extrem schlechten Signal“ ist die Rede.

„Wie garantieren wir freien, unabhängigen Journalismus inmitten sich rasend schnell verbreitender Desinformationen und Populismus?“ fragt sich der Norddeutsche Rundfunk. Und organisiert eine Diskussions-Runde mit allen vier Landes-Regierungschefs aus seinem Sendegebiet sowie zahlreichen hochrangigen ARD-Journalisten. Kritische Medienjournalisten, die nicht Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind, wurden nicht dazu eingeladen.

Manuela Schwesig erzählte dann, dass sie als Jugendliche in der DDR einmal in einem Film mitgespielt hat, der nicht gesendet werden durfte und das sei „ein Unterschied zu heute“. „Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt“ seien ein „sehr hohes Gut“. Es stimme nicht, was „Demokratiefeinde behaupten“, dass man „seine Meinung nicht mehr sagen könne. Alle können das, man muss nur auch die andere Meinung aushalten.“ Nicken bei Olaf Lies, dem Ministerpräsidenten Niedersachsens, und Carsten Brosda, dem Kultursenator Hamburgs. Alle drei Politiker gehören der SPD an.

NDR feuert Ruhs bei „Klar“: Keine „Cojones“?

Einer, der auch eingeladen war, hatte kurzfristig abgesagt: Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Demonstrativ nahm er an einer anderen Veranstaltung teil. In Kiel saß er in der ersten Reihe neben der freien Journalistin Julia Ruhs, die in der Hermann Ehlers Akademie ihr Buch „Links-grüne Meinungsmacht“ vorstellte. Ein Bild von hoher Symbolkraft, denn Stunden zuvor war offiziell bekannt geworden, was viele Beobachter bereits vermutet hatten: Der NDR trennt sich von Julia Ruhs als Moderatorin.

Die 31-jährige Ruhs hatte für NDR und BR die neue Reportagereihe „Klar“ präsentiert. Doch bereits nach drei Folgen ist nun Schluss. Zwar beton der NDR in einer Pressemitteilung, dass das Format bei den Zuschauern sehr gut angekommen sei und man es auch künftig weiter produzieren wolle, nur eben ohne Ruhs. Und – wie Ruhs in einem Interview mit dem Magazin Cicero berichtet, auch ohne den Leiter der Klar-Redaktion, Thomas Berbner.

Olaf Lies, Caren Miosga, Manuela Schwesig und Carsten Brosda bei einer Diskussionsrunde, eingeklinkt Julia Ruhs.
Olaf Lies, Caren Miosga, Manuela Schwesig und Carsten Brosda (v.li.) diskutierten am Mittwoch – aber nicht über Julia Ruhs‘ NDR-Aus. © Montage: Christian Charisius/Thomas Eisenkrätzer/picture alliance/dpa

Ruhs ist eine der wenigen konservativen Stimmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, auch im Interview mit dem Münchner Merkur von Ippen.Media rügte sie „links-grüne Meinungsmacht“. Oft hat sie dennoch das System des ÖRR als sinnvoll verteidigt. Politisch verortet sie sich eher im Team Merz, also dem traditionellen Flügel der CDU. Ruhs hat in Passau, Rom und Regensburg Demokratie- und Kommunikationswissenschaft studiert, ist Stipendiatin der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung und hat vor drei Jahren ihr Volontariat abgeschlossen. Für Focus Online schreibt sie auch die Kolumne „Regt euch doch auf“.

Ihre Absetzung bezeichnet sie als „Armutszeugnis“ und „irre“, da es wie die „Erfüllung einer Prophezeiung“ sei. Ihr Fazit: „Ich glaube, das Cancelling hängt letztlich daran, dass die Verantwortlichen oben einfach keine ‚Cojones‘ hatten, um das durchzustehen.“ Ruhs wird aber weiter für den BR tätig sein, wo auch neue „Klar“-Folgen mit ihr produziert werden sollen.

Sogar CDU-Landeschef Daniel Günther reagiert deutlich: „Bärendienst“ des NDR

„Klar“ war laut NDR aus der Taufe gehoben worden, um „Streitfragen aufzugreifen, die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden“. So beschäftigte sich Julia Ruhs mit ihrem Team mit den Themen Migration, der „Wut der Bauern“ und der Corona-Aufarbeitung.

Doch bereits nach der ersten Folge gab es einen Sturm der Entrüstung, der von ZDF-Satiriker Jan Böhmermann („populistischer Quatsch“), über ARD-Moderatorin Anja Reschke („bisschen rechtsextrem“) bis zu Georg Restle von „Monitor“ reichte. 250 Kollegen des NDR tauschten sich in einer internen Signal-Gruppe aus, sammelten Unterschriften und setzten dann den Chefredakteur Adrian Feuerbach bei einer Versammlung so unter Druck, dass das Ereignis als „Gründonnerstags-Tribunal“ in die NDR-Analen einging. Ruhs verletzte journalistische Standards und verbreite AfD-Narrative, so der Vorwurf. Ein organisiertes Mobbing, wie Beobachter sagen, dem sich die Spitze des Hauses aber nicht entgegenstellte, sondern nun entgegenkam.

Daniel Günther und Journalistin und Autorin Julia Ruhs
Daniel Günther und Julia Ruhs am Mittwoch in Kiel © Thomas Eisenkrätzer/picture alliance/dpa

Was Daniel Günther offenbar so provozierte, dass der ruhige und besonnene Ministerpräsident in Kiel mit Blick auf Julia Ruhs sehr deutliche Worte an „seinen“ NDR richtete: Der habe sich mit der Entscheidung einen „Bärendienst“ erwiesen, das Ganze sei „ein extrem schlechtes Signal“. Einer Einschätzung, der sich auch andere Politiker angeschlossen haben. Die Parteivorsitzende des BSW, Sarah Wagenknecht, schreibt auf X: „Maulkorb statt Meinungsfreiheit“.

NDR erhitzt mit Aus für „Klar“-Moderatorin Ruhs die Gemüter: „Beschämend und gefährlich“

Jens Spahn, der Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag, meint: „Ich halte die Entscheidung des NDR für sehr problematisch. Meinungsvielfalt ist eines der Hauptaufgaben des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks.“ Und Wolfgang Kubicki, ehemaliger Bundestags-Vizepräsident der FDP, ergänzt: „Der Rundfunk – ob privat oder öffentlich-rechtlich – soll laut Medienstaatsvertrag die Achtung vor der Meinung anderer fördern. Ein Prinzip, das offenbar nicht einmal innerhalb des NDR Geltung hat. Beschämend und gefährlich.“

Bei der Diskussions-Runde des NDR spielte all das keine Rolle. Der Name Julia Ruhs fiel kein einziges Mal, genauso wenig war „Klar“ Thema. Der gesamte Vorgang ist ein klassischer Fehlstart für den neuen Intendanten Hendrik Lünenborg, der an diesem Abend in Hamburg symbolisch den Staffelstab von seinem Vorgänger Joachim Knuth übergeben bekam. Knuth nahm nur indirekt auf die Vorgänge Bezug, indem er sagte: „Wir müssen jeden Tag das Verhältnis von Haltung auf der einen Seite und Pluralität auf der anderen Seite neu vermessen. Wenn man ganz viel Haltung hat, dann hat man weniger Pluralität. Und wenn man ganz viel Pluralität hat, dann hat man schlimmstenfalls wenig Haltung.“ Dazu gab es Applaus im Saal.

Zum Abschluss des Abends sagte Lünenborg, erst seit wenigen Tagen sein Nachfolger als NDR-Intendant: „Am Ende werden wir in zehn Jahren auch noch da sein. Wir werden stark und unabhängig sein.“ Für die einen klingt das wie ein Versprechen, für andere wie eine Drohung.

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