Bürgergeld: Gericht kippt 30-Tage-Regel – welche Folgen das für Empfänger hat

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Bürgergeld-Beziehende können Geld zurückfordern: Ein BSG-Urteil zur Mietberechnung eröffnet neue Chancen. Die Jobcenter spielen jedoch nicht mit.

Frankfurt – Teure Wohnung und zu wenig Zuschuss: das ist in Zeiten steigender Mieten kein seltenes Problem für Bürgergeld- und Wohngeldempfängerinnen und -empfänger. Wer im laufenden Monat umzieht oder einen neuen Haushaltszuwachs hat, kennt das Dilemma: Jobcenter gewähren oft Miete nur auf Basis einer 30-Tage-Regel, unabhängig von der realen Tageszahl. Das kann fatale finanzielle Lücken reißen. Genau darüber musste das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden.

Montage von einer Wohnung und einem Bürgergeld-Antrag.
Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass die 30-Tage-Regel nur den Regelbedarf betrifft. Damit könnten Bürgergeld-Empfänger Nachzahlungen bekommen. (Montage) © Jens Kalaene/Kira Hofmann/dpa

In seinem Urteil (B 4 AS 4/23 R) aus dem Jahr 2023 stellte das Gericht klar: Die sogenannte 30-Tage-Regel aus § 41 SGB II gilt nur für den Bürgergeld-Regelbedarf, nicht aber für die Kosten der Unterkunft (KdU). Bei den Wohnkosten müsse immer der tatsächliche Kalendermonat mit der exakten Anzahl an Tagen zugrunde gelegt werden. Damit widersprach das BSG der bislang gängigen Praxis vieler Jobcenter, die aus Vereinfachungsgründen grundsätzlich mit 30 Tagen rechneten.

30-Tage-Regel bedeutet für Bürgergeld-Empfänger weniger Geld – Das ändert sich

Anlass war der Fall einer Familie, die im Mai 2021 ein weiteres Kind bekam und Bürgergeld bezog. Die Gesamtmiete betrug 1000 Euro, der Anspruch für den Teilmonat wurde jedoch vom Jobcenter fälschlich anhand eines 30-Tage-Monats berechnet, obwohl der Mai 31 Tage hat. Diese Abweichung führte dazu, dass die anteiligen Beträge nicht korrekt ermittelt wurden. Das BSG entschied, dass der tatsächliche Monat ausschlaggebend ist – auch wenn es teils nur um wenige Euro geht.

Laut Sozialrechtsexperte Utz Anhalt entstünden in anderen Konstellationen echte Verluste. Wer etwa am 25. Januar in eine Wohnung einzieht, erhält nach dem Jobcenter-Programm „Allegro“ zur Leistungsberechnung nur sechs Dreißigstel der Miete, obwohl sieben reale Tage zu zahlen sind, schreibt er auf dem Verbraucherportal gegen-hartz.de. Bei einer Monatsmiete von 900 Euro ergibt das 180 Euro, korrekt wären jedoch rund 203,23 Euro – ein Minus von gut 23 Euro.

Jobcenter wehren sich gegen Gerichtsurteil – Bürgergeld-Empfänger müssen selbst aktiv werden

Trotz der höchstrichterlichen Entscheidung hat die Bundesagentur für Arbeit bereits signalisiert, ihre Software „Allegro“ nicht umzuprogrammieren. Der „erhebliche Aufwand“ stünde in keinem Verhältnis zum Nutzen, heißt es auf dem Verbraucherportal. Das bedeutet: Die fehlerhafte Berechnung läuft weiter, obwohl sie gegen geltendes Recht verstößt. Laut Anhalt kennen viele Sachbearbeitende zudem das Urteil des BSG nicht oder verweisen auf die Berechnung mit ihrer Software.

Diese Haltung stellt Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger vor neue Herausforderungen: Sie müssen ihre Bescheide selbst überprüfen und bei Fehlern aktiv werden – ein Aufwand, den eigentlich die Behörden leisten müssten. Betroffene können falsche Bescheide innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe mit einem Überprüfungsantrag korrigieren lassen, erklärt Experte Anhalt. Für ältere Bescheide gilt eine Vierjahresfrist, da das BSG-Urteil als „ständige Rechtsprechung“ einzustufen ist.

Darauf sollten Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger künftig achten:

  • Prüfen Sie den Zeitraum, den das Jobcenter bewilligt.
  • Zählen Sie die realen Tage mit Anspruch auf Unterkunftskosten.
  • Teilen Sie die Kaltmiete durch die echten Monats­tage und multiplizieren Sie mit der Anspruchs­dauer.

Im Antrag sollten Betroffene konkret benennen, an welchen Tagen der Anspruch nur anteilig bestand und welche Miete tatsächlich geschuldet war. Kontoauszüge oder Mietquittungen können dabei helfen, die Nachzahlung zu belegen. Bei Widerstand der Jobcenter lohnt sich Anhalt zufolge ein Widerspruch, da die Sozialgerichte an die BSG-Auslegung gebunden sind. Beratungs­stellen berichten bereits von ersten Erfolgen, wenn genaue Tages­aufstellungen vorgelegt werden.

Auch in anderen Fällen kann sich ein Widerspruch lohnen – etwa bei den Nebenkostenabrechnungen von Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfängern. Was viele zudem nicht wissen: Betroffene können vom Jobcenter eine steuerfreie und anrechnungsfreie Förderung erhalten. (cln)

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