Immer mehr unter 65 betroffen - „Krankheit schon 20 Jahre im Gehirn“: Warum wir Alzheimer meist zu spät erkennen

Demenz zeigt sich, wenn 40 Prozent des Gehirns zerstört sind

Die Alzheimer-Krankheit betreffe rund 60 Prozent der Fälle und entwickele sich langsam über einen langen Zeitraum, sagt Andreas Raether. Gemeinsam mit dem Pflegedienstleiter Danny Einert leitet der Chefarzt die Klinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Schloß Winnenden. „Wenn Menschen mit einer Alzheimerdemenz ihre Diagnose bekommen, haben sie die Krankheit schon rund 20 Jahre im Gehirn“, sagt der Mediziner. Damit das Bild einer Demenz entstehe, müssten bereits 40 Prozent der Gehirnsubstanz zerstört sein.

Die Symptome treten also mit langer Verzögerung auf und beginnen oft sehr diffus. Umso wichtiger sei es zu wissen, welche Anzeichen früh auf eine Demenz hinweisen, sagen die beiden Experten.

Chronischer Bluthochdruck als eine Ursache für Demenz

Denn obgleich beispielsweise bei einer Alzheimer-Demenz zerebrale Nervenzellen unumkehrbar zerstört werden, die Alzheimer-Krankheit also nicht heilbar ist, hilft eine frühe Diagnose und Behandlung, den Prozess zu verlangsamen. Das verschafft den Betroffenen und ihren Angehörigen mehr Lebensqualität. Ein wichtiger Aspekt, denn wenn Menschen mit Demenz zu Hause gepflegt werden, was immer noch bei den allermeisten der Fall ist, so bedeutet das eine große Belastung für die Pflegenden.

„60 Prozent werden dabei selbst so krank, dass sie Hilfe brauchen“, sagt Danny Einert. Bis zu zehn Prozent aller Demenzen hätten behandelbare Mitursachen, sagt Andreas Raether: Stoffwechselkrankheiten und chronische Störungen der Durchblutung können beispielsweise zum Bild einer Demenz führen. Sprich: Demenz kann unter Umständen die Folge von chronischem unbehandeltem Bluthochdruck sein. Aber auch ein chronisch niedriger Blutdruck sei problematisch.

Nur vergesslich oder schon dement?

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leidet ein Mensch dann an Demenz, wenn er mindestens sechs Monate lang Symptome aufweist, die mit der Verminderung des Urteilsvermögens und der Entscheidungsfähigkeit einhergehen und Auswirkungen auf den Alltag haben. „Wer sich seit zwei Monaten nicht mehr an Namen erinnern kann, wäre nach dieser Definition nicht dement“, sagt Raether. Und ergänzt, dass es normal sei, wenn über 50-Jährige gelegentlich Namen vergäßen.

Anders verhält es sich, wenn der verschollene Hausschlüssel im Kühlschrank liegt oder Betroffene nach einem Gassigang mit dem Hund Schwierigkeiten haben, wieder zurück nach Hause zu finden. „Das ist dann kein leichter Grad von Demenz mehr, sondern schon eine mittelgradige Demenz“, sagt Danny Einert.

Typische Symptome seien auch ein zunehmendes Misstrauen, der Rückzug aus dem sozialen Leben und Fehleinschätzungen. Der Pflegedienstleiter berichtet, dass die vollstationären Angebote am Klinikum voll ausgelastet seien, die teilstationäre Tagesklinik aber nicht. Sein Fazit: Die Angehörigen warten zu lange, bis sie sich Hilfe und Unterstützung holen.

10 Warnsignale helfen zur Früherkennung

Alt oder Alzheimer? Die Unterschiede sind oft gar nicht so leicht auszumachen. Experten der Alzheimer Forschung Initiative nennen deshalb zehn Warnsignale, auf die Sie achten sollten.                                                    

1. Gedächtnislücken

Alzheimer-Warnsignale: Sie vergessen, den Herd auszuschalten. Oder verpassen wichtige Termine. Solche Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses, die den Alltag beeinflussen, sind ein Hinweis auf Alzheimer. Auch, wenn der Alltag etwa nur noch mit Notizzetteln organisiert werden kann.  

Normale altersbedingte Veränderung: Namen oder Termine werden vorübergehend vergessen, später jedoch wieder erinnert.  

2. Schwierigkeiten beim Planen und Problemlösen

Alzheimer-Warnsignale: Sie haben Mühe, sich länger zu konzentrieren oder vorausschauend zu planen. Oder aber Sie benötigen für vieles viel mehr Zeit als früher, etwa beim Kochen oder Backen nach bekannten Rezepten.  

Normale altersbedingte Veränderung: Zerstreutheit, wenn viele Dinge gleichzeitig zu erledigen sind.  

3. Probleme mit gewohnten Tätigkeiten

Alzheimer-Warnsignale: Normale Alltagshandlungen werden plötzlich zu großen Herausforderungen. Routineaufgaben werden für Sie schwieriger oder Sie vergessen die Regeln eines Ihnen eigentlich bekannten Spiels.  

Normale altersbedingte Veränderung: Sie benötigen gelegentlich Hilfe bei der Bewältigung anspruchsvoller Alltagsaufgaben, etwa bei der Programmierung des Fernsehers.  

4. Räumliche und zeitliche Orientierungsprobleme

Alzheimer-Warnsignale: Sie können Orte oder Zeitabstände nicht mehr richtig einordnen. Sie vergessen das Jahr oder die Jahreszeit, können die Uhr nicht mehr lesen oder wissen nicht mehr, wie Sie nach Hause kommen.  

Normale altersbedingte Veränderung: Sie verwechseln ab und zu den Wochentag und erinnern sich später daran.  

5. Wahrnehmungsstörungen

Alzheimer-Warnsignale: Sie haben große Schwierigkeiten, Bilder zu erkennen oder räumliche Dimensionen zu erfassen. Auch bei der Wiedererkennung vertrauter Gesichter.  

Normale altersbedingte Veränderung: Ihr Sehvermögen ist verändert oder verringert sich.  

6. Sprachschwächen

Alzheimer-Warnsignale: Es fällt Ihnen schwer, einer Unterhaltung zu folgen oder aktiv daran teilzunehmen. Sie verlieren den Faden oder haben Wortfindungsprobleme.  

Normale altersbedingte Veränderung: Sie finden ab und zu nicht das richtige Wort.  

7. Verlegen von Gegenständen

Alzheimer-Warnsignale: Sie lassen oft Dinge liegen oder legen diese an ungewöhnliche Orte. Sie vergessen zudem nicht nur, wo die Sachen sind, sondern auch, wofür sie genutzt werden. Etwa werden Schuhe in den Kühlschrank oder Autoschlüssel in den Briefkasten gelegt.  

Normale altersbedingte Veränderung: Sie verlegen hin und wieder Dinge und finden diese dann wieder.  

8. Eingeschränktes Urteilsvermögen

Alzheimer-Warnsignale: Ihre Urteils- und Entscheidungsfähigkeit verändert sich, etwa bei der Wahl Ihrer Kleider. Oder aber im Umgang mit Geld oder bei der Körperpflege.  

Normale altersbedingte Veränderung: Sie treffen mal unüberlegte oder falsche Entscheidungen.  

9. Verlust von Eigeninitiative und Rückzug aus dem sozialen Leben

Alzheimer-Warnsignale: Sie verlieren zunehmend Eigeninitiative und gehen Ihren Hobbies, sozialen oder sportlichen Aktivitäten immer weniger nach. Oder aber Sie bemerken Veränderungen an sich, die Sie verunsichern, und ziehen sich zurück.  

Normale altersbedingte Veränderung: Sie fühlen sich manchmal durch Anforderungen bei der Arbeit, in der Familie oder durch soziale Verpflichtungen beansprucht.  

10. Persönlichkeitsveränderungen

Alzheimer-Warnsignale: Sie haben starke Stimmungsschwankungen ohne erkennbaren Grund. Oder es treten ausgeprägte Persönlichkeitsveränderungen auf. Etwa spüren Betroffene Unbehagen in fremden Räumen, plötzliches Misstrauen, aggressives Verhalten oder Gefühle von Ohnmacht, Traurigkeit und Rastlosigkeit.  

Normale altersbedingte Veränderung: Sie sind irritiert, wenn geregelte Alltagsabläufe geändert oder unterbrochen werden.  

Alzheimer-Warnsignale abklären lassen

„Wenn eines dieser Anzeichen wiederholt auftritt, sollte unbedingt ein Arzt oder eine Ärztin aufgesucht werden“, raten die Experten. „Es ist wichtig, frühzeitig und professionell abzuklären, was die Ursache der Vergesslichkeit ist, um mögliche Ursachen zu behandeln.“ Bei einer Alzheimer-Erkrankung sollte demnach möglichst früh mit einer Therapie begonnen werden. Denn Medikamente, die den Verlauf verzögern können, wirken am besten zu Beginn der Krankheit.

Menschen mit Demenz brauchen Strukturen

Zum Angebot der Tagesklinik gehören neben der medizinischen Diagnose und Früherkennung einer Demenz auch praktische Hilfe für Angehörige, etwa zu rechtlichen Fragen oder zu Gesprächstechniken. „Demenziell erkrankte Menschen brauchen Strukturen. Da haben wir Tipps, die das Leben sehr erleichtern“, sagt Andreas Raether.

Er betont, dass Prävention bei Demenz eine große Rolle spiele. Chronische Entzündungen im Körper, chronischer Stress und Schlafmangel hätten negative Folgen, problematisch seien auch eine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme, zu wenig Bewegung, Rauchen und Alkohol. Um einer Demenz vorzubeugen, empfiehlt der Mediziner eine gesunde Ernährungsweise. Ein besonderes Augenmerk sollte auf den Körperbereiche liegen, an denen weich auf hart trifft, also im Bereich des Mundes, der Hände und Füße. Das seien die Stellen, an denen Erreger in den Körper und die Blutbahn gelangen und Entzündungen verursachen können.

Bewegung ist bei Demenz sehr hilfreich. „Trainierte Muskeln schütten ein Hormon aus, das sich positiv auf die Gedächtnisleistung auswirkt“, zitiert Andreas Raether die Ergebnisse einer Studie: „Menschen, die mehr Muskeln haben, entwickeln tendenziell später eine Symptomatik.“

von Annette Clauß