Bundesländer im Klima-Check - Jetzt steht Klima-Vorreiter Thüringen vor entscheidendem Wendepunkt

Viel Erneuerbare und Pumpspeicher, Umbau „realistisch“

Auch beim Anteil der Erneuerbaren gehört Thüringen zur Spitze in Deutschland: Fast 62 Prozent des im Land erzeugten Stroms stammten 2020 aus Wind, Solar, Biomasse und Wasserkraft. Thüringen hat den Vorteil, ein Drittel der deutschen Kapazitäten für Pumpspeicher zu beherbergen. Der Umbau des Energiesystems sei machbar, „ein klimaneutrales Thüringen ist realistisch und bezahlbar“, attestierte 2021 ein Gutachten der Hochschule Nordhausen dem Land. Dafür brauche es allerdings:

  • Investitionen von zwei Milliarden Euro jährlich, ohne Berechnung von Einkommen durch neue Jobs und höhere Steuereinnahmen,
  • verlässliche Ausbauziele für Erneuerbare und eine Verdreifachung der Wind/Solar-Kapazitäten,
  • den Ausbau von Power-to-Heat und Wärmespeichern,
  • einen Umbau der Biogasnutzung von lediglich Wärme und Strom zu Bio-Methan,
  • die Ausschöpfung der Effizienzpotenziale
  • und verlässliche CO2-Reduktionsziele.

Rot-rot-grün: Einiges erreicht, Baustellen offen

Die rot-rot-grüne Regierung betont, sie habe viele Dinge auf den Weg gebracht. So hat sie Ausbauziele für Erneuerbare und CO2-Reduktion im Klimagesetz und in der Energiestrategie EIKS verankert. Vom geforderten Flächenanteil von 1,8 Prozent der Landesfläche für Wind bis 2027 ist allerdings erst eine Fläche von 0,6 Prozent erreicht. Kommunen bekommen aus dem „Klima-Pakt“ Geld pro Kopf ihrer Einwohner für Investitionen in Klimaschutz. Der grüne Umweltminister Bernhard Stengele sagte Table.Briefings: „Klimaschutz und Wirtschaftskraft gehen eine gute Verbindung ein, wenn wir es richtig anpacken. Wir haben in den letzten zehn Jahren schon viel erreicht“, etwa beim Ausbau der Solarenergie, der Förderung der Bürgerenergie und der Finanzierung der Kommunen. „Wenn wir nicht weitermachen wie bisher, wenn wir beim Klimaschutz zurückfallen, geht das zulasten aller.“

Allerdings ist vieles unerledigt: Ein Monitoring von Klimagesetz und -strategie steht noch aus. Auch muss das Klimagesetz bei Datum der Klimaneutralität (bisher „in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts“) an die Bundesvorgabe von 2045 angepasst werden. Und ein Gutachten der Unternehmensberatung Prognos und des Leipziger „Instituts für Energie“ mit einer konkreten Pfadberechnung für die Klimaneutralität in allen Sektoren wird erst im Herbst nach der Wahl veröffentlicht. Wichtige Entscheidungen über die weitere Entwicklung liegen damit in der Hand des nächsten Parlaments und der nächsten Regierung in Erfurt.

Klimarat: Nächste Legislatur entscheidend

Die Chancen des Landes bei einer klimaneutralen Entwicklung betont ein „Appell des Thüringer Klimarats“ zu den anstehenden Landtagswahlen. Das Expertise-Gremium der Landesregierung betont darin, Thüringen gehöre mit einer Erwärmung von 1,7 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu den „am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen Deutschlands“. Hitze, Starkregen, Überschwemmungen und Waldbrände gefährdeten das Leben der Menschen und die Wirtschaft ebenso wie die Ernten. Das Land sei innovationsfreudig und habe gemeinsam mit Sachsen das beste deutsche Potenzial für die Nutzung der Solarenergie. Es müsse aber mehr etwa in den Ausbau der Erneuerbaren, Effizienz und die Anpassung an den Klimawandel investieren.

Thüringen könne „ohne Einbußen des Lebensstandards“ einen „wichtigen Beitrag zum Schutz des Klimas leisten“, erklärten die Experten um den Jenaer Hydrologen Kai Uwe Totsche. „Die kommende Legislatur ist entscheidend für den Klimaschutz“, heißt es weiter in der Erklärung zur anstehenden Landtagswahl, „informieren Sie sich über Strategien und Pläne der Parteien und bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung die Dringlichkeit von Klimaschutz und Klimaanpassung“.

AfD und CDU haben Klimaschutz ausgebremst

Doch gerade die Strategien und Pläne der Parteien lassen Zweifel an einem ehrgeizigen Kurs Richtung Klimaneutralität aufkommen. Denn die AfD und die CDU, die in Umfragen vorn liegen, haben bisher den Klimaschutz in Thüringen eher ausgebremst. Die AfD leugnet die Ursachen des menschengemachten Klimawandels und sieht daher Maßnahmen zum Klimaschutz grundsätzlich kritisch. Für Thüringen fordert sie ein Ende des Windausbaus, keine neuen Stromleitungen oder Effizienzvorgaben, sie will russisches Gas und einen Wiedereinstieg in die Atomkraft – was Thüringen als Bundesland aber nicht entscheiden kann.

Die CDU Thüringen ist zwar für den Ausbau der Erneuerbaren , aber verweist auf „technologieoffene Lösungen“ und wendet sich gegen „utopische Überforderungen in der Klimapolitik“. Erst Ende 2023 stimmte sie im Thüringer Landtag zusammen mit der AfD für einen Antrag der FDP, der praktisch die Entwicklung von Windenergie im Wald verbietet – und setzte ihn gegen die Stimmen der Minderheits-Regierungskoalition durch. Eine Verdreifachung der Windkapazitäten im Land, wie für die Klimaneutralität nötig, ist auf diese Weise sehr zweifelhaft.