RWI-Chef Christoph M. Schmidt - Top-Ökonom sieht Milliarden-Pläne von Union und SPD kritisch: „Überhastetes Vorgehen”

Herr Prof. Schmidt, Union und SPD haben sich auf ein milliardenschweres Finanzpaket für die Verteidigung und Infrastruktur geeinigt. Nach den Plänen soll die Schuldenbremse für die Bundeswehr gelockert werden. Außerdem ist ein weiteres Sondervermögen für die Sanierung der maroden Infrastruktur vorgesehen. Was halten Sie von der Idee?  

Nun ist zwar in der Tat aktuell die Dringlichkeit hoch, jetzt ein starkes Signal zu setzen, dass wir unsere Verteidigungsfähigkeit erhöhen. Aber ebenso dringlich wäre es doch, die staatlichen Ausgaben neu zu justieren, deren Zusammensetzung bisher ganz offensichtlich nicht dazu geeignet war, unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu sichern. Dafür braucht es allerdings den politischen Willen zu einer konsequenten Prioritätensetzung. Sollte das bei der Regierungsbildung nicht gelingen, wird es danach kaum noch möglich sein. Es geht also nicht nur um Geschwindigkeit, sondern auch um die Abfolge der Verhandlungen. Und da viele der Ausgaben für Verteidigung nicht heute, sondern in Zukunft anfallen, sehe ich das aktuell überhastete Vorgehen skeptisch.  

Weil?  

Auch wenn die Gegner der mit der Schuldenbremse verbundenen fiskalpolitischen Disziplin nicht müde werden, das Gegenteil zu behaupten: In Wirklichkeit schlummern im Bundeshaushalt doch durchaus erhebliche Spielräume, um Gelder für die Ertüchtigung unserer Verteidigungsfähigkeit und die Infrastruktur freizuschaufeln. Es gibt beispielsweise eine Reihe teurer klimapolitischer Maßnahmen, die vor dem Hintergrund der CO₂-Bepreisung in Europa keine nennenswerte Wirkung entfalten können und daher verzichtbar wären. Den ernsthaften Versuch müsste man doch machen, wenigstens einen Teil der vorhergesagten Verteidigungsausgaben aus derartigen Umschichtungen zu gewinnen, statt gleich mit Vollgas riesige neue Sondervermögen zu vereinbaren.  

Die Größenordnung, um die es jetzt geht, war vor wenigen Wochen eigentlich jenseits der Vorstellungskraft?  

Die aufgerufenen Summen sind in der Tat riesig. Dabei gilt allerdings sowohl für die Bundeswehr als auch für die Infrastruktur, dass keinesfalls allein die Höhe der Finanzmittel entscheidend ist. Mindestens ebenso wichtig ist ihr effizienter Einsatz. Für unsere Verteidigungsfähigkeit müssten wir konsequent auf Technik und Fortschritt setzen und entsprechend Forschung und Innovation auch im militärischen Bereich fördern. Zudem gilt es, bürokratische Strukturen im Beschaffungswesen konsequent zu hinterfragen. Und es braucht ein gemeinsames europäisches Vorgehen, um die Verteidigungsfähigkeit in Europa zu sichern.  

Bei der Bundeswehr könnte man angesichts der Lage der Streitkräfte und der Wucht der Veränderungen der politischen Großwetterlage ja durchaus von einer Zeitenwende sprechen. Aber muss jetzt auch die Infrastruktur aus dem Bundeshaushalt ausgelagert werden oder ist das nur ein Trick, um Grüne und SPD ins Boot zu holen – und der künftigen Bundesregierung eine nötige Prioritätensetzung zu ersparen? 

RWI-Präsident Schmidt nimmt Union und SPD in die Pflicht: „Ohne Prioritätensetzung wird es nicht gehen

Diese Einschätzung liegt meiner Einschätzung nach mehr als nahe. Ohne diese Prioritätensetzung wird es aber nicht gehen. Denn die vermeintlichen Freiräume, die mit den Sondervermögen jetzt geschaffen werden, engen unsere zukünftigen Freiräume stark ein. Auch da muss der deutsche Staat aber handlungsfähig bleiben. Tendenziell gegebenenfalls noch stärker als bisher, wenn es darum geht, schnell auf geopolitische Entwicklungen zu reagieren.  

Kritiker mahnen, ein Sondervermögen widerspreche den Grundsätzen ordnungsgemäßer Haushaltsführung?  

So würde ich es nicht ausdrücken. Meine Bedenken sind inhaltlicher Natur und betreffen vor allem die Abfolge der Verhandlungen zwischen denjenigen Kräften, die trotz einer hinreichenden Zukunftsvorsorge solide öffentliche Haushalte bewahren wollen, und denjenigen, denen diese nicht so wichtig sind. Ich sehe jetzt schon am Horizont aus den letztgenannten Reihen die Forderung nach einem Lastenausgleich kommen.  

Sollten die Pläne so durchgehen, würde sich die Verschuldung des Bundes praktisch verdoppeln - zulasten der jüngeren Generation. Ist das der richtige Weg? 

Nein, ich finde nicht. Wobei man bei der Verteidigungsfähigkeit schon argumentieren kann, dass die Zeit drängt und auch die jüngere Generation von einem abwehrbereiten Staat elementar profitiert. Für die Bundeswehr hielte ich ein Sondervermögen daher immerhin für eher angebracht als für die Infrastruktur. Aber ein Staat, der keine seiner Ausgaben hinterfragt, sondern immer nur nach mehr Einnahmen verlangt, versündigt sich schon an seinen Bürgern. 

RWI-Präsident Schmidt: Höhere Nachfrage nach Rüstung „dürfte zu steigenden Preisen führen

Welche Folgen hat das mögliche, kolportierte Finanz-Volumen für die Preissetzung der Unternehmen? Wie groß ist die Gefahr, dass insbesondere die Anbieter von Rüstungstechnik die Gelegenheit nutzen, um über satte Preisaufschläge abzukassieren?  

Die Gefahr besteht in einer solchen Situation durchaus. Angesichts der aktuellen Entwicklungen dürfte alleine schon die steigende Nachfrage nach Rüstungsgütern zu steigenden Preisen führen. Um so wichtiger ist es, die Rahmenbedingungen hierzulande so zu gestalten, dass wir auf einheimische Unternehmen zurückgreifen und mit ihnen entsprechende Verträge schließen können. Und umso wichtiger wäre es, auf Forschung und Innovation zu setzen, um die Kosten gesteigerter Wehrhaftigkeit bestmöglich einzuhegen. 

 

Zur Person: Christoph M. Schmidt (62) ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von März 2013 bis Februar 2020 dessen Vorsitzender.