„Kalter Krieg 2.0“: Abkopplung von China wäre für Deutschland „schwerer Schock“ – aber machbar
Ein plötzlicher Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit China würde Deutschland härter treffen als andere EU-Staaten. Einer neuen Studie zufolge wären die Folgen aber beherrschbar.
Eine wirtschaftliche Abkopplung Europas von China – das ist nicht nur in der Volksrepublik eine Horrorvorstellung, sondern auch im exportorientierten Deutschland. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2022 Waren im Wert von 299,6 Milliarden Euro zwischen beiden Ländern gehandelt, zum siebten Mal in Folge war China der größte Handelspartner der Bundesrepublik. Trotzdem würde sich der Wohlstandsverlust für Deutschland auf langfristig nur ein bis zwei Prozent belaufen, sollte es zu einem plötzlichen Aus der Wirtschaftsbeziehungen mit China kommen. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Studie des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel hervor. Auch bei einer schrittweisen Entkoppelung wären die Effekte demnach ähnlich. Mit vier bis fünf Prozent wäre der Wohlstandsverlust lediglich im ersten Jahr und nur nach einem abrupten „Cut“ größer.
Abkopplung von China: „Schocks, mit denen wir in der Vergangenheit schon einmal umgegangen sind“
Die Forscherinnen und Forscher haben für ihre Studie ein Szenario entworfen, in dem sich die Weltwirtschaft in drei Blöcke aufspaltet: die G7-Staaten und ihre Verbündeten, China mit seinen Verbündeten (etwa Russland) sowie neutrale Länder (zum Beispiel Brasilien, Indonesien oder die Türkei). „Es ist ein Szenario, das einem Kaltem Krieg 2.0 ähnelt“, so IfW-Präsident Moritz Schularick bei der Vorstellung der Studie. Sollte es tatsächlich so weit kommen, würde Deutschland im IfW-Szenario nur noch mit den westlichen sowie den neutralen Staaten Handel treiben und wäre von allen EU-Ländern am stärksten von einem Handels-Aus mit China betroffen. Schularick sprach zwar von „sehr schweren Schocks“ für die hiesige Wirtschaft. „Aber es wären Schocks, mit denen wir in der Vergangenheit schon einmal umgegangen sind“ – etwa während der Corona-Pandemie oder der Weltwirtschaftskrise 2008.
Janka Oertel von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations bezeichnete bei der Vorstellung der IfW-Studie eine Abkopplung von China als „nicht unmöglich, sondern wahnsinnig wenig wünschenswert“. Deswegen sei es wichtig, dass sich deutsche Unternehmen schon jetzt unabhängiger von der Volksrepublik machten. Dafür brauche es aber politische Rahmenbedingungen, wie es sie etwa in den USA schon gebe.
Beziehungen zwischen EU und China angespannt
Wie schlecht es um die Beziehungen zwischen Europa und China steht, konnte man in der vergangenen Woche beim Peking-Besuch von Ursula von der Leyen und Charles Michel beobachten. Die Kommissionspräsidentin und der Präsident des Europäischen Rats trugen Staatschef Xi Jinping bittere Klagen über das Handelsungleichgewicht zwischen der Volksrepublik und der EU vor – laut Michel beläuft sich das Defizit der EU auf satte 400 Milliarden Euro. „Die Ursachen sind wohlbekannt“, sagte von der Leyen und nannte als Beispiele den schlechten Marktzugang für europäische Unternehmen in China und die bevorzugte Behandlung chinesischer Unternehmen durch die Regierung in Peking. Auch dass China den europäischen Markt mit künstlich verbilligten E-Autos überschwemme, mache ihr Sorgen. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass die EU die Wirtschaftsbeziehungen mit China nicht abbrechen wolle. „Wir wollen De-Risking, keine Abkopplung“, sagte von der Leyen.
Angriff auf Taiwan könnte Abkopplung von China notwendig machen
Dass eine plötzliche Abkopplung der westlichen von der chinesischen Wirtschaft kein unrealistisches Szenario ist, hat indirekt der Ukraine-Krieg gezeigt: Nach Russlands Angriff auf sein Nachbarland haben die meisten EU-Staaten sowie die USA und ihre Verbündeten die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland größtenteils eingestellt. Und auch ein Aus des China-Handels könnte notwendig werden – sollte China den Inselstaat Taiwan angreifen, den die Führung in Peking als Teil des eigenen Staatsgebiets betrachtet. Ob und wann Peking Ernst macht mit seinen Drohungen, ist völlig offen. IfW-Chef Schularick glaubt jedenfalls nicht, dass ein Taiwan-Konflikt wahrscheinlicher werden würde, wenn sich der Westen schon jetzt Stück für Stück von China abwende – auch wenn dadurch der Einfluss auf die Regierung in Peking abnehmen würde. Vielmehr habe man im Fall der Ukraine gesehen, dass die große Abhängigkeit einzelner deutscher Unternehmen von russischem Gas die deutsche Politik davon abgehalten habe, die Ukraine schon vor dem 24. Februar 2022 stärker zu unterstützen und sich auf ein Extremszenario vorzubereiten.
Meine news
Ein spannender Nebenaspekt der Studie: China hätte unter einem plötzlichen Handels-Aus deutlich mehr zu leiden als die Bundesrepublik. „In allen simulierten Szenarien sind die Kosten für China in Relation zur Wirtschaftskraft deutlich, nämlich um rund 60 Prozent, höher als für Deutschland“, so das IfW. Und das, obwohl sich China auf Worst-case-Szenarien längst vorbereitet, wie Mikko Huotari von der China-Denkfabrik Mercis bei der Vorstellung der IfW-Studie sagte. „Die Führung hat das mit oberster Priorität im Blick.“