Warum der Nürnberger Tiergarten seine Paviane töten will – Fragen und Antworten
Der Nürnberger Tiergarten steht in der Kritik. Paviane sollen getötet werden, um Platz zu schaffen. Aktivisten und Tierschützer sind alarmiert.
Nürnberg – Der Tiergarten Nürnberg war sich von Anfang an bewusst, dass die geplanten Maßnahmen für Aufruhr sorgen würden. „Wie stumpf wäre die Gesellschaft, wenn sie nicht protestiert und erst einmal ihrem Willen Ausdruck verleiht, dass man Affen nicht einfach töten darf“, erklärt Direktor Dag Encke. „Auch uns fasst das an.“
Trotz der heftigen Reaktionen bleibt der Tiergarten bei seinem Plan, einige gesunde Paviane zu töten, da die Gruppe für die vorhandene Anlage zu groß geworden ist. Aktivistinnen und Aktivisten haben wiederholt demonstriert und sich sogar am Gehege festgekettet. Auch in den sozialen Medien gibt es starke Reaktionen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu diesem Thema:
Nürnberger Tiergarten in der Kritik: Warum sollen gesunde Paviane getötet werden?
Die Gruppe der Guinea-Paviane ist auf 43 Tiere angewachsen, was das Gehege überlastet. Laut Tiergarten führt dies zu vermehrten Konflikten und Verletzungen unter den Tieren. Zudem sei die soziale Struktur innerhalb der Gruppe problematisch.
Tierrechts- und Tierschutzorganisationen sehen in diesen Plänen einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. „Der Tiergarten Nürnberg hätte schon vor Jahren dringend handeln müssen“, kritisiert Laura Zodrow von Pro Wildlife. Die Tiere müssten nun für die verfehlte Zucht- und Haltungspolitik mit ihrem Leben bezahlen.
Warum wird die Anlage nicht einfach vergrößert?
„Das wäre grundsätzlich natürlich möglich, aber das müssten wir alle paar Jahre wiederholen und dann hätten wir irgendwann nur noch Paviane im Zoo“, so Encke. Bereits 2007 und 2008 wurde ein neues Pavianhaus gebaut, das fünfmal größer ist als das vorherige. Die Anlage ist nun für 25 Paviane plus Jungtiere ausgelegt.
Tierschutzorganisationen wie Pro Wildlife, Peta und der Deutsche Tierschutzbund kritisieren, dass die Tiere wegen Platzmangels getötet werden sollen, während das Giraffenhaus aufwendig saniert und erweitert wird. Dies wird als Doppelmoral angesehen.
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Warum hat der Tiergarten die Anzahl der Paviane nicht früher reduziert?
Laut Encke hat der Tiergarten dies versucht: Seit 2011 wurden 16 Tiere in den Pariser Zoo und einen Zoo in China verlegt. Früher wurden auch große Gruppen an einen Zoo in Spanien abgegeben, der neu mit der Haltung begonnen hatte. Diese Möglichkeiten bestehen nicht mehr. „Jeder einzelne Zoo hat seine Kapazitäten zurzeit erreicht“, erklärt Encke.
Der Tiergarten versuchte auch, die Geburtenrate zu senken, indem Weibchen ein Verhütungsmittel implantiert wurde. „Dieses Verhütungsmittel hat aber zur dauerhaften Unfruchtbarkeit bei den Weibchen geführt, sodass wir nur noch drei Weibchen hatten, die überhaupt noch Junge bekommen konnten“, erläutert Encke. Nach 2018 wurden daher keine Verhütungsmittel mehr eingesetzt.
Drei fruchtbare Weibchen hätten zwar für die Zucht ausgereicht, jedoch führte dies zu Unruhe in der Gruppe, erklärt Encke. Bei Pavianen spielen Weibchen mit Jungtieren eine zentrale Rolle im Sozialgefüge. Die Jungtiere werden auch von den Männchen gemeinschaftlich aufgezogen. „Wenn zu wenig Jungtiere da sind, dann fehlt der friedensstiftende Sozialpart in der Gruppe.“
Warum können überschüssige Tiere nicht ausgewildert werden?
Guinea-Paviane leben in Afrika in einem Gebiet, das sich über den Senegal, Guinea-Bissau, Guinea, Sierra Leone und Mali erstreckt. Dort gibt es kaum noch geeignete Lebensräume für sie.

Eine Auswilderung ist aus einem weiteren Grund nicht möglich: „Wir bringen mit den Affen Keime in die Umgebung, die für die wilden Guinea-Paviane tödlich sein können. Das ist nur erlaubt, wenn es um den Wiederaufbau einer verschwundenen Population geht, ohne Berührung zu dort bereits bestehenden lebenden Tieren.“
Warum hat ein Umzug in andere Einrichtungen nicht funktioniert?
Nach der Ankündigung des Tiergartens Anfang 2024 hatten mehrere Einrichtungen angeboten, die überschüssigen Affen aufzunehmen. Der Tiergarten prüfte die Angebote, lehnte sie jedoch letztlich ab.
Unter diesen Angeboten war zum Beispiel das Primatenschutzzentrum WAMS in Wales, das sich auf die Aufnahme von Primaten und anderen Tieren spezialisiert hat. „Auf ein persönliches Schreiben hat der Direktor geantwortet, aber keine Angaben gemacht, ob oder wie viele Tiere das WAMS aufnehmen könnte oder wollte“, erklärt Encke. „Die Fragen zu den Haltungsbedingungen hat er als entsetzlich und beleidigend betitelt und damit auch eine Beantwortung nicht mehr erwarten lassen.“
Der Tiergarten stand zuletzt auch in Kontakt mit einem Zoo in Indien. „Es ist gescheitert daran, dass wir kritische Nachfragen zur Herkunft mancher Tiere nicht klären konnten“, so Encke. Der Tiergarten könne nur mit Institutionen kooperieren, die sich an internationale Standards hielten und Transparenz über die Herkunft ihrer Tiere gewährleisteten, um zu verhindern, dass Zoos den illegalen Wildtierhandel unterstützen.
Wie werden die Paviane getötet und was geschieht mit den Kadavern?
Der Tiergarten gibt dazu keine weiteren Informationen. Die Reaktionen auf die Informationen hätten „jedes tolerierbare Maß“ überschritten, wird zur Erklärung angeführt. Grundsätzlich würden alle Tiere tierschutzgerecht und mit der schonendsten Methode getötet.
Warum werden Guinea-Paviane in Zoos gezüchtet?
Insgesamt leben etwa 280 Guinea-Paviane in zehn europäischen Zoos, darunter seit 1942 im Nürnberger Tiergarten. Diese Gruppe ist Teil des europäischen Erhaltungszuchtprogramms. Ziel ist es, Reservepopulationen gefährdeter Arten in Zoos zu züchten, um sie später in geschützte Gebiete auswildern zu können.
„Für alle Arten, die als Verantwortungsarten der Zoos, als Reservepopulationen oder besonders wertvolle Populationen definiert sind, liegt ein Erhaltungsgebot vor, das einen generellen Zuchtstopp ausschließt“, heißt es in einem Dokument, das der Tiergarten für den Nürnberger Stadtrat vorbereitet hat. Dabei sei es unvermeidlich, dass überzählige Tiere entstehen, die abgegeben oder getötet werden müssen.
„Das Argument des Artenschutzes ist vorgeschoben“, meint Laura Zodrow von Pro Wildlife. „Reservepopulationen machen nur dann Sinn, wenn Wiederauswilderungs-Programme existieren - davon ist bei den Guinea-Pavianen jedoch nicht die Rede.“ Artenschutz müsse vor Ort durch den Schutz von Lebensräumen erfolgen.
Was sagt das Tierschutzgesetz zur Tötung von Zootieren?
Das deutsche Tierschutzgesetz besagt, dass kein Tier ohne vernünftigen Grund getötet werden darf, ohne diesen genauer zu definieren. Als vernünftige Gründe gelten etwa das Schlachten von Nutztieren, Jagd, Fischerei, die Tierseuchenbekämpfung und das Erlösen eines leidenden Tiers.
Zur Tötung von Zootieren äußert sich das Tierschutzgesetz nicht. Deshalb hat der Tiergarten Anfang 2024 öffentlich angekündigt, einige Paviane töten zu wollen. Die Debatte, ob es dafür einen vernünftigen Grund gebe, müsse in der Gesellschaft geklärt werden, sagt Encke.
Wie ist die Tötung der Paviane aus ethischer Sicht zu bewerten?
Der Tiergarten plant, überzählige Paviane zu töten, um den Artenschutz fortzusetzen - eine absurde Logik, findet die Tierethikerin Judith Benz-Schwarzburg von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. „Die Hauptproblematik ist, dass Artenschutz ganz anders betrieben werden kann und dass dieses Argument grundsätzlich fragwürdig ist. Zoos betreiben in der Regel keine Auswilderung, und die dort gezüchteten Tiere wären dafür ungeeignet.“
Auch das Argument, dass Zoos die Menschen für den Artenschutz sensibilisieren und über Wildtiere informieren sollen, sieht sie kritisch. „Die Interessen des einzelnen Tiers werden hinten angestellt. Es wird sozusagen dafür verwendet, ein höheres Gut - die Artenschutzbildung - zu erreichen.“ Gute Bildungsprojekte könnten dies ebenfalls leisten, zumal Studien gezeigt hätten, dass Besucherinnen und Besucher selbst in modernen Anlagen nur durchschnittlich 13 bis 41 Sekunden vor den Gehegen verweilen.
Zoos seien nach Ansicht von Benz-Schwarzburg nicht mehr zeitgemäß. Sie seien ein koloniales Erbe wie die Völkerschauen, bei denen bis in die 1950er Jahre Menschen aus anderen Kulturen gezeigt wurden. „Das ist in erster Linie eine Machtgeste, dass wir fühlende Lebewesen einfach ausstellen und unseren Blick verfügbar machen können“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir haben aus guten Gründen aufgehört, Menschen auszustellen. Aber mit welchem Recht machen wir das eigentlich weiterhin bei Tieren?“
Töten auch andere Zoos gesunde Tiere?
Ja, in vielen Zoos werden extra Futtertiere gezüchtet, die als Nahrung für Löwen, Tiger und andere Fleischfresser dienen. Auch überzählige Zootiere werden getötet und verfüttert. Der Deutsche Tierschutzbund spricht von einer „gängigen Praxis“.
2014 tötete der Kopenhagener Zoo eine Giraffe namens Marius und verfütterte sie an Löwen. 2023 schlachtete der Leipziger Zoo einen Zebrahengst, für den sich kein Platz fand. Der Tiergarten Nürnberg verfüttert unter anderem Somali-Wildesel und Prinz-Alfred-Hirsche.
Der Nürnberger Tiergarten informiert die Besucherinnen und Besucher auf Schautafeln darüber, welches Tier wann verfüttert wurde, sagt Encke. Dass es nun einen Aufschrei bei den Pavianen gibt, liegt ihm zufolge daran, dass es sich um Affen - und damit um nahe Verwandte des Menschen - handelt: „Das ist eine sehr emotionale Geschichte.“ Bei Huftieren sei die Akzeptanz größer.
Kommt es zu einer juristischen Auseinandersetzung?
Die Organisationen Peta und Pro Wildlife haben angekündigt, Strafanzeige zu stellen, sollte es zu Tötungen kommen. Der Tiergarten bereitet sich deshalb darauf vor, dass es zum Prozess kommen könnte. „Wir hoffen, dass es zu einer grundsätzlichen Klärung kommt“, sagt Encke.
Pro Wildlife sieht in dem Fall ein Grundsatzproblem: „Mit den Pavianen wird ein gefährliches Exempel statuiert - es wird nicht bei dieser einen Tierart bleiben, wenn diese Praxis des Tötens ungewollter Zootiere erst etabliert ist“, sagt Zodrow. (fhz mit Material von dpa)