Geringe Nachfrage nach E-Autos: Joe Biden drückt beim Verbrenner-Aus auf die Bremse
Autokonzerne in den USA sollen mehr Zeit für die Umstellung auf E-Mobilität bekommen. Das ist ein Zugeständnis an den Automobilsektor – und hat Konsequenzen für Politik und Umwelt.
US-Präsident Joe Biden will den Autokonzernen bei der Umstellung auf E-Mobilität deutlich mehr Zeit geben. Das berichtet die New York Times unter Berufung auf Insider. Demnach sollen die geforderten Abgasgrenzwerte für Verbrennermotoren bis 2030 weit weniger sinken als ursprünglich vorgesehen und erst danach stärker anziehen. Der Präsident will mit der Lockerung wohl vor allem die Autoindustrie besänftigen. Daneben dürfte Biden aber auch im Wahlkampf punkten wollen – zulasten des Klimaschutzes, kritisieren NGOs.
Denn geplant waren die strengsten Abgasregeln aller Zeiten. Schon zwischen 2027 und 2032 hätten Autohersteller in den USA die Emissionen ihrer Neufahrzeuge um 56 Prozent senken müssen. Das hatte die US-Umweltbehörde EPA vorgeschlagen. So sollten die Hersteller dazu gebracht werden, die Produktion von vollelektrischen Modellen schnell hochzufahren. Noch ist unklar, wie die konkreten Lockerungen jetzt aussehen. Sie sollen frühestens im März festgelegt werden. Die bisherigen Vorgaben gelten noch bis 2026.
Die EPA kann Autobauern nicht direkt vorschreiben, eine bestimmte Anzahl von Elektrofahrzeugen zu verkaufen. Nach dem Clean Air Act darf die Behörde aber Abgasgrenzwerte festlegen. Für die ursprünglichen Anforderungen hätten die Konzerne in den USA bis 2030 schätzungsweise einen Vollelektro-Anteil an neuen Pkw von 60 Prozent anstreben müssen, bis 2032 einen Anteil von 67 Prozent.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Climate.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie Climate.Table am 23. Februar 2024.
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Zugeständnis an Automobilsektor
Bidens Plan ist vor allem ein Zugeständnis an den Automobilsektor. Der Spitzenverband der Branche in den USA, die Alliance for Automotive Innovation (AAI), nannte die ursprünglichen Pläne „weder zumutbar noch innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens realisierbar“. Vor allem die Nachfrage nach E-Autos wächst in den USA längst nicht so schnell wie erwartet. Laut den Daten des Autoforschungsunternehmens „Kelley Blue Book“ wurden im vergangenen Jahr zwar fast 1,2 Millionen Elektrofahrzeuge verkauft – ein Plus von rund 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings entsprach das gerade einmal 7,6 Prozent der Gesamtverkäufe. Die AAI selbst hat zuletzt ein Ziel von 40 bis 50 Prozent Marktanteil bis 2030 vorgeschlagen, das neben vollelektrischen Modellen auch Hybridmodelle umfassen soll.
Auch forderten rund 4.700 Autohändler den US-Präsidenten vor wenigen Wochen in einem Brief dazu auf, bei den geplanten Vorgaben „auf die Bremse zu treten“. „Wir teilen den Glauben an die Zukunft der Elektrofahrzeuge“, heißt es darin. „Wir bitten nur, diese Zukunft nicht zu beschleunigen, solange die Straße noch nicht fertig ist.“ Aus Sicht der Händler hemmt vor allem die schlechte Ladeinfrastruktur das Interesse am elektrischen Fahren. Laut AAI seien bis 2030 rund 1,1 Millionen zusätzliche Säulen erforderlich, um den prognostizierten Bedarf zu decken. Das entspräche 414 neuen Ladesäulen pro Tag.
Aber auch die hohen Kaufpreise würden abschrecken, beklagen die Händler. Nicht zuletzt, weil die US-Regierung die Bedingungen für den Erhalt von Steuergutschriften beim Kauf verschärft hat. Für die volle Prämie von bis zu 7.500 US-Dollar kommen seit diesem Januar keine Fahrzeuge mehr in Betracht, deren Batterien etwa Mineralien aus China enthalten. Darunter fallen auch beliebte Modelle wie der „3 Rear-Wheel Drive“ sowie das „3 Long Range“ von Tesla. Viele Hersteller haben zuletzt versucht, mit großzügigen Rabatten die Nachfrage anzukurbeln – zulasten ihrer Bilanzen.
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Genaue Auswirkungen noch unklar
Die Auswirkungen der geplanten Lockerungen könne man erst bewerten, wenn die Bestimmungen vorliegen, teilten Experten der Analysefirma J.D. Power auf Anfrage von Table.Media mit. Volkswagen erklärte, die EPA-Vorschläge hätten zu „erheblichen zivilrechtlichen Strafen führen können, die Ressourcen von unserem massiven Engagement für Investitionen in Elektrofahrzeuge abgezogen hätten“. Ein Sprecher betonte: „Unser Engagement für die Elektrifizierung bleibt stark und es gibt keinen Plan, Ressourcen oder Investitionen aus der Elektromobilität abzuziehen.“
Die Hersteller haben massiv in den Ausbau der Elektromobilität investiert. Überall im Land entstehen neue Fertigungshallen und Batteriefabriken, auch wegen des 370 Milliarden US-Dollar schweren Inflation Reduction Acts (IRA). Seit Inkrafttreten im August 2022 sollen die Anreize rund 161 Milliarden US-Dollar an Privatinvestitionen für Elektromobilität ausgelöst haben, wie eine aktuelle Übersicht des Weißen Hauses zeigt. Nur in die Herstellung von Computerchips und andere Elektronik soll noch mehr Geld (235 Milliarden) geflossen sein. Einzelne Hersteller wollen aber nun ihre Vorhaben anpassen. Ford will seine Pläne für ein 3,5 Milliarden US-Dollar teures Batteriewerk in Michigan um Hunderte Arbeitsplätze zurückfahren, General Motors hat den Bau einer zweiten Fabrik auf Ende 2025 verschoben.
Wahlkampftaktik und Kritik von Umweltschützern
Biden dürfte sich von der Verlangsamung aber auch einen bedeutenden Vorteil im Wahlkampf erhoffen. Die mächtige Autogewerkschaft United Auto Workers (UAW) mit ihren rund 400.000 Mitgliedern hat lange damit gerungen, den amtierenden Präsidenten bei der Wahl im November erneut zu unterstützen. Die Beschäftigten fürchten, dass Bidens Pläne zur Umstellung auf die vermeintlich weniger arbeitsintensive Elektromobilität zu massivem Stellenabbau führen. Bei ihrem großangelegten Streik im vergangenen Sommer hat die UAW nicht nur üppige Lohnzuwächse von ursprünglich 40 Prozent gefordert, sondern auch Jobgarantien. Damals hatte sich Biden in einer großen Geste zu den Streikposten gestellt.
Während die Branche zufrieden sein dürfte, sind Klimaschützer wegen der erwarteten Lockerungen erzürnt. „Es ist nicht überraschend, dass Big Auto, Big Oil und Händler sich zusammengetan haben, um die EPA-Vorschläge für Abgasregeln von der Straße zu drängen“, kritisiert Dan Becker, Kampagnenleiter der Umweltorganisation Center for Biological Diversity, in einer Erklärung. Überraschend sei aber, dass sich die Biden-Regierung dem ungebührlichen Druck beuge. Den EPA-Modellen zufolge würde eine Verschiebung des starken Anstiegs der Elektrofahrzeugverkäufe auf die Zeit nach 2030 immer noch ungefähr die gleiche Menge an Autoemissionen einsparen wie der ursprüngliche Vorschlag, berichtet die New York Times. Das ist nach wissenschaftlichen Berechnungen der entscheidende Zeitpunkt zur Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels. Laurin Meyer, New York