Nach Eklat um Richter-Wahl: Droht nun der nächste Koalitionsstreit?
Bei Brosius-Gersdorfs Lanz-Auftritt tritt ein möglicher Konflikt zwischen Union und SPD zutage. Ihren Koalitionsvertrag interpretieren sie offenbar unterschiedlich.
Berlin – Während im Konflikt um die abgesetzte Richterwahl noch immer keine Lösung in Sicht ist, könnte sich für Union und SPD mit der Debatte über das Abtreibungsrecht nun ein nächster Schauplatz auftun. Als die SPD-Kandidatin und Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf sich in der ZDF-Talksendung Markus Lanz äußerte, sorgte ein Satz für Aufsehen: „Im Koalitionsvertrag steht genau das, was ich vorgeschlagen habe.“
Nach Richterwahl-Eklat: Droht Union und SPD der nächste Konflikt?
Dabei war es doch genau diese Haltung, die viele Unions-Abgeordnete dazu bewogen hat, nicht für die SPD-Kandidatin stimmen zu wollen? Brosius-Gersdorf bezieht sich mit Ihrer Aussage auf das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel, die Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche durch die gesetzliche Krankenversicherung zu erweitern. In Sachen Interpretation dieses Vorhabens scheint es bei Union und SPD jedoch noch Klärungsbedarf zu geben.
Kostenübernahme für Abtreibungen: SPD und Union mit unterschiedlichen Definitionen der Einigung
Die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge erklärte Anfang dieser Woche im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von Ippen.Media, die Koalition habe sich bezogen auf Abtreibungen im Rahmen des Koalitionsvertrags auf zwei Punkte verständigt – „die ich auch wichtig finde“. Zum einen solle die Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessert werden. „Und zum anderen, dass der Schwangerschaftsabbruch eine Kassenleistung werden soll“, so die Sprecherin der SPD-Linken im Bundestag.
Innerhalb der Union wird das Vorhaben offenbar anders interpretiert. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Susanne Hierl: „Eine grundsätzliche Eingliederung von Schwangerschaftsabbrüchen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse ist für mich nicht vorstellbar.“
Kostenübernahme bei Schwangerschaftsabbrüchen: Was aktuell gilt
Derzeit gilt Folgendes: Übernommen werden die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch von der Krankenkasse, wenn medizinische oder kriminologische Gründe vorliegen. Schwangerschaften innerhalb der ersten zwölf Wochen dürfen in Deutschland dennoch abgetrieben werden – auch ohne medizinische oder kriminologische Indikation. Abtreibungen ohne Indikation sind in Deutschland zwar rechtswidrig, aber straffrei.

Die Krankenkasse zahlt in Deutschland jedoch nur rechtmäßige Abbrüche. Eine Ausnahme bei der Kostenübernahme gilt in Fällen wirtschaftlicher Bedürftigkeit – hier übernimmt jedoch das jeweilige Bundesland; nicht die Krankenkasse. Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, sie interpretiere die Einigung im Koalitionsvertrag dahingegeben, dass hierbei die Einkommensgrenze bei der Möglichkeit zur Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen angehoben werde.
Brosius-Gersdorf bei Lanz: Abtreibungs-Pläne können zum neuen Koalitionsstreit führen
Über das im Koalitionsvertrag verankerte Ziel der schwarz-roten Regierung, die Kostenübernahme zu erweitern, sagte Brosius-Gersdorf am Dienstag: „Das kann sich nur auf die Frühphase der Schwangerschaft beziehen.“ Laut Bundesverfassungsgericht „darf es eine Leistungspflicht bei Schwangerschaftsabbrüchen nur dann geben, wenn er rechtmäßig ist“, zitiert Brosius-Gersdorf das Gericht. „Also geht auch der Koalitionsvertrag davon aus, dass ein Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase rechtmäßig ist“, so ihre Schlussfolgerung.
Hier tun sich also juristische Fragen auf: Würden Schwangerschaftsabbrüche durch eine Erweiterung der Kostenübernahme rechtmäßig? Oder andersherum gefragt: Kann ein rechtswidriger Eingriff überhaupt eine Kassenleistung werden?
Planen Union und SPD Abtreibung als Kassenleistung? Juristin erklärt Voraussetzungen
Die Strafrechtlerin Theresa Schweiger erklärt gegenüber Ippen.Media unter Bezugnahme auf das von Brosius-Gersdorf angeführte Verfassungsgerichtsurteil: „Ein Schwangerschaftsabbruch, der durch das Gesetz – wie aktuell für den beratenen Abbruch innerhalb der ersten 12 Wochen – für rechtswidrig erklärt wird, kann aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Kassenleistung werden.“ Daraus folge: „Sollen beratene Schwangerschaftsabbrüche Kassenleistungen werden, müsste man in der Tat den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig stellen.“
Das stehe wiederum im Widerspruch zum zuvor angeführten Urteil des Verfassungsgerichts, erklärt die Akademische Rätin a.Z. an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Eine weitere Möglichkeit sei, im Sozialgesetzbuch eine Ausnahme zu schaffen – auch dies stünde jedoch mit dem Urteil des Gerichts im Widerspruch.
Auf die Frage, ob ein rechtswidriger Eingriff überhaupt eine Kassenleistung werden kann, erklärt Schweiger: Ebenfalls im Widerspruch mit dem Urteil könnte sich der Gesetzgeber „grundsätzlich dazu entscheiden, unter bestimmten Voraussetzungen auch als rechtswidrig bewertete Eingriffe zu Kassenleistungen zu erklären“. Wie auch andere Juristinnen und Juristen hält die Strafrechtlerin es nicht für ausgeschlossen, dass das Gericht heute ohnehin zu einer anderen verfassungsrechtlichen Einschätzung und Bewertung kommen könnte, als es im Jahr 1993 der Fall war.
Im Koalitionsvertrag kündigen Union und SPD eine „Erweiterung der Kostenübernahme“ an. Die Formulierung, so die Juristin, „könnte tatsächlich so gelesen werden, dass es nur um eine Anpassung bei der Kostenübernahme von hilfsbedürftigen Frauen über eine Regulierung der Einkommensgrenzen geht“. Betrachte man „den gesamten Passus“ im Koalitionsvertrag „könnte man das Vorhaben auch so interpretieren, dass Schwangerschaftsabbrüche stets Kassenleistungen werden sollen“.
Reform des Abtreibungsrechts: Union und SPD bei Paragraf 218 uneins
Was eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts betritt, vertreten Union und SPD ohnehin unterschiedliche Haltungen. Die SPD wollte bereits in der vergangenen Legislaturperiode den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen. Das Vorhaben war Anfang des Jahres unter anderem an Widerstand der Union gescheitert. Die Ampel hatte damals eine Arbeitsgruppe zu Schwangerschaftsabbrüchen eingesetzt, die eine tiefgreifende Überarbeitung des geltenden Rechts vorschlug. Die Empfehlung: Abbrüche in der Frühphase einer Schwangerschaft sollten nicht mehr grundsätzlich strafbar sein.
Teil dieser Experten-Kommission war auch die SPD-Kandidatin für Karlsruhe, Frauke Brosius-Gersdorf. Vor der geplanten Wahl von zwei Kandidatinnen und einem Kandidaten für Karlsruhe am vergangenen Freitag hatte sich abgezeichnet, dass Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion keine Mehrheit bekommen würde. Grund sind unter anderem die liberalen Ansichten beim Thema Abtreibung. (pav)