China-Angriff auf Taiwan: „Erster Monat“ entscheidet über Schicksal des Inselstaats
China will sich Taiwan einverleiben. Aber wie? Experten haben nun zwei Szenarien durchgespielt – mit brisanten Ergebnissen.
Wie allergisch China reagieren kann, wenn es um US-Unterstützung für Taiwan geht, musste vor wenigen Tagen der amerikanische Verteidigungsminister erfahren. Eigentlich wollte sich Pentagon-Chef Lloyd Austin Anfang der Woche am Rande eines Gipfels in Laos mit seinem chinesischen Amtskollegen treffen, doch der sagte kurzerhand ab. Der Grund: Ende Oktober hatten die USA Waffenlieferungen an Taiwan in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar genehmigt, darunter sind auch moderne Luftabwehrsysteme.
China betrachtete das demokratisch regierte Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets und droht damit, sich den Inselstaat mit Gewalt einzuverleiben. US-Präsident Joe Biden hatte der Regierung in Taipeh in den vergangenen Jahren deshalb mehrfach die militärische Unterstützung seines Landes zugesichert, sein Nachfolger Donald Trump indes hat sich im zurückliegenden Wahlkampf weniger eindeutig geäußert. Allerdings will Trump mehrere China-Kritiker in sein Kabinett berufen, fallenlassen dürfte also auch die nächste US-Regierung Taiwan nicht. Für Militärstrategen stellt sich deshalb die Frage: Wie können US-Truppen dem taiwanischen Militär im Falle eines chinesischen Angriffs zur Seite stehen?
Experten der US-Denkfabrik CSIS sowie Mitglieder eines Komitees des US-Repräsentantenhauses haben nun in einer Simulation einen möglichen chinesischen Angriff durchgespielt – und dabei auch die Rolle der USA beleuchtet. Wie die taiwanische Nachrichtenagentur CNA berichtet, wurden zwei Szenarien skizziert: ein Angriff auf den Norden sowie auf den Süden der Insel.
Szenario 1: China greift Taiwans Norden an
Ein Großteil der taiwanischen Bevölkerung lebt im Norden des Inselstaats. Hier befindet sich auch die Hauptstadt Taipeh. Zudem haben hier viele Unternehmen ihren Sitz, hier schlägt das industrielle Herz Taiwans. Entsprechend stark ist der Norden Taiwans aber auch militärisch gesichert. Ein chinesischer Angriff, so CSIS-Verteidigungsexperte Mark Cancian, würde „in einer großen Schlacht außerhalb von Taipeh enden“, Chinas Volksbefreiungsarmee würde sich in diesem Szenario direkt „in die Zähne der taiwanischen Verteidigungslinien“ begeben.
Szenario 2: China greift Taiwans Süden an
Deutlich einfacher sei es für die chinesischen Truppen, im Süden der Insel an Land zu gehen. Dort leben weniger Menschen, auch ist hier weniger taiwanisches Militär stationiert. Chinas Armee würde diesem Szenario zufolge zunächst versuchen, schnell einen Hafen oder einen Flughafen einzunehmen; um anschließend aber die Kontrolle über den Rest des Landes und die Hauptstadt Taipeh zu übernehmen, müssten sich die Chinesen „ihren Weg die ganze Insel hoch erkämpfen“, so Cancian. Der daraus resultierende Feldzug würde ähnlich wie der Italiens im Zweiten Weltkrieg aussehen: mit chinesischen und taiwanesischen Truppen, die „Flusslinie für Flusslinie, Kammlinie für Kammlinie“ kämpfen, so der CSIS-Analyst.
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Die Rolle der USA bei einem chinesischen Angriff auf Taiwan
Eine entscheidende Lektion der Simulation ist laut Cancian: „Sobald die Kämpfe begonnen haben, ist es unmöglich, Truppen oder Verstärkung nach Taiwan zu bekommen.“ Da die chinesischen Streitkräfte Taiwan im Falle eines Angriffs umzingeln würden, könnten die USA „zumindest in den ersten drei oder vier Wochen“ Taiwan weder auf dem See- noch auf Landweg erreichen. „Taiwan müsste mindestens den ersten Monat, vielleicht sogar die ersten zwei Monate, mit dem kämpfen“, was dem Land zu Beginn des Angriffs zur Verfügung gestanden habe.
Entsprechend wichtig sei es, die Regierung in Taipeh rechtzeitig mit Waffen zu beliefern. „Ich denke, das Effektivste, was man tun kann, ist, Taiwan 500 Harpoon-Raketen zu geben“, so Cancian. Diese sogenannten Seezielflugkörper des US-Herstellers Boeing werden zur Bekämpfung von Schiffen oder anderen maritimen Zielen eingesetzt. Berichten zufolge hat Taiwan von den USA bereits eine unbekannte Zahl an Harpoon-Systemen erworben.

Weitere Szenarien für einen Angriff auf Taiwan
Die US-Regierung geht zwar davon aus, dass China bis 2027 militärisch in der Lage dazu wäre, Taiwan anzugreifen. Ob Peking aber tatsächlich eine großangelegte Invasion des Inselstaats plant, ist offen. Experten halten noch weitere Szenarien für möglich, darunter eine Blockade oder eine Quarantäne der Insel. In einem neuen Bericht warnte der US-Militärgeheimdienst DIA zudem vor einem chinesischen Atomschlag gegen Taiwan. „Peking würde wahrscheinlich auch den Einsatz seiner Nuklearstreitkräfte in Erwägung ziehen, wenn eine konventionelle militärische Niederlage in Taiwan das Überleben des Regimes ernsthaft gefährden würde“, heißt es in dem Bericht. (sh)