„Habe dafür kein Verständnis“: Vermissten-Experte sieht nach Polizei-Entscheidung im Fall Arian „Versagen“

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Die Suche nach dem sechsjährigen Arian wurde trotz großer Bemühungen eingestellt. Der Experte für Vermisstenfälle, Peter Jamin, äußert scharfe Kritik an dem Plan.

Bremervörde-Elm – Die Hoffnungen waren groß, als am Wochenende die bisher umfangreichste Suche nach dem vermissten sechsjährigen Arian in Bremervörde-Elm und Umgebung stattfand. Über 1200 Helfer aus verschiedenen Organisationen, unterstützt von zahlreichen Spürhunden und Drohnen, waren im Einsatz. Doch der Junge bleibt verschwunden. Seit mehr als einer Woche gibt es keine Spur von ihm.

Polizei-Entscheidung zu Arian (6): Vermissten-Experte ist empört – „Habe dafür kein Verständnis“

Am Montag (29. April) gab die Polizei bekannt, dass sie ab Dienstag nur noch aufgrund konkreter Hinweise suchen werde. „Wir werden ab morgen hier nicht mehr vor Ort sein“, erklärte ein Polizeisprecher. Diese Entscheidung stößt auf scharfe Kritik von einem Experten für Vermisstenfälle.

Peter Jamin äußerte sich bei IPPEN.MEDIA: „Ich habe dafür kein Verständnis. Man hat zwar mit mehr als 1000 Menschen gesucht, aber garantiert noch nicht überall“. Er plädiert für eine Wiederaufnahme der Suche. „Ich fordere, dass man erneut die Suche von vorn beginnt. Mit allen oder mit neuen Kräften, Hundertschaften aus anderen Bundesländern.“

Peter Jamin ist seit Jahren ein Experte für Vermisstenfälle. Er kann die Entscheidung der Ermittler nicht nachvollziehen. © Michael Seelbach/Polizei

Vermisstenexperte: Polizei sollte mindestens noch eine Woche nach Arian suchen

Jamin kritisierte insbesondere, dass die Polizei mehrmals im Jahr Hunderte von Einsatzkräften „zu Fußballspielen fahren“ kann, aber nicht alle verfügbaren Polizisten zur Suche nach dem Jungen einsetzt. „Wenn man jetzt die Suche aufgibt, ist das ein Versagen des Staates und der Gesellschaft. Mein Appell an die Landesregierung in Niedersachsen: Fußball darf nicht wichtiger sein als die Suche nach einem kranken Kind.“ Sollte die Suche nach Arian nicht fortgesetzt werden, fordert Jamin auch eine Reduzierung der Polizeieinsätze bei Fußballspielen, die den Staat Millionen kosten.

Der Experte rät, mindestens noch eine weitere Woche mit Einsatzkräften aktiv nach dem vermissten Kind zu suchen. Sollte die aktive Suche tatsächlich eingestellt werden, bittet er wiederum Niedersachsens Bürgerinnen und Bürger, am Mittwoch (1. Mai) einen Spaziergang in dem Ort zu unternehmen und freiwillig nach dem Kind Ausschau zu halten. „Durch eine solche bürgerschaftliche Initiative ist es vor vielen Jahren schon einmal gelungen, in Duisburg einen vermissten Menschen vor dem Tod zu retten.“ Sollten Spaziergänger Arian finden, sollten sie sich dem autistischen Kind laut Jamin nicht zu nähern, sondern in aller Ruhe die Polizei oder andere Rettungskräfte informieren und warten. „Gerne fahre ich auch persönlich nach Elm vor Ort, um ebenfalls einen Mai-Spaziergang im Suchgebiet vorzunehmen.“

Peter Jamin

Peter Jamin beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit Vermisstenfällen in Deutschland und steht selbst Angehörigen mit einem offenen Ohr zu Seite. Darüber hat der Düsseldorfer Autor und Journalist auch einige Bücher geschrieben. In seinem neusten Buch „Ohne jede Spur – wahre Geschichten von vermissten Menschen“ arbeitet er Vermissten-Schicksale auf.

Vermisster Arian: Polizei sucht nur noch anlassbezogen – Erkrankung des Kindes erschweren die Ermittlungen

Der Sprecher der Lüneburger Polizei Heiner van der Werp reagierte am Dienstag mit Unverständnis auf die Vorwürfe des Experten. „Das ist eine persönliche Einschätzung von Herrn Jamin. Diese respektieren wir“, sagte er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Er verstehe jedoch nicht, dass ein Außenstehender ein solches Urteil fällt. „Wir haben acht Tage auf Hochtouren gesucht“, so van der Werp. Man habe die Bundeswehr eingeschaltet, mit vielen technischen Geräten gearbeitet und dabei nie auf die Kosten geschaut. „Am Ende ist es aber so, dass wir uns in unserer Suche irgendwann auf Hinweise und tatsächliche Ansatzpunkte beziehen mussten. Und wir haben hier keine Ansatzpunkte mehr gehabt“, so der Sprecher.

Die Ermittler hatten zuvor angekündigt, die Maßnahmen vor Ort ab Dienstag einzustellen. „Wir hätten uns ein ganz anderes Ende gewünscht“, sagte ein Polizeisprecher am Montag. Am Sonntag hatte eine 1,5 Kilometer lange Menschenkette das Gebiet nördlich des Wohnorts noch einmal durchsucht und „jeden Stein umgedreht“. Doch die Hoffnung schwand. „Irgendwann setzt, glaube ich, bei vielen so ein Stück weit Realismus ein“, sagte der Sprecher am Nachmittag. „Und da darf man auch die Augen nicht verschließen.“ Es sei der Punkt erreicht, an dem eine flächendeckende Suche keinen Sinn mehr ergebe.

Anstelle der großflächigen Suche wurde eine neue Ermittlungsgruppe mit Experten für Vermisstenfälle eingerichtet. Ein fünfköpfiges Team in Zeven koordiniert die weiteren Schritte. Statt weiter flächendeckend zu suchen, werden die Einsatzkräfte künftig nur noch gezielten Hinweisen nachgehen. „Im Moment haben wir keine Anlässe mehr“, teilte der Sprecher mit. Das Ziel bleibt jedoch, Arian so schnell wie möglich zu finden. Ein Ex-Ermittler erklärt die nun begonnene Phase zwei und bringt neue Theorien ins Spiel.

Arian verschwand am 22. April spurlos und nur leicht bekleidet aus dem Haus seiner Eltern. Seitdem sind viele teilweise kalte Nächte vergangen. Laut Peter Jamin erschwert vor allem Arians Autismus die Suche. Wie er bereits am Freitag (26. April) gegenüber IPPEN.MEDIA erklärte, kann der Junge sich aufgrund seiner Erkrankung nicht ausdrücken und reagiert auch nicht auf Ansprache. Man müsse mit allen möglichen Szenarien rechnen: Arian könnte sich versteckt halten, aber auch eine Entführung könne laut dem Experten nicht vollständig ausgeschlossen werden. Zudem gibt es erstaunliche Parallelen zum Fall des vermissten Joe in Oldenburg. (nz/dpa)

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