Zoff um ZDF-Doku: Bahn wehrt sich gegen schwere Vorwürfe
Das ZDF sendet eine Doku über vermeintliche Tricksereien bei der Deutschen Bahn. Der Konzern findet das „unfair“ – und kontert mit einem „Faktencheck“.
Berlin – Die Vorwürfe wiegen schwer. Tricksereien bei der Ticketbuchung, Keime auf den schmutzigen Kopfkissen und kraftstoffschluckende Dieselloks im Nahverkehr – die ZDF-Dokumentation „Deutsche Bahn: Die Insider“ zeichnet ein düsteres Bild der Zustände bei der Deutschen Bahn (DB). Knapp 45 Minuten lang erzählen ehemalige Mitarbeiter des Bahnkonzerns, was dort alles schieflaufen soll und vor den Kunden geheim gehalten werde. Zwei Tage nach der erstmaligen Ausstrahlung der Sendung am Dienstagabend (5. März) zur Prime-Time um 20.15 Uhr im ZDF hat sich die Bahn mitten während des Bahnstreiks gemeldet – und die ZDF-Doku in einer Mitteilung auf der Bahn-Homepage nebst einem „Faktencheck“ scharf kritisiert.
„Oberflächlich, irreführend und unfair“ – mit diesen Worten beschreiben die Bahn und DB-Marketingchef Jürgen Kornmann die Sendung. Er halte sich normalerweise mit offener Kritik an der Arbeit von Redaktionen zurück, schreibt Kornmann auf Linkedin, „was gestern aber über den ZDF-Bildschirm flimmerte, hält leider keinem journalistischen Qualitätsanspruch stand“. Weder hätten Vertreter der Bahn die Möglichkeit gehabt, sich vor der Kamera zu äußern, noch hätten sich die Sendungsmacher zeitig gemeldet. „Eine Reaktion auf die Aussagen in der Doku war ebenso wenig möglich wie ein Interview“, schreibt Kornmann und ärgert sich über „den Klamauk, die Protagonisten mit Gesichtsmasken unkenntlich zu machen“.
ZDF-Doku über Deutsche Bahn schlägt hohe Wellen: „45 Minuten Halbwahrheiten“, sagt ein Interviewter
Tatsächlich hat die Sendung für einigen Wirbel gesorgt. Auf dem Portal Reddit echauffieren sich User, im Sozialen Netzwerk X (ehemals Twitter) hat ein Nutzer mehr als ein Dutzend „Probleme mit der Sendung und der journalistischen Qualität“ ausgemacht und auch der Geschäftsführer des Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene, Dirk Flege, ist verärgert. Er wünscht sich mittlerweile, „er hätte keinen O-Ton zur Doku“ beigesteuert. „Peinliches Bild-Niveau. 45 Minuten Halbwahrheiten, Banalitäten und Falschaussagen. Schade, ZDF“, schreibt er auf X.
Zwischenzeitlich hatte der Fernsehsender die Doku aus seiner Mediathek genommen. Am Donnerstagnachmittag fand sie sich dann sich wieder in der Mediathek, als „korrigierte Fassung“ mit einem Transparenzhinweis. „Aufwendig maskiert“, erzählten „vier Insider von den geheimen Tricks der Deutschen Bahn“, beschreibt das ZDF die Sendung. In der Vergangenheit wurden im Rahmen der Dokureihe schon andere große Unternehmen wie Ikea und McDonald's thematisiert.
Ehemalige Bahnmitarbeiter decken in ZDF-Sendung vermeintliche „Tricks“ bei der Bahn auf
Die Sendung geht dann vor allem in eine Richtung. „Ich war fünf Jahre Zugchef und überfüllte Züge sind Teil des Plans“, sagt ein Protagonist gleich zu Beginn. Neben bekannten Beschwerden wie den in Deutschland besonders unpünktlichen Zügen wird ein vermeintliches Geheimnis nach dem anderen aufgedeckt.
Meine news
Die Ex-Mitarbeiter sprechen über „Lockangebote“, Mikrowellen-Essen im Speisewagen und kaputte Schienen oder hohe Anforderungen für Fahrgast-Entschädigungen. Die gibt es bei der Deutschen Bahn ab einer Verspätung von 60 Minuten, die Verbraucherzentrale forderte hier jüngst eine Absenkung auf 30 Minuten.
Deutsche Bahn bringt nach ZDF-Doku einen „Faktencheck“ heraus
Das Unternehmen hat zu sieben Behauptungen Stellung genommen. Darunter ist zunächst einmal der Vorwurf, die DB verkaufe bewusst mehr Tickets, als Plätze im Zug vorhanden sind, und auch, dass die Bundespolizei immer wieder Züge räumen müsse. „Fakt ist“, so titelt der Konzern über jeder Klarstellung, „wir verzichten bewusst auf eine Reservierungspflicht, damit unsere Fahrgäste flexibel reisen können.“ Dies begrüßten auch die Fahrgastverbände. Natürlich könne es passieren, dass mehr Fahrgäste einsteigen, als Sitzplätze vorhanden sind. „2023 gab es aber im Fernverkehr nur bei 0,2 Prozent der Züge eine Teilräumung. Nur in den wenigsten dieser Fälle musste die Bundespolizei hinzugezogen werden.“
Auch die Behauptung, Fahrgäste hätten durch die neue EU-Fahrgastregelung seit Juni 2023 „fast kein Anrecht auf irgendetwas“, ist laut Bahn falsch. Man habe 2023 deutlich höhere Entschädigungssummen (132,8 Mio. Euro) gezahlt als im Vorjahr (92,7 Mio. Euro).
Die Bahn entschädige nicht nur bei 100-prozentigem Verschulden, wie behauptet, sondern beispielsweise auch bei „normalem Unwetter“ oder bei Tieren im Gleis. Welche Ticket-Rechte Bahnfahrer haben, steht in den DB-Fahrgastrechten und hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Bahn: ZDF-Berechnungen zu Treibhausemissionen falsch – Vorwurf an ehemalige Kollegen „grobes Foul“
Brisant sind auch die Vorwürfe, dass die Kaffeemaschinen im Bordrestaurant meist nicht funktionierten und die Kopfkissen bei der Reinigung „immer wieder gerne übersehen“ würden. Fakt sei, dass die Kissenbezüge alle sechs grundgereinigt würden und die Kaffeemaschinen im vergangenen Jahr zu 94 Prozent verfügbar gewesen seien, kontert die Bahn und schreibt: „Nebenbei bemerkt: Der Vorwurf eines ehemaligen Mitarbeiters an seine Kolleginnen und Kollegen von früher ist ein grobes Foul.“
Einen klaren Rechenfehler wirft die Bahn dem ZDF bei den Emissionen vor. Rund 2,4 Prozent aller Treibhausemissionen in Deutschland gingen laut Doku auf das Konto der Deutschen Bahn. Tatsächlich liege die Zahl nur bei 0,6 Prozent, sagt die Bahn. Das ZDF habe die weltweiten Emissionen des DB-Konzerns summiert und ins Verhältnis gesetzt zu den gesamten Treibhausgas-Emissionen in Deutschland. „Eine solche Rechnung ist nicht korrekt“, so die Bahn.
ZDF muss Fehler in Sendung „Deutsche Bahn: Die Insider“ korrigieren
Die entsprechende Stelle hat das ZDF mittlerweile korrigiert. „In einer früheren Version des Videos hieß es, die Deutsche Bahn sei für 2,4 Prozent aller Treibhausemissionen in Deutschland verantwortlich. Richtig ist: Würde der Konzern seine weltweiten Emissionen hierzulande ausstoßen, wären dies 2,4 Prozent aller CO2-Emissionen Deutschlands. In Deutschland entstehende Emissionen machen 0,6 Prozent aus“, schreibt der Sender im Transparenzhinweis.
Und auch woanders musste der Sender nachjustieren. Es sei gesagt worden, „der Nahverkehr der DB fahre „vorwiegend“ mit Diesel. Richtig ist, dass der Nahverkehr zum größten Teil elektrisch betrieben wird, aber weiterhin 3000 Dieselloks im Einsatz sind“, schreibt das ZDF. „Beide Stellen wurden korrigiert.“
ZDF widerspricht Vorwürfen der Bahn: „Gelegenheit zu ausführlicher Stellungnahme“
Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA betont das ZDF, der Bahn „im Vorfeld der Sendung Gelegenheit zu einer ausführlichen Stellungnahme gegeben“ zu haben. „In zwei Telefonaten wurde über den detaillierten Fragenkatalog gesprochen. Es wurde auf den prominenten Sendeplatz und auf andere, bereits gesendete Folgen der Reihe verwiesen, damit die Kollegen der DB-Pressestelle sich einen Eindruck verschaffen konnten“, heißt es von der ZDF-Kommunikationsabteilung.
Auch sei erörtert worden, ob die Zeit für eine Stellungnahme seitens der DB ausreiche. Dies wurde bejaht, so die ZDF-Antwort. „Zu keinem Zeitpunkt wurde der Deutschen Bahn ein Interview verwehrt. Bedauerlicherweise waren die Antworten auf den Fragenkatalog sehr allgemein. Diese Antworten wurden in der Sendung veröffentlicht. Erst nach Ausstrahlung hat die DB auf der eigenen Internetseite detailliert reagiert.“
Bahn gibt sich selbstkritisch und will „mit fundierter Kritik“ umgehen
Trotz der Aufregung zeigt sich auch die Bahn selbstkritisch. Man wisse, „dass unsere Performance nicht so ist, wie die Fahrgäste es verdient haben“, bilanziert der Konzern am Ende des „Faktenchecks“. Erst kürzlich hatte der Bahnkenner Arno Luik unter anderem über den Personalmangel bei der Bahn gesprochen und dem Personalvorstand „eklatantes Versagen“ vorgeworfen. Die Probleme böten Angriffsflächen, schreibt die Bahn. Mit „fundierter Kritik daran“ könne man umgehen – „sofern mit offenem Visier gekämpft wird“, betont der Konzern. Das sei beim ZDF aber nicht der Fall gewesen, „und das haben unsere Beschäftigten nicht verdient.“ (Florian Neuroth)