Die Reise von Vizekanzler Lars Klingbeil nach China war kein routinemäßiger Termin, sondern das Ergebnis gezielter diplomatischer Vorbereitung. Klingbeil bemühte sich im Vorfeld um verlässliche Gesprächstermine – mit Erfolg: In Peking traf er Vertreter der chinesischen Regierung, der Finanzaufsicht und wirtschaftsnaher Institutionen.
Die zugesagten Gesprächsformate verdeutlichen, dass beide Seiten an einem funktionierenden Dialog im Finanz- und Wirtschaftsbereich interessiert sind, gerade in einer Phase wachsender Unsicherheiten.
Begleitet wurde Klingbeil von einer Delegation aus Finanz- und Versicherungswirtschaft. Die Themenpalette spiegelte die aktuellen Herausforderungen wider: Fragen des Marktzugangs, der Rechtssicherheit, der Bewertung chinesischer Überkapazitäten sowie die Versorgung mit kritischen Rohstoffen. Hinzu kamen Gespräche über globale Finanzstabilität und mögliche gemeinsame Ansatzpunkte in multilateralen Foren.
Wirtschaftliche Kernforderungen: Verlässlichkeit, Zugang, Fairness
Im Zentrum der Gespräche standen ökonomische Interessen: Deutsche Unternehmen verlangen verlässlichere Rahmenbedingungen, transparentere Regulierung und gleiche Wettbewerbsbedingungen. Besonders dringlich ist der Zugang zu sogenannten kritischen Rohstoffen — seltene Erden und andere Vorprodukte, die für Schlüsselindustrien unerlässlich sind.
Hier ging es nicht nur um kurzfristige Lieferketten-Probleme, sondern um die Frage, wie Europa und China künftige technologisch-ökonomische Abhängigkeiten ausbalancieren können.
Klingbeil betonte die Notwendigkeit eines regelbasierten Welthandels und machte deutlich, dass Kooperation dort erfolgen soll, wo sie möglich und sinnvoll ist; gleichzeitig müsse Deutschland seine wirtschaftlichen Interessen konsequent vertreten.
Diese doppelte Zielsetzung — Kooperation und Interessenvertretung — durchzieht die neue deutsche Herangehensweise an China und ist das erklärte Leitmotiv des Besuchs.
Politische Spannungen und die strategische Lage
Die Reise fand in einer Zeit statt, in der geopolitische Spannungen die Beziehungen zu China merklich prägen. Beobachterinnen und Beobachter weisen darauf hin, dass politische Risikofaktoren die wirtschaftliche Zusammenarbeit zunehmend durchdringen: Die Taiwan-Thematik hat an Schärfe gewonnen, und Beziehungsentwicklungen in Asien wirken sich direkt auf europäische Interessen aus.
So haben sich die Beziehungen zwischen Japan und China jüngst verschlechtert, was den regionalen Druck und die Sicherheitsdynamik um Taiwan verstärkt.
Gleichzeitig sind bilaterale Spannungen mit europäischen Nachbarstaaten nicht auszublenden: Die Beziehungen zu den Niederlanden haben sich, auch vor dem Hintergrund von Sicherheitsbedenken im Halbleiterbereich und Debatten um Firmen wie Nexperia, kritisch gestaltet.
Diese Entwicklungen machen deutlich, dass wirtschaftliche Verflechtungen immer stärker in ein geopolitisches Umfeld eingebettet sind. Diplomatisch formuliert: Es besteht die Notwendigkeit, die Tiefe strategischer Konfliktlinien differenziert zu erfassen, bevor wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen werden.
Innenpolitische Dimension: Parteipolitische Traditionen und Differenzen
Die Innenpolitik spielt bei der Gestaltung der China-Politik eine erkennbare Rolle. Die SPD steht historisch betrachtet oftmals in einem engeren Austausch mit China und pflegte in Teilen intensivere Kontakte zur Kommunistischen Partei Chinas als die CDU in früheren Dekaden — eine Tradition, die sich in bestimmten Dialogformaten und Netzwerken fortsetzt. Das heißt nicht, dass die SPD unkritisch wäre; vielmehr prägt diese Nähe die Art und Weise, wie Gespräche gesucht und geführt werden.
Gleichzeitig gibt es deutliche parteiübergreifende Differenzen in Ansatz und Ton: Vertreterinnen und Vertreter der Grünen und der Union mahnen mitunter größere Vorsicht an oder fordern klarere Sicherheits- und Menschenrechtsstandards. In diesem Spannungsfeld positionieren sich Delegationsreisende unterschiedlich — was auch erklärt, warum zwei vorangegangene deutsche Delegationsreisen nach China platzten, darunter die von Außenminister Johann Wadephul.
China bringt hochrangigen politischen Delegationen nicht unbedingt immer die gleiche Gesprächsbereitschaft entgegen. Nicht alle deutschen Formate und Akteure finden die gleiche Resonanz in China.
Balanceakt: Kooperation pflegen, Risiken mindern
Der Kern der deutschen Strategie, so lässt sich Klingbeils Reise interpretieren, lautet: pragmatische Kooperation, wo sie Nutzen bringt; klare Interessenvertretung, wo es erforderlich ist; und aktive Diversifizierung, um kritische Abhängigkeiten zu verringern.
Praktisch heißt das: Dialogforen wie der Finanzdialog bleiben wichtig, weil sie Kanäle öffnen und Probleme adressierbar machen. Zugleich geht es um technische Maßnahmen — etwa strategische Reserven, EU-weit abgestimmte Sicherheitsstandards und diversifizierte Beschaffungsstrategien — sowie um politische Signale, die zeigen, dass Deutschland die geopolitische Dimension ernst nimmt.
Die in Deutschland geäußerte Debatte — sowohl in Leitmedien als auch in neu eingerichteten Gremien zur Wirtschaftsbeziehungen mit China — macht deutlich, dass manche Beobachterinnen und Beobachter die Komplexität der Handelskonflikte und geopolitischen Risiken für Deutschland als noch nicht vollständig erfasst sehen.
Klingbeils Besuch illustriert damit den Balanceakt, vor dem die deutsche Politik steht
Diplomatisch formuliert: Es besteht Einigkeit darüber, dass ökonomische Interessen und sicherheitspolitische Überlegungen enger als bisher verknüpft werden müssen, ohne dabei den Dialog abzubrechen.
Lars Klingbeils Reise nach China war mehr als ein symbolisches Treffen: Sie war das Ergebnis eines zielgerichteten Bemühens, das auf hochrangige Gespräche und konkrete wirtschaftliche Anliegen abzielte.
Der Terminplan, die Themenauswahl und die Zusammensetzung der Delegation zeigten, dass Deutschland weiterhin an einem geordneten Gesprächsrahmen mit Peking interessiert ist.
Zugleich offenbaren die Reaktionen aus Politik und Medien sowie die Erfahrungen weniger erfolgreicher Delegationen, dass die Herausforderungen komplex sind: wirtschaftliche Kooperation, strategische Autonomie und geopolitische Verantwortung müssen in einem ausgewogenen Verhältnis gehalten werden.
Klingbeils Besuch illustriert damit den Balanceakt, vor dem die deutsche Politik steht — und die Notwendigkeit, sowohl wirtschaftliche Chancen zu nutzen als auch strategische Risiken klarer als bisher zu adressieren.
Dr. Berthold Kuhn ist Politikwissenschaftler mit Promotion in Leipzig und Habilitation in Berlin. Er berät internationale Organisationen und Denkfabriken zu nachhaltiger Entwicklung. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.