TV-Kolumne „Markus Lanz“ - Grünen-Chefin verteidigt Habeck: Bei Lanz sehen wir, wie grüne Politik funktioniert

„Wir wollen eine Zahl!“, fordert Markus Lanz in seiner abendlichen Talkrunde ganz unmissverständlich. Mehrfach redet der Moderator auf Franziska Brantner ein, aber die Co-Vorsitzende der Grünen, die jetzt seit zwei Monaten im Amt ist, lächelt nur und schüttelt genervt ihren Kopf. Eine Zahl rückt sie jedenfalls nicht heraus. „Ich gebe Ihnen keine Zahl“, erklärt Brandner trotzig. 

Die Situation zeigt, wie Politik bei den Grünen funktioniert. Noch-Vize-Kanzler Robert Habeck hat unlängst verkündet, er wolle Abgaben auf Kapitalerträge erheben, um damit die Krankenkassenbeiträge zu senken. Wer ohne zu arbeiten viel Geld verdient, so Habeck, der müsse wie jeder Arbeitnehmer auch in das soziale System einzahlen. Im Umkehrschluss könnten die Abgaben, die von den Gehältern für die Krankenkassen einbehalten werden, geringer ausfallen.

„Trifft keine Krankenschwestern und Häuslebauer“

Robert Habeck hat die Idee mit den Kapitalerträgen offenbar mal einfach so in die Welt gesetzt. Ihm war offenbar danach. Die Frage bleibt, wen der Vorschlag betreffen könnte. Wie hoch müssen also die Erträge sein, damit der Staat zugreift? Welche Summe im persönlichen Depot weckt im Staat eines Robert Habecks Begehrlichkeiten? 

Ähnlich wie beim Heizungsgesetz wird von den Grünen mal eben ein Vorschlag rausgehauen, der offenbar nicht durchgerechnet ist und der sich noch im Entwicklungsstadium befindet. Das ist verantwortungslos, weil es Verunsicherung schafft. Es soll ja Leute geben, die brauchen ihre Aktiengewinne für die Rente. 

Grünen-Chefin Brantner, die dem Realo-Flügel angehört, erklärt: „Ich kann versprechen, dass es nicht die Krankenschwester und den Häuslebauer betrifft.“ Eine solche Abgabe ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, und Brandner kann nicht mehr dazu sagen als das? 

Brantner wirkt verunsichert 

„Wir müssen das Gesundheitssystem aufrechterhalten. Das ist eine Existenzfrage“, erklärt Brantner und schiebt eine unmissverständliche Botschaft hinterher: „Die Sozialversicherungen sind so nicht zu halten. Das weiß jeder, aber keiner spricht das an.“ Jeder Bürger habe am Anfang des Jahres doch gemerkt, dass die Belastungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern steigen. „Das ist so nicht tragbar. Wir wollen die Solidarität erhöhen. Wenn wir nichts tun, steigen die Belastungen.“ 

Aus Sicht der Grünen müssen sich Menschen mit größeren Aktiendepots gemäß „ihren Möglichkeiten ausreichend an der Finanzierung der Sozialsysteme beteiligen“. Mehr will und kann die Grüne dazu nicht sagen - nur so viel: „Es trifft nicht die Kleinen.“ Kann es sein, dass dieser Vorschlag einfach nicht seriös kalkuliert ist? Brantner wirkt verunsichert.

Grünen-Chefin ist genervt von Markus Söder

Noch eine Sache ist Brantner deutlich anzumerken. Sie ist von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder genervt. Seit Wochen macht der bei jeder Gelegenheit darauf aufmerksam, dass die CSU nicht mit den Grünen in einer möglichen Regierung zusammenarbeiten will. Da AfD und FDP ausscheiden und die SPD aktuell nicht stark genug erscheint, um in einem Bündnis allein mit den Grünen regieren zu können, sind die Regierungsaussichten der Grünen damit ziemlich trüb. 

„Markus Söder hat offensichtlich nichts zu tun, sonst würde er uns nicht ständig kritisieren“, meint die Grünen-Chefin. Die Grünen hatten unlängst Robert Habeck in Großaufnahme auf das Münchner Siegestor projiziert und „Bündniskanzler“ darunter geschrieben. Eine Provokation vor Söders Haustür? Und von welchem Bündnis will Robert Habeck eigentlich Kanzler werden?

Habeck will mit Charakter punkten

Brantner lächelt durch ihre große Brille und erklärt den „Bündniskanzler“. „Robert Habeck ist ein Bündniskanzler, der bereit ist, Kompromisse einzugehen.“ Soll heißen: Habeck suche danach, was verbindet, und nicht danach, was trennt. 

Was sich nach einem besonders guten Charakter Habecks innerhalb der Kaste der Politiker anhören soll, ist nichts weiter als die Minimalanforderung an einen politischen Akteur. Ohne diese Grundeinstellung ist Politik praktisch nicht möglich. Sind wir in Deutschland jetzt wirklich schon so weit, dass wir Kompromissfähigkeit als Alleinstellungsmerkmal herausstellen?

Bleibt festzustellen: Robert Habeck will in diesen Tagen des Wahlkampfes mit einem guten Charakter punkten. Was aber wichtiger wäre, ist seriöse Politik. Wer Sozialabgaben auf Kapitaleinkünfte auf die Agenda setzt, sollte auch ein paar Zahlen nennen. Ansonsten bleibt wie beim Heizungsgesetz Verunsicherung zurück und das Gefühl, Habeck macht grüne Folklore, aber keine handfeste Politik.