Wirtschaftsweise Veronika Grimm - Top-Ökonomin mit Knallhart-Kritik an Sondierungsplänen: „Führt EU in Schuldenkrise“

Mit Blick auf das milliardenschwere Finanzpaket warnte die Ökonomin zudem vor womöglich dramatischen Folgen für die Sicherheit Europas und die finanzielle Lage in anderen Ländern der Eurozone. Die „gigantischen Schulden dürften absehbar in eine Schuldenkrise in der Europäischen Union führen“, sagte Grimm.

Frau Prof. Grimm, CDU/CSU und SPD haben sich in ihren Sondierungsgesprächen am Samstag auf zentrale Eckpunkte geeinigt und wollen jetzt offiziell über eine Koalition sprechen. Was halten Sie von dem Papier?

Das ist ein gigantisches Unsicherheits-Paket. Statt ein Signal der Stärke - in Richtung Russlands aber auch der USA - auszusenden, verschifft uns die neue Bundesregierung absehbar in eine Falle. Die Schulden sollen in großen Teilen nicht zusätzlich für zukunftsorientierte Ausgaben verwendet werden, sondern dafür, Spielräume im Kernhaushalt zu schaffen, um weitere Sozialausgaben und Vergünstigungen zu verankern oder sie aufrecht zu erhalten.

Zugleich erzählt man den Menschen, man möchte sozialen Schutz und Sicherheit bieten, nach den schlimmen Krisen. Das ist völlig widersinnig, wenn man bedenkt, dass die weitreichenden Beschlüsse mit einer sich dramatisch zuspitzenden weltpolitischen Lage gerechtfertigt werden. Die Zeitenwende wurde also gleich wieder abgesagt, nachdem sie genutzt wurde, um die gewünschte Verschuldung herauszuhandeln. Man schafft eine Situation, die immer auswegloser wird für zukünftige Bundesregierungen. Und vor allem auch für zukünftige Generationen. Denn wirksame Reformen werden immer schwieriger umzusetzen sein und dürften auf demokratischen Wege irgendwann unmöglich werden.

„Die Frage ist eigentlich nur, wie lange es dauert, bis es irgendwo schiefgeht“

Welche Punkte sehen Sie besonders kritisch?

Eine offene Flanke für die Sicherheit ist es, dass die gigantischen Schulden absehbar in eine Schuldenkrise in der Europäischen Union führen dürften. Die Zinsen auf Staatsanleihen steigen. Das wird insbesondere den hochverschuldeten Staaten der Eurozone die Finanzierung zusätzlicher Verteidigungsausgaben erschweren.

Zudem werden wir Deutschen uns nicht an den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt halten können. Das weckt natürlich Begehrlichkeiten bei anderen europäischen Staaten, deren Schuldentragfähigkeit schon jetzt infrage steht. Die Frage ist eigentlich nur, wie lange es dauert, bis es irgendwo schiefgeht. Alles wird umso unangenehmer, je weniger Wachstum ausgelöst wird. Und nachhaltiges Wachstum zeichnet sich nicht ab, eher ein vorübergehendes Strohfeuer durch die höheren Ausgaben. 

Weil der Spardruck für die Koalition über das Sondervermögen einfach ausgeklammert wird?

Ja, das Geld wird ausgegeben werden. Es besteht in Deutschland in so vielen Bereichen Reformbedarf, dass man ohnehin nicht alle adressieren können wird: Energie, Klima, Rente, Digitalisierung, Gesundheit, Wohnen, Bauen - die Liste könnte man weiterführen. Bei vielen der Themen sehen wir jetzt schon, dass das neue Geld die Probleme kaschieren soll, etwa beim Wohnen. Die Mietpreisbremse soll verlängert werden, staatlicher Wohnungsbau soll gestärkt werden. Wer soll das bezahlen? Die kommenden Generationen über Kreditaufnahme. Besser wäre es, durch Anpassungen in der Regulierung den privaten Wohnungsbau zu stärken.

„Ich halte es für eine naive Vorstellung“

Nach den Plänen wollen CDU/CSU und SPD alleine 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur stecken. Wie passen die Mehrwertsteuer-Ausnahme für die Gastronomie, Agrardiesel, höherer Mindestlohn, Mütterrente oder eine Anhebung der Pendlerpauschale da rein?

Man schafft mit den geplanten Krediten Platz im Kernhaushalt, um die Vergünstigungen auszuweiten oder aufrecht zu erhalten. Genau so war es doch zu erwarten. Ich halte es für eine naive Vorstellung, zuerst Kreditspielräume zu ermöglichen, um dann Reformen zu planen und umzusetzen. Wer will sich denn für Reformen unbeliebt machen, wenn andere anbieten, einfach Subventionen zu nutzen, um die Dinge zu lösen? Dafür gab es die Schuldenbremse, um den Reformeifer zu stärken. Sie ist jetzt Geschichte. Wenn diese Beschlüsse gefasst werden, haben wir keine wirksamen Fiskalregeln mehr in Deutschland. Und auch die europäischen Fiskalregeln werden unter Druck geraten.

Mit Blick auf die Alterung der Gesellschaft drängt auch der Sachverständigenrat seit Jahren auf eine umfassende Rentenreform. Aber die überfällige Erhöhung des Renteneintrittsalters lehnen Union und SPD ab. Stattdessen stellen sie steuerfreie Abschläge in Aussicht, wenn ältere Menschen über die Regelarbeitszeit hinaus mit anpacken wollen. Was heißt das für die Rentenkassen?

Die versicherungsfremden Leistungen werden ausgeweitet anstatt begrenzt und die Rente mit 63 wird nicht angetastet. Also Fehlanzeige. All das, obwohl man aktuell mit relativ verträglichen Maßnahmen für Tragfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung sorgen könnte. Und man sollte dringend die kapitalgedeckte Säule stärken. Im Bereich der Rentenversicherung besteht ein dringender Handlungsbedarf, den hier keine Rechnung getragen wird. 

In der Energiepolitik haben sich die Unterhändler auch auf eine generelle Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß und eine Halbierung der Netzentgelte geeinigt. Richtig?

Die Absenkung der Stromsteuer ist richtig. Strom muss günstiger werden, damit die Elektrifizierung vorangeht. Der Industriestrompreis ist falsch. Das wurde ja zur Zeit der Ampel-Regierung schon heiß diskutiert und von vielen kritisch bewertet, auch von vielen in der CDU. Man braucht eine Neuausrichtung der Energiepolitik, um eine kostengünstige Energieversorgung sicherzustellen. Nur mit Subventionen die Kosten zu drücken, da geben wir das Geld zukünftiger Generationen aus, die am Ende auch in Zukunft für den Strom aus einem viel zu teuren System viel bezahlen müssen. 

Außerdem peilen CDU/CSU und SPD den Bau von „bis zu 20 GW an Gaskraftwerksleistungen“ an. Wie realistisch ist das?

Ich bin aktuell skeptisch, ob das so schnell geht. Man kann nur hoffen, dass es gelingt, und dass man das nicht auf sehr teure Art und Weise tut. Man müsste die Anreize an den Strommärkten stärken, um nicht umfangreiche Subventionen und Mitnahmeeffekte auszulösen. Davon ist bisher nichts zu lesen. Schauen wir mal.