Offener Streit um EU-Lieferkettengesetz: Merz und Klingbeil widersprechen sich in Brüssel
Von wegen Einigkeit: Bundeskanzler Friedrich Merz fordert in Brüssel die Abschaffung des EU-Lieferkettengesetz – sein Vize Lars Klingbeil relativiert die Aussagen prompt.
Brüssel – Nach dreieinhalb Jahren Ampel-Zank wollte die neue Regierung aus Union und SPD eigentlich eiserne Geschlossenheit demonstrieren. Doch bereits nach wenigen Wochen bröckelt dieses Versprechen zunehmend: Erst die Posse um die Kanzlerwahl, dann der kurze Rentenzwist um Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und nun haben sich sogar die Vorsitzenden Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) erstmals öffentlich widersprochen – ausgerechnet auf europäischer Bühne.
Merz fordert in Brüssel das Aus der EU-Lieferkettenrichtlinie – und bringt Klingbeil in Erklärungsnot
Bei ihren jeweiligen Antrittsbesuchen in Brüssel bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vertraten Kanzler Merz und sein Vize überraschend unterschiedliche Positionen zum EU-Lieferkettengesetz. Den Anfang hatte Merz in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit von der Leyen am Freitag (9. Mai) gemacht. Der erklärte, Deutschland wolle das nationale Lieferkettengesetz abschaffen – und forderte, die EU solle diesem Beispiel folgen: „Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich aufhebt.“ Wenige Tage später versuchte Klingbeil, die Aussagen seines Kabinettskollegen wieder einzufangen.

Natürlich müssten die Mitgliedsstaaten und die EU gemeinsam prüfen, wie die teilweise überkomplexen Berichtspflichten entschärft und Bürokratie abgebaut werden könnten, betonte er: „Aber insgesamt waren wir uns einig, das Lieferkettengesetz ist wichtig. Diesen Weg werden wir auch gehen, aber wir suchen auch nach Möglichkeiten, dass es für die Unternehmen praktikabel ist.“
Änderung statt Abschaffung – Auch schwarz-roter Koalitionsvertrag folgt nicht Merz‘ Linie
Abgesprochen wirkte Merz’ Vorstoß nicht – eher handelte es sich wohl um eine spontane Entscheidung. Der CDU-Chef weiß mit dieser Haltung große Teile seiner Partei und führende Wirtschaftsverbände hinter sich. Sie sehen in der Lieferkettenrichtlinie den Inbegriff von unnötiger Bürokratie sowie Regulierung der Wirtschaft durch den Staat. Klingbeil beruft sich mit seiner Aussage hingegen auf den Koalitionsvertrag: Hier hatten sich Union und SPD vor wenigen Wochen darauf geeinigt, dass die europäische Richtlinie lediglich „bürokratiearm und vollzugsfreundlich“ – also abgeschwächt – angepasst werden sollte.
Zustimmung erhielt Klingbeil von Rene Repasi, Sprecher der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE): „Eine Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes liegt nicht auf dem Tisch.“
SPD weist Merz-Vorstoß zurück – EU-Kommission positioniert sich klar
Merz’ Vorschlag finde weder im Europaparlament noch unter den EU-Mitgliedstaaten eine Mehrheit. Zwar sei er offen gegenüber Änderungen, die Unternehmen entlasten. Doch sei die Idee hinter dem Gesetz, Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu reduzieren, nicht verhandelbar.
So stehe es nun mal auch im schwarz-roten Koalitionsvertrag, betonte Repasi weiter. Auch die EU-Kommission verwies in Bezug auf Merz‘ Forderung darauf, dass derzeit nur eine Vereinfachung des Gesetzes geplant sei. „Der Kommissionsvorschlag liegt also vor und dabei geht es nicht um Abschaffung“, erklärte die Sprecherin Paula Pinho in Brüssel.
Lieferkettengesetz auf EU-Ebene verschoben – Grüne sehen Koalition schon „entzaubert“
Die EU hatte die Richtlinie 2024 verabschiedet, um Menschenrechte und Umweltstandards entlang globaler Lieferketten zu schützen. Ursprünglich sollten die Vorgaben für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und über 1,5 Milliarden Euro Umsatz bereits bis 2027 umgesetzt werden.
Doch die Kommission verschob den Start – in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten – auf Mitte 2028. Der stellvertretende Parteivorsitzende und Europa-Sprecher der Grünen, Sven Giegold, sieht die Koalition durch den offenen Widerspruch zwischen Union und SPD schon jetzt als „entzaubert“.