„Wäre ein Leichtes für Russland, einzumarschieren“: Wie Putin den EU-Kandidaten Georgien manipuliert

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Trotz massiver Proteste treibt die georgische Regierungspartei ein umstrittenes Gesetz voran. Die Spuren führen nach Moskau.

Tiflis/München – Es wirkt fast so, als ob ein Großteil Osteuropas in direkter oder indirekter Angst vor Wladimir Putin lebt: Die baltischen Staaten haben schon seit geraumer Zeit vor einem möglichen Angriff gewarnt. Ähnliche Befürchtungen gibt es in Moldau mit seiner abtrünnigen Provinz Transnistrien. Selbst Belarus könnte die Umarmung des „Unionsstaats“ mit Russland befürchten. Und auch auf „Europas Balkon“, in Georgien, einem EU-Beitrittskandidaten, sind Ängste weit verbreitet, wie Stephan Malerius, Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tiflis, IPPEN.MEDIA, berichtet. Georgien ist jedoch ein Sonderfall, zumindest vorerst.

Das Ringen um die Zukunft des Landes findet nicht an Grenzbefestigungen oder in Munitionsfabriken statt, sondern mit fast täglichen Straßenprotesten, auf die die Polizei teilweise gewaltsam reagierte. Die entscheidende Frage ist: EU oder Russland? Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung strebt eine Annäherung an Europa an. Doch die Regierungspartei „Georgischer Traum“ scheint andere Pläne zu haben – ein aktueller Ausdruck dieser Kluft ist ein „russisches Gesetz“, das Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und westlich geförderte Projekte ermöglichen könnte.

Die Regierung treibt das Gesetz weiter voran, schon am 13. Mai könnte es verabschiedet werden. Und das, obwohl die Partei damit ihre erwartete komfortable Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Oktober gefährden könnte. Warum? Die Antwort dürfte in Russland zu suchen sein, trotz Georgiens offizieller Bemühungen um eine Mitgliedschaft in der EU und der NATO.

„Das ist von Russland und Putin in Auftrag gegeben worden“

„Die Stimmung insgesamt ist sehr, sehr angespannt. Aufgeladen, aufgeheizt eigentlich“, sagt Malerius, Programmleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zu einer Großdemo am Samstag (11. Mai) seien Zehntausende Protestierende erwartet. Die Haltung der Georgier bleibe dabei stabil: In Umfragen seien seit 20 Jahren „immer konstant 80 Prozent der Menschen“ für den Weg nach Europa. „Da gibt es auch gar keine Dellen“, betont Malerius. Das Gesetz hat jedoch neue Spannungen im Land geschaffen. Der Experte rechnet damit, dass die Pläne umgesetzt werden: „Es gibt keine Anzeichen für ein Umschwenken.“

Panzer mit russischer Beflaggung und „Z“-Symbol paradieren 2022 in Zchinwali – Südossetien ist eigentlich Teil Georgiens.
Panzer mit russischer Beflaggung und „Z“-Symbol paradieren 2022 in Zchinwali – Südossetien ist eigentlich Teil Georgiens. © Montage: Valery Sharifulin/TASS/Imago/fn

Aber warum verfolgt die Regierungspartei diese Idee so hartnäckig? Auf praktischer Ebene könnte die Antwort laut Malerius lauten: Kontrolle. Justiz, Wirtschaft und die Regionen stehen bereits unter direktem Einfluss aus Tiflis – ein Zustand, der fast nach Putins Bauplan aussieht. Auch der Kremlchef hatte in den 00er-Jahren die einst mächtigen russischen Regionen unter die finanzielle Knute Moskaus gebracht. Der Zugriff auf die Zivilgesellschaft war für die georgische Regierung bisher schwieriger, insbesondere kritische NGOs sollen nun „an die Leine“. Gleichzeitig meint Malerius: Das Ziel sei nicht, die Zivilgesellschaft „auszumerzen“.

„Die Initiative kommt nicht aus der Regierung selbst, sondern die ist von Russland und Putin in Auftrag gegeben worden“, sagt der Experte. „Ich bin recht vorsichtig mit solchen Behauptungen. Man wird da schnell paranoid und kommt in den Bereich der Verschwörungstheorien. Aber keiner der Gesprächspartner, die ich gefragt habe, ‚warum machen die das?‘, hat mir eine andere Erklärung geliefert, als: ‚Es gab einen Anruf aus Moskau.‘“

Die Menschen haben in der Tat Angst. Und es gibt auch Neigungen, sich aus dieser Angst heraus Russland zu ergeben.

Dieser Anruf könnte an Bidsina Iwanischwili gerichtet gewesen sein. Iwanischwili ist der Gründer und seit Ende 2023 Ehrenvorsitzender des „Georgischen Traums“ – ein Milliardär, der sein Vermögen in den 90er-Jahren in Russland gemacht hat. „Es gibt kein Programm, es gibt keine Ideologie hinter dieser Partei. Sie hängt an Iwanischwili und seinem Geld und seiner Macht“, sagt Experte Malerius. Der Drahtzieher ist jedoch keine „öffentliche Person“, seine Auftritte sind selten. „Man weiß nicht, welche Kontakte er hat. Das ist eine Unbekannte – genauso wie die Frage, wie und warum Entscheidungen getroffen werden.“

Putins Plan in Georgien geht auf: „Spaltung säen und das Land von der EU entfernen“

Die erneute Gesetzesinitiative kommt laut Malerius zu einem überraschenden Zeitpunkt. Ende 2023 erhielt Georgien zur allgemeinen Freude den Status als EU-Beitrittskandidat. Dann qualifizierte sich die Fußballnationalmannschaft auch noch für die EM in Deutschland. „Es gab Momente, da merkte man, nun entstehen Brücken im Land. Und das wird jetzt eingerissen“, sagt der Politikwissenschaftler. „Es gibt niemanden in Georgien, der daran wirklich Interesse hat. Aber Russland hat ein Interesse daran.“

Putins konkretes Ziel ist wohl: „Spaltung säen und das Land von der EU entfernen.“ Denn eine Erweiterung des Staatenbundes widerspricht Russlands Wünschen. Auch konkrete Gesetzesinhalte sind laut Malerius zweitrangig. „Wichtig ist nur, dass die Bande mit der EU gekappt oder beschädigt werden.“

Genau das scheint auch zu funktionieren. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben bereits auf die Rücknahme der Gesetzespläne gedrängt. „Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt und auch angewendet wird, kann sich Georgien von den Beitrittsverhandlungen verabschieden“, sagt Malerius. Dahinter stecke auch eine Sorge in Brüssel: Niemand wolle „ein zweites Ungarn“ in der EU haben.

Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ war einst Teil der sozialistischen Parteienfamilie – mittlerweile gehört sie laut Malerius klar ins „Orbán-Camp“. Viktor Orbán baut in Ungarn die „illiberale Demokratie“ aus und blockiert mutmaßlich zu Putins Freude nicht nur Ukraine-Hilfspakete der Union – in der zweiten Jahreshälfte 2024 hat Ungarn sogar die EU-Ratspräsidentschaft inne. Und auch die Europawahl könnte Georgiens Regierung „in die Hände spielen“, wie Malerius sagt: Im Sommer wird in Brüssel um eine neue Kommission gerungen werden, das Parlament konstituiert sich neu. Dann wird auch die EU-Außenpolitik mit gebremstem Schaum laufen.

Russische Truppen stehen schon auf georgischem Gebiet: „Weiter einmarschieren wäre ein Leichtes“

Georgien befindet sich derweil in einer Zwickmühle zwischen Annäherung an und Angst vor Russland. Einerseits wächst der Handel mit dem übermächtigen Nachbarn: Zwar ist ein Freihandelsabkommen mit der EU in Arbeit – aber der russische Markt ist einfach näher, wie Malerius erklärt.

Andererseits stehen seit 2008 russische Truppen in den besetzten georgischen Regionen Abchasien und Südossetien. Insbesondere Südossetiens Grenzen liegen teils nur wenige Kilometer von Georgiens sechstgrößter Stadt Gori entfernt – und auch nach Tiflis sind es nur gut 60 Kilometer. „Es wäre für Russland ein Leichtes, weiter einzumarschieren“, sagt Malerius. „Das ist im Bewusstsein der Menschen sehr stark verankert“. Georgien wäre vermutlich noch stärker ausgeliefert als die Ukraine und Hilfe aus EU und Nato wären zunächst einmal fern. Wohl auch deshalb ist als greifbarer Ausdruck der Solidarität im Ukraine-Krieg eine starke „Georgische Legion“ aktiv.

„Die Menschen haben in der Tat Angst“, berichtet der Experte aus Tiflis. „Und es gibt auch Neigungen, sich aus dieser Angst heraus Russland zu ergeben“, fügt er hinzu. Vorerst demonstrieren jedoch weiterhin fast jeden Abend Tausende für ein „Ja zu Europa“, wie es auf den Bannern der Protestierenden in den Straßen zu lesen ist. Und die Solidarität wächst: Ein Organisator der Demonstrationen berichtete kürzlich Radio Free Europe, man wolle nun Spenden sammeln – für Menschen, die wegen ihrer Kritik am „russischen Gesetz“ ihre staatlichen Jobs verlieren. (fn)

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