Jugendprozess in Hamburg - Ist das Vergewaltiger-Urteil ein Skandal oder ein Erfolg? Jetzt tobt die Justiz-Debatte

2020 vergewaltigte eine Gruppe Jugendlicher ein damals 15-jähriges Mädchen im Hamburger Stadtpark. Das Mädchen hatte laut Staatsanwaltschaft am 19. September eine Party auf der Festwiese besucht. Die Ermittler stellten am Opfer Spermaspuren von neun verschiedenen Tätern fest. Vor wenigen Tagen ist nun der Prozess um das Verbrechen zu Ende gegangen. Die Justiz-Debatte um das sogenannte „Stadtpark-Urteil“ kocht.

Das Hamburger Jugendgericht verurteilte die neun jungen Männer, von denen Medienberichten zufolge acht einen Migrationshintergrund haben, die damals noch Jugendliche oder Heranwachsende waren am 28. November. Sie wurden der sexuellen Nötigung eines 15-jährigen Opfers für schuldig befunden. Einer muss ins Gefängnis, vier haben Haftstrafen auf Bewährung bekommen. Bei den anderen vier wird in sechs Monaten über die Verhängung von Jugendstrafen entschieden. Die Strafen der bereits Verurteilten liegen zwischen einem Jahr und zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis.

Hamburger „Stadtpark-Urteil“ sorgt bundesweit für Empörung

So wie die Tat vor rund drei Jahren Aufsehen erregte, sorgt auch das Urteil bundesweit für Empörung. Die Medien stürzten sich auf das Urteil, manche witterten einen Justizskandal. In den sozialen Medien werden die Richterin und die Anwälte übel beleidigt und bedroht. Es gibt sogar Gewaltaufrufe gegen die Richterin. Einige wünschen ihr und ihren Angehörigen eine Vergewaltigung.

Viele halten das Strafmaß für zu gering. Ein X-User schreibt zynisch: „Das Urteil ist KEINE Abschreckung, es ist eine Einladung zur Gruppenvergewaltigung.“ Ein anderer schreibt: „Die Schande von Hamburg hat ein Gesicht. Eine Richterin lässt die Täter der Gruppenvergewaltigung einer 15-Jährigen laufen. Sie hat ein Herz für migrantische Gewalttäter, aber nicht für ihre Opfer.“ Wieder ein anderer Nutzer schreibt: „Das ist die Richterin, die nach der Vergewaltigung einer 15-Jährigen 9 Männer im Alter von 19 bis 23 Jahren zu Haftstrafen verurteilt hat. (...) Schämen Sie sich!!!!“.

NDR-Kommentar heizt Diskussionen weiter an

Vier Tage nach dem Urteil sorgt schließlich der „NDR“ mit einem Kommentar für den nächsten Aufschrei. Das „Stadtpark-Urteil ist ein Erfolg, kein Skandal“, steht in der Überschrift. Elke Spanner, Gerichtsreporterin und Rechtsjournalistin des Senders, kritisiert darin die Angriffe im Internet auf die Richterin als „unerträglich und absolut inakzeptabel“.

„Diejenigen, die die Richterin beschimpfen, fordern im Namen eines konsequenten Rechtsstaates härtere Strafen für die Vergewaltiger - und treten diesen Rechtsstaat dabei selbst mit Füßen“, kommentiert sie. Dass die empörte Masse im Urteil gegen die Vergewaltiger einen Skandal sieht, ist ihr unverständlich.

„Wie will jemand, der nicht dabei war, besser wissen was gerecht ist“

Eineinhalb Jahre habe das Gericht über den Fall verhandelt, 68 Tage mit den Angeklagten in einem Saal gesessen. „Wie will jemand, der da nicht dabei war, besser wissen was gerecht ist und was nicht“, fragt die Journalistin.

Spanner betont: „Dieses Urteil für die jungen Männer ist kein Skandal. Ganz im Gegenteil: Es ist ein Erfolg für die Hamburger Justiz.“ Die Ermittlungsarbeit der Polizei sei hervorzuheben, wenn man bedenke, dass in „dieser furchtbaren Nacht“ Dunkelheit herrschte, mehrere hundert feiernde Menschen, darunter viele Männer, auf die die Täterbeschreibungen gepasst hätten, unterwegs waren und es den Beamten dennoch gelungen sei, die Vergewaltiger zu ermitteln. „Hut ab“, meint Spanner.

Die Verurteilung der Täter: „Ein Erfolg“

Auch die Verurteilung selbst sei „ein Erfolg“, sagt Spanner. Zu Beginn des Prozesses sei es keineswegs sicher gewesen, dass die Männer überhaupt bestraft werden könnten. „Sie haben bei den Vergewaltigungen keine Gewalt angewandt, sondern es perfide ausgenutzt, dass das Mädchen betrunken und verstört war und aus Angst alles über sich ergehen ließ. So ein perfides Vorgehen ist überhaupt erst strafbar, seit das Sexual-Strafrecht 2016 reformiert wurde“, merkt sie an.

Vor der Reform galt eine Vergewaltigung nur dann als Vergewaltigung, wenn die Täter den Geschlechtsverkehr mit Gewalt erzwungen haben. „Nach dem alten Grundsatz wären diese Angeklagten im Stadtpark-Prozess alle freigesprochen worden.“